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Die Kirclie zur göttlichen Dreieinigkeit

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Es war in der Höhe des Sommers. Da gingen wir den Hügel hinauf, du und ich, wir wollten uns die Kirche zur göttlichen Dreieinigkeit ansehen. Sie stand oben auf der kleinen Hochfläche, mitten unter Obstbäumen, die überall im Lande blühen, Frucht tragen und vor dem Winter absterben. Sie schenken den Gegenden ein liebliches Gesicht. Der Kirche gegenüber erhob sich ein Bau im selben Stil wie das Gotteshaus. Einst hatte er Waisenkinder beherbergt, später war er Pfarrhof geworden und Ruhesitz für manchen Kapitularen des nahen Stifts, das hier auch den Pfarrherrn stellte.

Als wir bei der Pforte angekommen waren, sahen wir, daß ein hohes Gerüst aufgerichtet war, auf dem eine Frau im weißen Kittel stand und an einer der Marmorfiguren arbeitete, die das Tor schmückten. Wir traten in die Kirche und in diesem Augenblick verließ uns die Erde. Hier war tatsächlich das Reich Gottes Aber es berührte die Seele ungemein froh, daß dieser Raum von Menschenhand erdacht und geschaffen worden war.

Schon das Kirchenäußere hatte sich mit seiner Dreieckform und seinen drei Türmen außerordentlich genug gezeigt, und nun sah das ans Halbdunkel gewöhnte Auge drei Altäre stehen, hinter ihnen aber, von ihrer Spitze bis an den Rand der Kuppel das Feld behauptend, jeweils ein Altarbild, doch keines von alltäglicher Art, sondern wie ein Diorama in die Tiefe laufend, und hoch oben, im Scheitelpunkt der Kuppel, wiederum ein solches, ein kleineres Bild und daraus niederschwebend der heilige Geist als Taube.

Vielleicht hätte das alles nicht so einmalig und berückend geschienen, wären die Sonnenstrahlen nicht in den Raum gefallen. Nun glühten die Farben der drei Gemälde auf und leuchteten über dem Halbdunkel der Bet- und Beichtstühle aus Holz und dem etwas helleren Gold und Silber der Altäre wie von himmlischen Farben, und die Gestalten auf den Bildern traten aus der Ebene der Leinwand und standen wie die einzelnen Marmorskulpturen da, gefügt jedoch in das Geschehen, in die Geburt des Menschensohnes und in die Kreuzabnahme. Eine Weile noch und sie würden sich bewegen.

Nach langem Schweigen fragtest du: Wie heißt es hier?

Stadl-Paura, antwortete ich.

Und wer hat diese Kirche gebaut?

Komm! sagte ich und nahm dich an der Hand. Setzen wir uns hierher, in die Mitte! Da können wir den ganzen Raum immer wieder in seiner wunderbaren Einheit übersehen. Gebaut hat sie ein Linzer Baumeister, er hieß Prunner. Gewiß, er hat sich als ein tüchtiger Mann erwiesen, als ein Künstler sogar, wenn du es willst. Aber das will nichts besagen.

Da blicktest du mich sonderbar an. Fast hätte ich gelacht.

Ja, sagte ich, so ist es. Dem Abt des Stifts fiel es nämlich ein, eine solche Kirche, eine vollendete Danksagung an die heilige Dreifaltigkeit zu erbauen. Er hatte ein Gelübde getan, daß er eine Kirche in der Paura errichten werde, wenn die Pest vor dem Kloster und dem Ort ringsum, ja vor der ganzen Gegend haltmachen werde. Und Gott erhörte sein Flehen. Da ließ er diese Kirche bauen, nach seinem Plan. Er war erfüllt von seinem Priesterdienst unter dem Schutze der göttlichen Dreieinigkeit und erfand bis zu den dreifarbigen Fliesen des Fußbodens eine Teilung für Gottvater, Gottsohn und den Heiligen Geist, und doch . . .

Und doch? wiederholtest du gespannt.

Und doch, setzte ich fort, ist diese Ein'i?''-entstanden. Sieh nur! Und ich hob die Hand und beschrieb mit ihr einen Halbkreis.

Schweigen, großes Schweigen.

Ein Wunder, sagte ich nach geraumer Weile.

Daß ein Mensch es vollbringen konnte!

Der Abt stammte aus der Paura, er war der Sohn eines Zillenhüters, erwiderte ich. Als armer Bub wuchs er auf.

Eines Zillenhüters? fragtest du.

Ja. Stadl-Paura war einmal ein berühmter Umschlagplatz für das Salz, das auf der Traun

von Gmunden kam und dann weiterverfrachtet wurde, nach Wels und bis nach Mauthausen, von wo man es ins Böhmische brachte. Da war eine Anzahl von Stadeln zur Lagerung des Salzes am Ufer hingebaut. Und hier, wo die Kirche steht, hieß es schon immer in der Paura. Daraus ist später Stadl-Paura geworden, als Name für den ganzen Ort.

Der Sohn eines einfachen Zillenhüters, sagst du?

Ja. Aber es ist eine alte Geschichte, daß meist nur Kinder aus dem Volke, Kinder der Armut, die Wunder Gottes begreifen.

Du bliebst auf diese Worte stumm. Erst nach längerer Pause sagtest du: Und die anderen, die nicht in Armut leben, die finden das Wunder nie? Die heilige Dreifaltigkeit ist doch allen Christen geläufig.

Ja, weil sie es aus dem Katechismus gelernt haben. Ob sie aber das Wunder dieser göttlichen Dreieinigkeit begriffen haben? - Nur wenige. Und der Abt war einer von ihnerf.

Und die anderen, die nicht in Armut leben, wiederholtest du, die finden das Wunder nie?

Nicht vor den Armen, versetzte ich. Du kannst es heute noch erfahren. Und dann sagte ich ein auf viele Menschen zu Unrecht gemünztes Wort, das mich bald reute; aber eine unwiderstehliche Gewalt zwang mich, es auszusprechen: Viel Geld verdirbt den Charakter.

Aber doch nicht bei allen! riefst du aus.

Vielleicht, entgegnete ich, schon milder in meiner. Meinung. Doch wollte ich auch wieder bei meinem Standpunkt bleiben und sagte: Aber noch jeder, der immer mehr Geld erwor ben hat, ist härter gegen seine Mitmenschen geworden. Ich kenne keinen, der es nicht wurde.

Nein, wehrtest du ab. Es gibt Ausnahmen.

Da lächelte ich und dachte, daß es mit unserer Welt nicht schlecht stehen könne, solange es noch eine Seele gab, die an das Gute im Menschen glaubte, und ich sagte, sehr glücklich in meinem Inneren und frei: Ja. Und dann nochmals: Ja.

Wir erhoben uns von der Bank und sahen rundum, und dann gingen wir mit leisen Sohlen aus der Kirche. Als ich mich an der Pforte umkehrte, um das ungeheure Bild, so heiter es auch gefaßt war, ein letztesmal in mich aufzunehmen, war mir's, die Taube schwebe aus der Kuppel noch tiefer herab. Da wanderte nun auch durch das Halbdunkel im Raum ein goldner Schein. Aber die Farben des einen Gemäldes, das ich jetzt noch sehen konnte, brannten heller und stärker als vorhin, und dennoch erregten sie nicht das Gemüt, sondern das Herz wußte ich sicherer in der göttlichen Hut, die es nun wieder entließ in die laute Welt.

Wir gingen den anderen Weg zurück, jenen über den Flußsteg und durch die Au. Bald sahen wir das mächtige Stift liegen, ebenfalls auf einen Hügel hingebaut, wie eben die Jünger des heiligen Benedikt gern ihre Klöster auf den Höhen errichtet haben. Und bevor wir zu der Brücke kamen, die ihr Eisen in hohem Bogen über das Wasser schlägt, zeigte ich nach einer Stelle am Ufer und sagte: Hier standen die Stadeln. Die Eisenbahn hat die Traunschiff-' fahrt verdrängt. Doch die Welt ist so in ihrem Wandel.

Nur das Kloster ist geblieben, meintest du flüchtig; aber ich hörte viel mehr aus deinen Worten.

Und die Kirche zur göttlichen Dreieinigkeit, fügte ich leise hinzu.

Ohne daß wir es einer dem anderen vor-gemneht hätten, drehten wir uns gleichzeitig nach dVin Gotteshaus hin, das wir vor kurzem verlassen hatten. An diesem Platz war es unseren Blicken aber durch Sträucher und Bäume entzogen. Da gingen wir weiter, den Fluß entlang, und waren nicht etwa betrübt, weil uns versagt war, die Kirche mit ihren drei Türmen, ihrer Kuppel und ihrem weißen Mauerwerk noch einmal auf dem Hügel thronen zu sehen; denn wir trugen ihr Bild ja unauslöschlich in uns. Und so ist es noch heute.

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