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Reichsgedanke - noch oder wieder aktuell?

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Die Europäer des 20. Jahrhunderts müßten sich mit dem abendländischen Reichsgedanken auseinandersetzen, schrieb vor einiger Zeit der Straßburger Europa-Abgeordnete Otto von Habsburg. Denn die Reichsidee, betonte er, sei nicht, wie das in der Zeit der Nationalstaaten seit Bismarck geschah, auf eine einzige Nation zu. beschränken. Die Aufgabe des Reiches war es vielmehr, als Klammer zwischen Völkern und Staaten zu wirken. Man könnte es heute am besten mit dem Begriff Commonwealth vergleichen. Unter diesem Gesichtswinkel verdient ein neues Buch über die Stellung Österreichs im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation Reachtung.

Welche Rolle spielte unser Land in den nahezu tausend Jahren, seit Kaiser Otto der Große das Sacrum Imperium neu gründete, bis zur Niederlegung der Reichskrone durch Franz II. 1806? Aus dem von Rayern aus errichteten Rollwerk gegen die Ungarn wurde unter den Rabenbergern Schritt für Schritt ein vom bayerischen Stammland unabhängiges Herzogtum (Privilegium minus) aufgebaut. Die Habsburger vereinigten dann durch eine kluge Politik immer mehr Herzogtümer und Königreiche, hatten dabei aber stets ihre Aufgaben als Herrscher des Reiches vor Augen.

So erwies sich Maximilian I. mit seinen Erwerbungen (Burgund) und Kriegen (gegen Frankreich) als hervorragender Kaiser. Aber schon sein Vater Friedrich III. hatte mit der Teilung der Hofkanzlei in eine des Reiches und eine österreichische erkennen lassen, wie sehr es ihm auch um die Wahrnehmung der Interessen seiner Erbländer ging. Karl V. fühlte sich ganz als Herrscher des Heiligen Reiches, hatte aber mehr Spanien, die Niederlande und die Länder der neuen Welt im Auge als die deutschen Gebiete, zu denen damals natürlich auch die habsburgischen Erbländer gehörten.

Reformation, Gegenreformation und der Westfälische Friede haben dann zur allmählichen „Ausschälung Österreichs aus dem Reich” beigetragen. Dem Kaiser standen nun die protestantischen Fürstentümer und die gestärkten Reichsstände selbstbewußter gegenüber. Die Türkenkriege unter Leopold I. galten der Verteidigung des Reiches im Osten, doch unter Karl VI. begann der Reichsgedanke in dem zur Großmacht aufgestiegenen Österreich zu versickern, und zur Zeit Maria Theresias rangierte in der Haupt- und Residenzstadt Wien das Schicksal des eigenen Staates klar vor der Sorge um das Reich.

Die französische Revolution und die napoleonischen Kriege verstärkten die nationalen Strömungen entscheidend und nach dem Frieden von Preßburg (1805) war das Ende des alten Reiches nur eine Frage der Zeit. 1804 wurde Österreich zum Kaiserreich erhoben. Die Niederlegung der Reichskrone durch Franz II. beendete die tausendjährige Existenz des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, zu dessen Formung und Geltung die von Österreich aus regierenden Habsburger so viel beigetragen hatten.

Die nach Zeitperioden gereihten Reiträge der neun Historiker, die dieses Buch gestaltet haben, zeigen die in der Geschichte unseres Landes wirkenden Strömungen und Zusammenhänge auf, wobei freilich einige sehr ins Detail gehende Passagen die Lektüre für den zwar interessierten, aber nicht mit den genealogischen Abläufen vertrauten Leser streckenweise erschweren. Dies wird jedoch durch geradezu spannend geschriebene Passagen voll wettgemacht. Die Autoren sind jedenfalls bemüht, die historischen Entwicklungen, die politischen Zielsetzungen und Denkrichtungen sachlich zu behandeln. Sie verfallen nicht der Versuchung, sich mit den auf Grund der jüngeren Vergangenheit häufig voreingenommenen Auslegungen der österreichischen Geschichte durch einseitige Gegendarstellung auseinanderzusetzen.

Weil das Zusammenleben verschiedener Völker und Staatsformen in unseren Tagen wieder zur großen gesamteuropäischen Aufgabe und Herausforderung geworden ist, kann eine Aufbereitung der österreichischen Geschichte, wie hier, für den interessierten Leser beitragen, die österreichische Rolle im künftigen Europa mit Selbstsicherheit, aber ohne Überheblichkeit zu beurteilen. Die Kaiserkrone in der Wiener Schatzkammer, für viele Besucher nur ein mit Juwelen besetztes Schauobjekt, hat Symbolkraft auch für die Zukunft.

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