Ludwig Tieck - © Foto: imago / United Archives

Ludwig Tieck, der König der Romantik

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Er galt als Wunderkind, später ging er als Dichter und ­Übersetzer in die ­Literaturgeschichte ein: zum 250. Geburtstag von Ludwig Tieck (1773‒1853).

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Er galt als Wunderkind, später ging er als Dichter und ­Übersetzer in die ­Literaturgeschichte ein: zum 250. Geburtstag von Ludwig Tieck (1773‒1853).

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„Es gibt eine Art, das ­gewöhnlichste Leben wie ein Märchen anzusehen, ebenso kann man sich mit dem Wundervollsten, als wäre es das Alltägliche vertraut machen.“ Die Verschmelzung der profanen Alltagswelt mit der Sphäre des Wunderbaren stand im Zentrum des dichterischen Werks von Ludwig Tieck. Sie bezog sich auf Träume, Fantasien, Rausch und die Sehnsucht nach dem Absoluten. Das Ziel war die Verzauberung des öden Alltagslebens.

Tieck war der „König der Romantik“, wie ihn Friedrich Hebbel nannte. Sein umfangreiches Œuvre umfasst zahlreiche Gedichte, Novellen, ­Romane, Volksmärchen, satirische Komödien und programmatische Texte, in denen er eine Theorie der Poetik formulierte. Zugleich war er auch als Übersetzer tätig. Tieck bemühte sich in seinem facettenreichen Schaffen nicht um ein geschlossenes Werk, sondern bevorzugte ein Denken im Fluss, das er für Korrekturen und Neupositionierungen offenhielt.

Märchenwelten

Geboren wurde Ludwig Tieck am 31. Mai 1773 als Sohn des wohlhabenden und gebildeten Seilermeisters Johann Ludwig Tieck und dessen Frau Anna Sophie in Berlin. Er galt als „Wunderkind“, das bereits mit vier Jahren die Bibel las und sich schon im jugendlichen Alter eine umfassende Bildung angeeignet hatte. Nach dem Besuch des Gymnasiums studierte Tieck Theologie, Geschichte und Philologie an den Universitäten in Halle, Göttingen und Erlangen.

1795 veröffentlichte er den Briefroman „William Lovell“, der von der zeitgenössischen Literaturkritik als ein Dokument eines radikalen Nihilismus bezeichnet wurde. Der Protagonist ist ein junger Engländer, der eine Bildungsreise nach Frankreich und Italien unternimmt, sich dabei stets als Zentrum der Welt betrachtet, bevor er realisiert, wie künstlich und hohl seine Person ist. Daraus entsteht eine tiefgehende Verzweiflung: „Gehe ich nicht wie ein Nachtwandler, der mit offenen Augen blind ist, durch dieses Leben? Alles, was mir entgegenkommt, ist nur ein Phantom meiner inneren Einbildung. Wüst und chaotisch liegt alles umher.“

In diesen Jahren war Tieck äußerst produktiv. Er verfasste Märchen wie „Ritter Blaubart“ oder „Der blonde Eckbert“. Im Mittelpunkt steht das Surreale, das für die rationale Welt der Aufklärung nicht zugänglich ist. Zauberworte sind das Wunderbare und das Geheimnisvolle, die im Märchen „Der blonde Eckbert“ dargestellt werden. Darin schildert Bertha, die Ehefrau Eckbergs, ihre Kindheit und Jugend, die sie in einer einsam gelegenen Hütte bei einer geheimnisvollen alten Frau verbrachte, nachdem sie vor ihren Eltern geflohen war. Diese hatten ihr vorgeworfen, nicht realitätstüchtig zu sein, sondern in einer Fantasiewelt zu leben. In der Gesellschaft der alten Frau, eines Vogels, der täglich Eier legte, in denen sich Perlen befanden, und eines kleinen Hunds verbrachte Bertha mehrere Jahre. Sie bildete sich „wunderliche Vorstellungen von der Welt und den Menschen“ ein. So imaginierte sie „den schönsten Ritter von der Welt und schmückte ihn mit allen Vortrefflichkeiten aus“. Im weiteren Verlauf erfolgt eine Steigerung der komplexen Handlung, die immer absurder wird und bis zu Mord und Wahnsinn führt.

Die Virtuosität von Tiecks literarischer Produktion seiner Frühzeit zeigt sich in dem dramatischen Märchen „Der gestiefelte Kater“, in dem das bornierte zeitgenössische Theaterpublikum verhöhnt wird. Der Held des Stücks ist der Kater Hinze, den Gottlieb – der Sohn eines Müllers – geerbt hat. Der Kater ist der Sprache mächtig und bittet um ein Paar Stiefel, die er erhält. Als Dank dafür verspricht Hinze, seinem Besitzer eine schöne Braut und ein Königreich zu verschaffen. Das reale Publikum, das ein seriöses Theaterstück erwartet, rätselt über die bevorstehende Aufführung: „Es wird doch wohl nimmermehr ein ordentlicher Kater aufs Theater kommen?“ – „Wie ich es mir zusammenreime, kommt ein verruchter Bösewicht, ein katerartiges Ungeheuer vor.“ Die Diskussionen steigern sich, es kommt zu tumult­artigen Szenen, in denen Slogans wie „Wir wollen guten Geschmack“ gerufen werden.

Der folgende Verlauf der Komödie nimmt das Absurde Theater von Eugène Ionesco oder von Arthur Adamov vorweg. Es treten folgende Figuren auf: ein Dichter, der nicht weiß, was guter Geschmack ist, ein König, der Kaninchenbraten liebt, und dessen Tochter, die für das Intellektuelle schwärmt, jedoch sprachlich defizient ist, des Weiteren Elefanten, Löwen, Bären, Gespenster und Affen. Die Reaktion des Publikums besteht darin, den Dichter dieser absurden Komödie „mit verdorbenen Birnen und Äpfeln und zusammen­gerolltem Papier zu bewerfen“.

1798 veröffentlichte Tieck den Künstlerroman „Franz Sternbalds Wanderungen“. Der Roman spielt in Nürnberg, wo Albrecht Dürer tätig war. Er ist das Vorbild für den Maler Franz Sternbald, der die Stadt verlässt, um in Deutschland, Holland, Frankreich und vor allem in Italien seine Kunst zu perfektionieren. Während seiner langen Wanderschaft trifft er auf verschiedene Künstler, mit denen er die für ihn zentrale Frage diskutiert: Wozu Kunst? Welchen Nutzen hat sie in der profanen bürgerlichen Welt? Die Antwort lautet: Die Kunst hat keinen Zweck. „Das wahre Hohe kann und darf nicht nützen; dieses Nützlichsein ist seiner göttlichen Natur ganz fremd und es fordern heißt, die Erhabenheit entadeln und zu den gemeinen Bedürfnissen der Menschheit herabwürdigen.“

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