WolfHaas - Porträt des Autors Wolf Haas - © Foto: Peter-Andreas Hassiepen

Ein Buch zum Lachen und zum Weinen: Wolf Haas' neuer Roman "Eigentum"

19451960198020002020

Mit der feinen Klinge des Humors zeichnet Wolf Haas in seinem neuen Roman „Eigentum“ ein Porträt seiner Mutter, das einem Nachruf gleich die Bilanz unerfüllter Träume darstellt.

19451960198020002020

Mit der feinen Klinge des Humors zeichnet Wolf Haas in seinem neuen Roman „Eigentum“ ein Porträt seiner Mutter, das einem Nachruf gleich die Bilanz unerfüllter Träume darstellt.

Werbung
Werbung
Werbung

Mit einem Schlag ist er wieder da, der Wolf-Haas-Ton, ein Singsang, schnoddrig und dabei hochgradig kalkuliert, nach einem klaren Sprachrhythmus organisiert. Sein neuer Roman ist respektlos und zärtlich, ein widersprüchliches Gefühlsgemenge ist darin bewahrt, wie es bald einmal der Fall ist, wenn von einem Menschen die Rede ist, der einem nahesteht und den man sogar liebt, mit dem man dennoch hadert. Die Mutter des Erzählers liegt im Sterben, und er setzt es sich zur Aufgabe – „aus einem inneren Zwang heraus“ – ihr Leben nachzuzeichnen. „Nachstricken“, formuliert er es, weil es besser passt zu einer Frau, die kurz vor ihrem 95. Geburtstag steht. Und wenn wir schon bei einem Wortkünstler wie Wolf Haas sind, bewegt sich der Begriff „nachstricken“ nicht weit von „nachtricksen“, was wiederum gut passt zu einem, der Literatur nicht als ein Abbildprojekt unserer Welt versteht, sondern als ein Verwandlungsinstrument, unsere Erfahrungen und Erinnerungen in Sprache zu bringen. Auf dem Weg vom Leben zur Sprache und also zur Literatur passiert eine ganze Menge, Unmittelbarkeit ist ausgeschlossen.

Dieses Wissen hat sich Wolf Haas, der sich intensiv mit der sprachkritischen Tradition in Österreich beschäftigt hat, gründlich angeeignet. Erinnerungssplitter sind pointensicher gearbeitet, auf Wirkung bedacht. Dazu kommt die Belesenheit des Verfassers, der mit seinem Wissen nie hinter dem Berg hält und Leseerfahrungen ins Buch einfließen lässt. Die werden aber nicht als Früchte eines fleißigen Lektürearbeiters übernommen, er macht aus ihnen jeweils etwas. Wittgensteins „Tractatus logico-philosophicus“ wird kurzerhand ins Lebenspraktische gewendet, um das Verhalten der Mutter zu erklären. Oder es zu verkomplizieren, denn wenn Wittgenstein „einen mit so viel Klarheit umnebelt“, kann das Wolf Haas auch, wenn er über die unberechenbaren Logiksprünge der alten Dame in „Stephen-Hawking-Pose“ ins Staunen gerät. Wolf Haas „wittgensteinelt“ nicht, um als kluger Adept eines bedeutenden Denkers durchzugehen, er holt Höhenflüge auf den Boden des Alltäglichen, und niemand wird unter seinem Niveau lachen. Denn das ist eine der Methoden, seine Leserschaft an sich zu binden, dass er das Große etwas kleiner macht, ohne es deswegen verächtlich zu behandeln. Dass eine Kellnerin „nach Art des roman nouveau“ argumentiert, ist im Kosmos des Wolf Haas Normalität. Sie hätte allen Grund gehabt, nach „furchtbaren Beleidigungen“ der Mutter Empörung zu zeigen, sie hat diese aber „nur aufgezählt und nummeriert“. Solche ironischen Volten werden geschlagen, es ist von Vorteil, wenn man als Leser selbst nicht unbewandert ist im Reich der Literatur, um mit den Anspielungen etwas anfangen zu können.

Leben im Sparmodus

Natürlich lässt sich der Roman als ein Buch über die Mutter lesen. Er ist nicht als Abrechnung gedacht, sondern als Rekonstruktion einer Biografie unter schwierigen Bedingungen. Die Frau kommt ja aus einfachsten Verhältnissen. Der Vater war Wagnermeister, was ihn in den Augen der Tochter adelte. „Soweit ich meine Vorfahren überblickte, war er der einzige mit einem erlernten Beruf.“ Das bedeutete allerdings nicht viel. Er hatte auf Abruf parat zu sein, wenn im Dorf ein Rad kaputtgegangen war und ein Bauer es dringend benötigte, um die notwendigen Arbeiten fortsetzen zu können. Mit der Bezahlung ließen sich dann alle Zeit, ein Leben in Armut war die logische Konsequenz. Die logische Folge für die Mutter des Erzählers ist, dass sie sich ständig benachteiligt und vom Leben schlecht behandelt fühlt. Das Sich-Schlechtfühlen gehört zum Dauerzustand, an den der Sohn sich gewöhnt hat.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung