Musikstadt Wien, Gaunertreff Bratislava

19451960198020002020

Wie Städte zu ihrem Image kommen und wie aus der Musikstadt die Weltstadt Wien wurde.

19451960198020002020

Wie Städte zu ihrem Image kommen und wie aus der Musikstadt die Weltstadt Wien wurde.

Werbung
Werbung
Werbung

Wien als Musikstadt ist jedem ein Begriff. Dabei ist dieses Stadtcharakteristikum nichts anderes als ein gut gelungener Marketinggag aus der Zwischenkriegszeit. Nach dem verlorenen zweiten Weltkrieg suchte die einstmals glanzvolle Metropole des Habsburgerreiches nach einem Stadtbild, das sich gut verkaufen und seinen Einwohnern ihren Stolz bewahren ließ. Bereits 1827 lud man Beethoven zielgerichtet nach Wien, um das Image der Musikhauptstadt zu kreieren. Die Rechung ist aufgegangen: heute sind die Wiener selbst von ihrer weltumfassenden Musiktradition überzeugt. Dabei ist die nichts anderes als ein vor noch nicht einmal hundert Jahren geschickt lancierter Marketinggag. Auf einer Tagung im Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) diskutierte unlängst ein internationales Podium die Kreation europäischer Hauptstadtbilder. Lutz Musners Wienbeispiel blieb im Vergleich der gelungenste Versuch.

Mit dem Slogan "Wien ist anders" gelang ein weiterer gravierender Imagewandel. Noch in der Nachkriegszeit hatten Hausmeister für gediegenes Biedermeiertum gesorgt, das heutige Nachtleben hätte sich damals keiner träumen lassen. Mit der Eröffnung des Bermudadreiecks und der Einführung von Silvesterpfad und ähnlichem kann sich auch die jüngere Stadtgeschichte mit einer erfolgreichen Verkaufsstrategie brüsten.

Matti Bunzl, nach Illinois in den USA emigrierter Wiener, kann österreichweit nur in Wien kosmopolitischen Flair erkennen. Er hat 1996 die erste Regenbogenparade in Wien mitinitiiert. Heuer marschierten bereits 30.000 Menschen, bunt gemischt in Homo-Hetero-Bisexuelle oder Lesben über die altehrwürdige Ringstraße. Nicht zufällig hatte schon die junge Arbeiterbewegung den Ring am 1. Mai als Paradestrecke gewählt, um die Inbesitznahme alter Strukturen zu demonstrieren. Universität, Burgtheater, Parlament, Staatsoper: nationale Heiligtümer reihen sich hier in respräsentativer Dichte aneinander. Auch die "Regenbogenparade" besetzte ganz bewußt den imperialen Bogen des Ringstraßenraums, um gegen Provinzialismus der Marke Haider anzukämpfen. National gefärbte Slogans wie "Ich bin ein echter Österreicher" sollten durch die buntgewürfelte, gutgelaunte, tanzende Menschenmenge im Sinne einer internationalen Bewegung der "kosmopolitischen sexuellen Subversion" erschüttert werden.

Den Jubel von hunderttausenden Passanten, sowie das gemeinsame Walzertanzen unkonventioneller Paarkombinationen am Schluß, wertet Bunzl als echten Erfolg. Wenn man bedenkt, wie stark die "Szene" noch vor zehn Jahren in Wien ausgegrenzt war, beweist die massive Akzeptanz des öffentlichen Auftritts der inhomogenen Masse am Ring eine metropolitane Geisteshaltung der Toleranz. Als einzig denkbarer österreichischer Schauplatz der "Regenbogenparade" hat Wien mit diesem Event an Weltstädte wie London, Paris oder Berlin aufgeschlossen.

Unheilvolle Geister Dort ist man gegenwärtig mit dem Maßschneidern eines passenden Images weniger erfolgreich. Klar und eindeutig ist nur eines: eine deutsche Stadt darf Berlin nicht wieder werden. Der Mythos des sozialistischen Ostens, der Unantastbarkeit der Geschichte als Reichshauptstadt und die alte historische Größe als preußische Metropole spuken als unheilvolle Geister aus einer belasteten Vergangenheit in Berlins Gegenwart. Kosmopolitisch soll das Attribut heißen, das die Welt mit Berlin zu verbinden hat. Das zu vermitteln, fällt alles andere als leicht. Vor allem dann, wenn im Wiederaufbau des alten kaiserlichen Schlosses die Träume von verlorenen nationalen Heiligtümern wieder aufleben.

Die multikulturelle Idee hat freilich einen weiteren Haken. "Es ist spezifisch deutsch, daß man sich immer unterscheiden muß von dem, was man sich aneignet. Frei nach dem Motto: "Wir sind keine Türken", charakterisiert Peter Niedermüller, Ethnologe von der Humboldt-Universität in Berlin, das Dilemma. Wien und Paris pflegen als historische gewachsene Schmelztiegel seiner Meinung nach traditionell einen gelasseneren Umgang mit anderen Kulturen.

Das Nationale spielt seit dem Aufkommen der Metropolenidee im 19. Jahrhundert bei europäischen Großstädten eine wesentliche Rolle. Sollten sie doch dazu dienen, das Bewußtsein brustschwacher, junger Staaten zu stärken, ihnen Identität und Selbstvertrauen geben. Nationale Einrichtungen wie Bibliotheken, Museen, Theater, Opernhäuser oder gebaute Manifestationen der Demokratie, wie Parlament oder Gerichtsbarkeit waren dabei wesentliche Elemente.

Aus der Art schlägt nach dieser Definition Bratislava. Zwar kann die Hauptstadt eines jungen Staates auf ein Opernhaus verweisen, weitere nationale Heiligtümer befinden sich in anderen Städten der Slowakei. Auch die Bevölkerung ist nicht wirklich verwurzelt: die meisten sind woanders geboren, und kommen nur zum Arbeiten in die frischgebackene Hauptstadt. Archäologe Stefan Holcik bemüht sich redlich in Publikationen auf die Geschichte der Stadt als Krönungsstätte der Könige Ungarns hinzuweisen. Immerhin war hier auch Maria Theresia in der Kirche St. Martin gekrönt worden.

Zur Imagepflege veranstaltet Bratislava alljährlich für Touristen Krönungsumzüge. Am meisten merkbaren Effekt hatten bisher allerdings zwei unterschiedliche Beurteilungen in den Medien. Die FAZ schilderte Bratislava als tristen, schmutzigen, hoffnungslosen Ort, während ein Film ein durchaus liebevolles Bild der slowakischen Hauptstadt zeichnete. Den Sommer darauf kamen viele Deutsche, um zu sehen, wie die Stadt denn wirklich sei. Im musikbegeisterten Wien ist der billige Opernbesuch im Hellmer & Fellner-Bau der absolute slowakische Touristenmagnet. Der internationale Ruf Bratislavas ist freilich ein anderer. "Kriminalität, Mafia, Schmuggel, billige Zahnärzte, Frisöre und günstige Ostblock-Mädchen", verbindet John Bornemann aus den USA mit der slowakischen Metropole. Das gewünschte Image zu kreieren, ist offenbar nicht so einfach.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung