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Die Knigshuser Europas

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Bei wertvollen Anlagen, die der Politiker von seiner Aszendenz übernommen hat, ist, neben den Spencer und den Churchill, den Pratt (Lord Camden) und den Russell, nicht der bürgerlichen Tugenden zu vergessen, die von weniger glänzenden Vorfahren aus Landjunker-, Pastoren- und Kaufmamwgeschleehtern und schließlich auch von Bauern ihren Ausgang nehmen. Ehe wir aber von den interessantesten Verfahren Churchills berichten, die sämtlich über die Stewart, Earis von Galloway auf der Ahnentafel erscheinen, seien noch zwei Tatsachen betont. Wenn auch erstens die Mutter Jerome in einen völlig andern Kreis führt, als den, dem der Vater, Lord Randolph, entstammte, so ist von diesem her eine, um in der biologischen Fachsprache zu reden, unbewußte Hochzüchtung auf gewisse führende Familien nicht zu verkennen. Schon in der Reihe der 64 Ahnen Lord Randolphs (also der 128 Sir Winstons) begegnen uns die Stuart-Stewart viermal, und neben diesem schottischen Urgeschlecht die englischen Spencer dreimal. Bemerkenswert ist ferner, und dabei dürfen wir auch der mütterlichen Ahnenschaft ein Gleiches zubilligen, die bis in verhältnismäßig entfernte Generationen zurückzuverfolgende „Bri-tannität“ einer Aszedenz, in der sich bis ins 17. Jährhundert zurück nur einige geringe, Einschüsse französischen Bluts finden, so durch die Champagne. Doch das Bild ändert sich, wenn wir, ebenfalls über den doppelten Ahnen, den 7. Earl von Galloway, über dessen Mutter Lady Catherine Cochrane, deren Mutter Lady Anne Murray und deren Graßmutter Lady Amelia Stanley, zu deren Eltern, dem 7. Earl von Derby und dessen Gemahlin, der hochgemuten, tapferen Französin Charlotte de La Tremoille, vorstoßen. Diese Dame, aus erlauchtestem Stamm, war mütterlicherseits Enkelin Wilhelms von Nassau-Oranien, des „großen Schweigers“, und einer Bourbon-Montpensier, väterlicherseits einer Montmorency. Und da heißt es nun, stets rückwärts suchend: Könige von Frankreich — auf legitimem und auf illegitimem Weg (über Agnes Sorel) —, Hohenstaufen, anderseits, östlich gewandt, ungarische Ärpäden, tschechische Pfemysliden, polnische Piasten, russische Rjurykiden, byzantinisch* Kaiserfamilien der Laskaris und der Komnenen. Dann erscheinen wiederum Herrscher des Heiligen Römischen Reichs, die fränkischen Salier und die sächsischen Kaiser (Ottonen), die Karolinger. Als Abwechslung, über Ärpäden, Piasten, Rjurykiden, Wege zu mehreren Zweigen der Nachkommenschaft des Cingis-Chan (Dschiingis-Chan) und zu anderen tatarischen Dynastien. Vom französischen Ast der byzantinischen Laskaris schlingen sich Blutbande zu den Lusignan (auf Zypern und vorher im Heiligen Land), zu armenischen Großen, Sehr häufig zeigen sich italienische Herrschergeschlechter, wie die Visconti, della Scala, Car-rarese, Dorla, Fiescbi, Gradenigo. Die spanisch-portugiesischem, königlichen und hochadeligen Vorfahren geleiten zum Cid, dessen authentischer vielfacher Nachfahre zu sein, sich Sir Winston, hätte er das gewußt, zweifellos sehr gefreut hätte. Die iberische Halbinsel eröffnet aber auch genealogischen Anschluß an christlichen spanischen Fürsten angetraute Töchter arabischer Dynastien. Führende britische, französische, iberische, italienische Staatsmänner des Mittelalters sind zu nennen, dann, über die Nassauer, der gesamte deutsche Hochadel, vom 15. Jahrhundert zurück.

Wer, der nicht mit den Geheimnissen der Ahnenforschung vertraut ist, schriebe dem großen Briten einen so bunten Ahnensaal in ferneren Aszendenzreiben zu? Es ist, als sollte er, der Verteidiger, die Verkörperung Old Englands, zugleich den Satz bestätigen, den ein kluger Amerikaner — ob nicht gar ein Verwandter mütterlicherseits? denn mit George Washington ist Churchill in Blutgemeinschaft — gesprochen hat; einen Sachverhalt, der gewissermaßen zum Motto unserer Zeit und der Zukunft geworden ist: one world. Jederlei Kontinentaleuropäer aus West, Mitte und Ost, Araber, Armenier, Mongolen, Indianer, erscheinen als Churchills, des Briten, Ahnen... Es fehlen allerdings die Neger, soferne nicht auch sie, was nachzuprüfen heute unmöglich wäre, auf irgendeinem Weg in die spanische Herrenschicht einen winzigen Erbanteil hineingetragen haben. Und damit sei von dem Gewaltigen Abschied genommen, auf den man, sehr vereinfacht, den Spruch anwenden darf, den er den England im kritischsten Augenblick der britischen Geschichte vor einer Invasion behütenden Fliegern gewidmet hat: „Noch nie haben so wenige Männer für so viele Menschen so viel getan.“ Wir behaupten nicht, übertreibend, noch nie habe ein Mann für so viele Menschen so viel getan. Doch es sind nicht gerade viele, die, aus der gesamten Weltgeschichte, mit Sir Winston Leonard Spencer-Churchill verglichen werden können. Und ihrer ein großer Teil gehört zu seinen Ahnen.

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