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Wolf Haas hat in seinem Roman "Das Wetter vor 15 Jahren" die Liebesgeschichte in jene Form gepackt, die Medien so gerne haben: das Interview.

Interviews lese er "wahnsinnig gern", bekannte der Eigenmarketingprofi Wolf Haas - natürlich in einem Interview. Auch wer diese Leidenschaft nicht teilt und gedruckte Zwiegespräche wie Dramentexte oder Kabarettmitschnitte im Hörfunk doch als etwas - akustisch oder optisch - Amputiertes empfindet, muss zugeben, dass Wolf Haas seine selbst gestellte Aufgabe in "Das Wetter vor 15 Jahren" perfekt bewältigt hat.

Über zweihundert Seiten umfasst die Abschrift eines fünftägigen Interviews der "Literaturbeilage" mit einem Autor namens Wolf Haas. Thema ist ein reichlich sentimentaler Liebesroman, den man nicht kennt und auch nicht unbedingt lesen möchte. Nach und nach und mit durchaus raffinierten Mechanismen der Zeitverzögerung und Spannungssteigerung erfährt man all das, was inhaltlich in dem Roman stünde, wenn es ihn zu lesen gäbe.

Verliebter Wettkönig

Ein Mann namens Vittorio Kowalski verblüfft in "Wetten, dass ...?" mit seinem Wissen über die exakten Wetterverhältnisse, die in den letzten fünfzehn Jahren in einem kleinen österreichischen Bergdorf geherrscht haben. Der interviewte Autor berichtet, wie er das Schicksal recherchiert, das sich hinter dieser eigenartigen Obsession verbirgt. Vittorio hat als schüchterner Junge aus dem Ruhrgebiet seine Kindheitssommer in diesem Dorf verbracht und hier seine erste Kindheitsliebe erlebt; die erreichte in jenem Sommer vor fünfzehn Jahren ihren Höhepunkt, tragisch verquickt mit einem Unwetter und einem Todesfall. Das war das Aus für die junge Liebe, die Vittorio mit seiner Wetter-Manie gewissermaßen weiterlebt. Wir erfahren viel über Vittorio und seine Freundin, über ihre beiden Familien und noch über eine Reihe andere Figuren; wir erfahren, was der Autor alles wieder gestrichen und was er doch "dringelassen" hat, und wir erfahren das alles eben indirekt, so wie es die Figur Wolf Haas vor sich hinplaudert. Die wenigen Passagen, die "Literaturbeilage" zitierend vorliest, lassen jedenfalls nicht vermuten, dass hier von einem großen literarischen Wurf die Rede ist.

Intellektuelles Patt

Intentional scheint "Literaturbeilage" - sie ist weiblich, wie man bald deduzieren kann - die schlechteren Karten zu haben. Ihre Fragen sind oft überzogen dümmlich, sie muss dauernd "doof" oder gar "würklich" und "ürgendwie" sagen, darf als Piefke nicht wissen, dass Bregenz nicht in der Schweiz liegt und muss dem Autor absurde feministische Vorhaltungen machen. Da wollte sich der wirkliche Wolf Haas wohl ein wenig lustig machen über die Literaturkritik - zumal feministischer Prägung. Andererseits macht auch der Befragte keine besonders gute Figur. Er darf gängige Fremdwörter nicht verstehen, sucht immer wieder Schutz bei "ich weiß nicht, wie man das nennt"-Sagern und wirkt vor allem dort eher dürftig, wo er sozusagen poetologisch zu argumentieren versucht, weshalb er etwas so und nicht anders erzählen "musste". Intellektuell geht das Duell der beiden Kombattanten also durchaus pari aus.

Was die handlungsbezogene Spannung betrifft, die in den Gesprächsschleifen trotzdem erfolgreich aufgebaut wird, funktioniert das Buch absolut. Wenn man Romane nicht wie Wolf Haas - der Autor, nicht die Figur - generell als "zache" Angelegenheit im "08/15 Prosaton" empfindet, wird man allerdings einiges vermissen. Ästhetisch zum Beispiel, wenn man das heute noch so sagen darf. Es hat einfach schon etwas sehr "Zaches", in einem fort Floskeln lesen zu müssen wie: "Das ist eigentlich super", "Also ich bin jetzt nicht so sicher, ob sie mich verarschen oder was", "Mir gefällt das total gut" oder "Irgendwie hat das schon was".

Von der Logik des offenbar unbearbeiteten Interviewgesprächs ist das absolut legitim, aber zu einem Lesevergnügen lässt sich das, was vom Biertisch her recht vertraut klingt, nur etwas mühsam uminterpretieren. Ähnlich funktionierte natürlich auch die Strategie von Autoren wie Reinhard P. Gruber oder Eckehard Henscheid - nur hier ist es eben keine Strategie, die etwas anderes will, als sie zeigt, sondern sie will genau das, was sie zeigt und nicht mehr.

Vor kurzem stellte sich Karl-Markus Gauss mit Blick auf Thomas Glavinic sichtlich erstaunt die Frage nach dem Stil dieses Autors, der mit jedem neuen Buch sprachlich in eine neue Tonlage kippt. Der individuelle Stil, so Gauss, schreibt sich von Entwürfen des autonomen Autor-Subjektes im 18. Jahrhundert her; das brachte damals auch das Ende der so genannten "Schrift-Steller", also der Handbücher zum Erlernen von Stilformen und Sprachwendungen, die in unseren Tagen in Form von Dichterschulen und Schreibhandbüchern wieder auferstanden sind. Wenn man Schreiben im Sinn von literarischer Arbeit wesentlich für erlernbar hält, dann bezieht sich der pädagogische Ehrgeiz vor allem auf das Training multipler Stile. Mit einiger Übung lässt sich derselbe Sachverhalt ironisch, witzig, tragisch oder lächerlich wiedergeben. Den zeittypischen "Textingenieuren" (Wolf Haas, der Autor, über Wolf Haas, die Figur) scheint es einfach weniger um das zu gehen, was sie erzählen wollen, als darum, ein "originelles" Wie zu finden. Dabei darf allerdings der Vertrag mit dem Leser nicht wirklich in Frage gestellt werden, wie das der avantgardistischen Tradition vorgeworfen wird; vielmehr geht es darum, den reduzierten Codes und stereotypen Usancen der Alltagssprache auf "originelle" Art entgegen zu kommen, also gewissermaßen den "einfachen" Leser "abzuholen". So erwecken diese Bücher den Eindruck, leicht lesbar zu sein und vor allem unterhaltsam, und Fragen nach Sozialkritik oder auch nur Gesellschaftsanalyse, einst wesentlicher Bestandteil des literarischen Projektes, stellen sich nicht.

Nicht gegen die Konvention

Insofern liegt Wolf Haas ziemlich daneben, wenn er in einem weiteren Interview keck meinte: "Es ist eigentlich gar nicht erlaubt, dass man so schreibt ... es ist eben gegen die Konvention." Dort, wo es einst schmerzhaft wurde, verzichtet Das Wetter vor 15 Jahren ganz bewusst auf jede Auseinandersetzung mit Konventionen; die bleiben völlig unangetastet unter der "originellen" Präsentationsform "Interview", die Tag für Tag von der Fernsehshow bis zur Tagespresse fleißig eingeübt wird. Dafür überspringt der Zustrom zu Wolf Haas' Lesungen auch schnell die Tausendergrenze. Alles kann man eben nicht haben.

Das Wetter vor 15 Jahren

Roman von Wolf Haas

Verlag Hoffmann und Campe,

Hamburg 2006

223 Seiten, geb., e 19,50

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