Schlesien ist nicht gewesien

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Vier Musiktheater in Tschechien und Polen: einst eine blühende Opernlandschaft, heute noch immer Terra incognita. Wolfgang Bahr hat sie erkundet.

Am 21. Dezember 2007 sind die Grenzbalken auch zwischen Staaten des ehemaligen Ostblocks gefallen - eine Einladung, lang verschüttete Zusammenhänge neu zu entdecken. Als eines der Ziele bietet sich Schlesien an, das seit 1742 in ein großes preußisches, heute polnisches und ein kleines österreichisches, heute tschechisches gespalten ist. Man erkennt auch an der Architektur der Opernhäuser: In Ostrau und Troppau waren Architekten und Ausstatter aus Wien am Werk, in Beuthen und Breslau solche aus Berlin.

Mit Ostrava verbindet man kaum Kunstgenüsse, und in der Tat empfangen den aus Wien Kommenden als Erstes stillgelegte Hochöfen. Doch beim Betreten des Dvorák-Theaters fühlt sich der Altösterreicher sofort heimisch. Das prächtig renovierte Haus mit seinem geräumigen Foyer ist das Schmuckkästchen unter den vier Opernbühnen der Region.

Auf der Bühne begibt sich an diesem Abend zum letzten Mal "Cyrano de Bergerac" von Franco Alfano, dem Vollender von Puccinis "Turandot". Fehlen auch Ohrwürmer wie beim großen Zeitgenossen, so bietet das Werk doch packendes Musiktheater. In der Koproduktion des Mährisch-Schlesischen Nationaltheaters mit dem Staatstheater Karlsruhe sind die männlichen Hauptrollen Italienern anvertraut; gesungen wird wie auch in Troppau und Breslau in der Originalsprache mit Übertiteln in der Landessprache.

Als Nächstes wird mit Karlsruhe "Ariadne auf Naxos" produziert, ansonsten überwiegt wie in den anderen Häusern das romanische und slawische Repertoire. Auffällt, dass im Spielplan kein einziges Werk des im nahen Hukvaldy geborenen Leoš Janácek aufscheint. Dafür unterhält das auf zwei Bühnen agierende Theater neben dem Opern-, Ballett- und Schauspielensemble ein eigenes für die Operette.

Tsu-Gabe in Troppau

Liegt das Národní divadlo moravskoslezské genau genommen in Mährisch- und nicht in Schlesisch-Ostrau, so befindet sich das Slezské divadlo Opava im Herzen der Hauptstadt des einstigen Kronlandes. Das so wie alle schlesischen Bühnen mit einer dünnen Finanzdecke kämpfende Haus ist ebenfalls ein Mehrspartentheater. Umso mutiger, dass man auch hier Raritäten wie den "Postillon von Lonjumeau" oder die japanische Nationaloper "Yuzuru" von Ikuma Dan ansetzt. Dass die an Orpheus und Eurydike gemahnende Geschichte vom Kranich Tsu ihren Weg in die tschechische Provinz gefunden hat, ist der japanischen Ehefrau von Dirigent Jan Snítil zu verdanken. Eine ideale Oper für das intime Haus, in dem einst eine Lotte Lehmann und ein Erich Kunz gesungen haben.

Vermittelt Troppau trotz peripherer Lage den Eindruck relativen Wohlstands, so Bytom jenseits der polnischen Grenze einen absoluter Depression. Mehr noch als in Ostrau, Troppau oder Breslau holt einen im Kohlerevier zwischen Auschwitz und Tschenstochau die Geschichte, aber auch die Gegenwart ein: In der Fußgängerzone lagert ein Bettler und der Notausgang im Hotel ist versperrt. An der Aufzugtür freilich sind die Namen der Finalisten des Gesangswettbewerbs notiert, die an diesem Abend ihr Schlusskonzert in der Opera ´Slaska geben. Und die ist, mit Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland, fein herausgeputzt.

Belcanto in Beuthen

Die Preisverleihung beginnt mit dem Abspielen einer Schallplatte - Adam Didur, nach dem der Wettbewerb benannt ist, war einer der ersten Sänger, dessen Stimme festgehalten wurde. 1945 hat er die Beuthener Oper nach Vertreibung der Deutschen mit ihrerseits aus Lemberg geflüchteten polnischen Künstlern neu begründet. Man gastiert so wie alle Opernensembles der Region viel in der Umgebung und fallweise auch weit weg.

Zwei Wege in Breslau

An diesem Abend kann Hausherr Tadeusz Serafin, noch länger als sein Namensvetter Harald im Amt, unter den Juroren zwei Sänger begrüßen, die wie Adam Didur eine Weltkarriere absolviert haben: Stefania Toczyska und Wiesaw Ochman. Den Sieg im Sängerstreit davongetragen haben die souveräne Australierin Elena Xanthoudakis und der erzkomödiantische Litauer Li ¯udas Mikalauskas. Eindrucksvoll der stimmstarke und -schöne Chor des Hauses, enttäuschend hingegen das jedes Brio vermissen lassende Orchester.

Gerade dem Orchester wird in Wrocaw besondere Aufmerksamkeit gewidmet, steht die Hausherrin doch immer wieder selbst am Pult. Ewa Michnik hat in Wien einen Meisterkurs bei Hans Swarowsky besucht und war von 1981 bis 1995 Opernchefin in Krakau. Dort gebe es keine große Musiktradition, hier in Breslau hingegen sehr wohl und sie habe sich - wie in Bytom vor allem durch die Zuwanderung aus Ostgalizien - auch nach dem Exodus der Deutschen erhalten. Nach 1945 fanden hier die meisten Uraufführungen polnischer Opern statt, und zu Krzysztof Pendereckis 75. Geburtstag bringt man dessen "Verlorenes Paradies" neu heraus.

Barock im Shopping-Center

Ewa Michnik sprudelt vor Einfällen, vermag sie aber auch umzusetzen. Während der zehnjährigen Generalsanierung des Hauses spielte sie in der barocken Aula Leopoldina, in Kirchen und gar auf dem Dach eines Einkaufszentrums. Alljährlich im Juni steigt ein Open-Air-Spektakel an der Oder und im Oktober eine Produktion in der gigantischen Jahrhunderthalle - legendär der dort aufgeführte komplette "Ring", der erste nach 70 Jahren. Diese Großproduktionen locken dann ein junges, opernfernes Publikum ins Opernhaus.

Um diese Klientel nicht zu enttäuschen, bietet die Opera wrocawska auch moderne Inszenierungen an, doch Ewa Michnik bekennt sich zu "zwei Wegen" und erläutert dies an Werken von Stanisaw Moniuszko: ",Halka' können wir auch modern spielen, und wir tun es, aber im, Gespensterschloss' ist es auch für die Jugend interessant, wie sich die Polen im 18. Jahrhundert gekleidet und verhalten haben." Sie bekennt sich auch zur Personalunion von künstlerischer und kommerzieller Leitung; als Künstlerin falle es ihr unvergleichlich leichter, Sponsoren für bestimmte Produktionen zu gewinnen.

"Auf in den Kampf, Torero" heißt es abends in einer sorgfältig einstudierten und realisierten "Carmen", und das muss wohl eine Lieblingsarie der so sanft wirkenden Prinzipalin sein. Denn ihre Entschlossenheit, das Breslauer Opernhaus wieder in der Kategorie etwa der Semperoper zu positionieren, ist unverkennbar. Schlesien ist nicht gewesien, es ist wieder im Kommen.

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