Religiöse Symbolik und Wahrheit

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Zwei Bücher erzählen von der Möglichkeit, sich auf den Weg zu machen und seiner inneren Wahrheit zu begegnen. Es gibt auch das Recht auf Sommerlektüre mit Anspruch und Tiefgang.

Madonna war in Wien. Zehntausende Menschen unterschiedlichsten Alters sind ins Praterstadion gepilgert, jawohl gepilgert, um der "Hohen Priesterin des Pop“ (DER SPIEGEL) ihre Reverenz zu erweisen. Die Bühne als sakraler Raum, dominiert von einem gewaltigen Weihrauchfass. Hier ist nicht der Ort für eine Musikkritik, wohl aber für eine Wahrnehmung: Die in den folgenden zwei Stunden unaufhörlich und Sinne betäubend dahinströmende Bilderflut bedient sich überwiegend religiöser Symbole. Da erwächst aus der Projektion ein gewaltiger Kirchenraum, da schießen Glasfenster aus dem Boden, da strömen Kreuze, kabbalistische Zeichen und Symbole verschiedener großer und kleiner Religionen in den Nachthimmel. Da treten singende und tanzende Menschen in der Verkleidung von Nonnen und Priestern auf, da sind buddhistische, hinduistische und christliche Festgewänder im Einsatz, da wird gekniet und sich bekreuzigt und gebeichtet wie sonst nur in Taizé und Lourdes.

Suche nach Gemeinschaftsgefühl

Im Showbusiness ist nichts dem Zufall überlassen. Dafür geht es um viel zu viel Geld. Bei einer Bühnenshow dieses Ausmaßes geht es um Beeindruckung, Begeisterung, Überwältigung für eine möglichst große Schnittmenge im Publikum. Um die Schaffung von Gemeinschaftsgefühl. Also ist dieser hemmungslose Streifzug durch den Bilderfundus von Jahrtausenden religiös geprägter Kunst nicht als Ausdruck privater Obsession zu verstehen, sondern als Ergebnis genauen Kalküls. Die Menschen brauchen das Festliche, das Erhabene, das dem Alltag Entrückte. Wer an nichts mehr glaubt, der sucht spirituellen Halt bei Ersatzreligionen, bei Glücksverheißern aller Art.

Aber es gibt nicht nur die Oberfläche, sondern auch die Tiefe. Spiritualiät nicht als leicht konsumierbar Zusammengerührtes, sondern als Ausdruck tiefer Strömung, wo Glaube und Glauben nicht dem raschen Konsum zugehören, sondern dem sinnvollen Leben. Einem Leben auf der Suche nach dem Göttlichen im Selbst, geborgen in dem Unerforschlichen, Unerschöpflichen.

Brückenbauer und Wegesucher

Es gibt sie tatsächlich noch. Autoren, die etwas zu sagen haben. Bücher, die mehr sind als Lektüre. Markus Schlagnitweit und Matthias Beck, beide Theologen in Österreich, beide streitbereite, brillante Diskussions- und Gesprächspartner, haben solche Bücher geschrieben, und es ist kein Zufall - wenn auch eine Überraschung -, dass beide in den letzten Wochen und Monaten in den Bestsellerlisten aufgetaucht sind. Die Cover der beiden Bücher - BODEN UNTER DEN FÜSSEN von Markus Schlagnitweit und LEBEN - WIE GEHT DAS? von Matthias Beck - zeigen Wege, Brücken, auf denen sicheren Fußes gehen kann, wer sich ihnen anvertraut. Sich anvertrauen heißt zuhören, heißt hineinlesen in diese tiefen Gedanken, heißt sich auseinandersetzen mit dem, was hier - fundiert auf theologischem Bewusstsein und unerschütterlicher Überzeugung - an Denkaufgaben gestellt wird. Markus Schlagnitweit hat das Gehen zu einem Lebens-Mittel erhoben, nicht das Pilgern in der großen Gruppe, sondern das auf sich konzentrierte Bewältigen großer Wegstrecken, das Erforschen biblischer Pfade, das Aufsuchen der kristallenen Einsamkeit, die Begegnung mit Menschen und die beunruhigende Begegnung mit dem Wissen, das im Gewissen steckt.

Matthias Beck, renommierter Arzt und engagierter Priester, findet in der Suche nach dem Zusammenhang zwischen Naturwissenschaft und Religion vieles, was verblüfft. Er hält ein leidenschaftliches Plädoyer für die Selbstbestimmtheit, aber auch für den Respekt vor dem Leben; ein Plädoyer, es sich nicht zu einfach zu machen, nicht im Karl Krausschen Sinne "es sich zu richten“, sondern den Sinnauftrag des Lebens ernst zu nehmen; nicht besserwisserisch und erkenntnisleugnend der Schöpfung ins Handwerk zu pfuschen, sondern sich einzulassen auf die Vielfalt und Transzendenz.

Diese beiden Bücher bieten geistiges Rüstzeug, es sind jene selten gewordenen Lektüreerlebnisse, nach denen man bereichert aus dem Lesesessel aufsteht, gespickt von den Widerhaken des Gedachten, erfüllt von dem Nachklang aufgespannter Räume des Glaubens. LEBEN - WIE GEHT DAS? und BODEN UNTER DEN FÜSSEN verführen zum Nach-Denken, zum eigenständigen Weiter-Denken. Und so ganz nebenbei sind sie in ihrer unterschiedlichen Gemeinsamkeit ein glänzendes Verweissystem auf die Fundamentalität der Zehn Gebote als eine knappe Anleitung zu - nun, tatsächlich zu einem besseren Leben. Längst nicht mehr in Stein gehauen, und doch unverwüstlich.

Die Sehnsucht der Menschen nach den Werten hinter der glitzernden Oberfläche ist unzerstörbar, die spirituellen Symbole der Madonna und die von ihrer Bühnenshow mitgerissenen Publikumsmassen sind ein Indiz dafür und für die Fülle von Fragen, auf die es allerdings im Popkonzert keine Antworten gibt. Doch es gibt sie tatsächlich noch, die besonderen Bücher, die wirklich Antworten bieten und die Menschen begleiten.

Markus Schlagnitweit

Boden unter den Füßen

Aufforderung zur Unruhe

ISBN: 978-3-222-13349-7,192 Seiten, 19,99 €

Matthias Beck

Leben - Wie geht das?

Die Bedeutung der spirituellen Dimension an den

Wendepunkten des Lebens

ISBN: 978-3-222-13351-0, 232 Seiten, 19,99 €

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