"Totschweigen ist das Schlimmste“

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Zwölf Jahre ist es mittlerweile her, dass das Leben von Inge Danemann-Zöch durch einen nächtlichen Telefonanruf aus den Fugen geriet: Ihr Sohn Peter war tödlich verunglückt. Über den Schmerz der Trauer und die Sehnsucht nach einem Ende der Sprachlosigkeit.

Es ist Montag, der 26. Juni 2000: Eine Gruppe frisch gebackener Maturantinnen und Maturanten aus Niederösterreich erkundet auf Motorrädern die griechische Insel Rhodos. Unter ihnen der 19-jährige Peter Zöch, der auf dem Sozius eines Kollegen aus der Parallelklasse Platz genommen hat. Als die beiden gegen halb acht Uhr abends eine Kreuzung passieren wollen, kommt es zur Tragödie: Ein junger griechischer Lkw-Fahrer missachtet eine Stopp-Tafel und rammt das Motorrad mit seinem tonnenschweren Gefährt. Die zwei Burschen sind auf der Stelle tot.

Sechseinhalb Stunden später, um zwei Uhr nachts, läutet im Haus der Familie Danemann-Zöch in Hausleiten bei Stockerau das Telefon. Eine der beiden Töchter hebt schlaftrunken ab. Am anderen Ende der Leitung meldet sich ein Mitschüler von Peter, der dringend die Mutter sprechen will. "Ich höre es jetzt noch genau“, erzählt die 58-Jährige und ringt um Fassung: "Er hat gesagt: Der Peter hat einen Unfall gehabt. Der Peter ist im Spital. Der Peter ist tot.“ Kein Polizist, kein Lehrer, kein Honorarkonsul habe ihr das zu sagen gewagt. Nur dieser mutige junge Mann, der - bewusst oder unbewusst - das Unfassbare in drei Etappen formulierte. Nach dem Telefonat geht Inge Danemann-Zöch eine Ewigkeit lang auf und ab. "Lieber Gott, bitte lass es nicht wahr sein!“ murmelt sie vor sich hin - bis sie irgendwann vor Erschöpfung einschläft.

Vom Glück der Verabschiedung

Tags darauf kontaktiert sie Karin Böck, jene Krankenschwester, die sich als Mitarbeiterin des Hilfswerks lange Zeit um ihren pflegebedürftigen Schwiegervater gekümmert hat und gerade eine Ausbildung zur Trauerbegleiterin absolviert (vgl. SINN:BILD in FURCHE Nr. 28). Mit ihrer Hilfe schafft es die geschockte Mutter, den Transport ihres Sohnes nach Österreich zu organisieren und einen Tag vor dem Begräbnis - gegen den erklärten Willen des Pfarrers - den Sarg zu öffnen. "Der hat das als Störung der Totenruhe betrachtet“, erinnert sie sich. "Doch für mich war es wichtig, noch einmal mein Kind zu sehen.“ Ganz friedlich, ohne große sichtbare Verletzungen sei ihr Peter dagelegen. Sich auf diese Weise von ihm verabschieden zu können, das habe neben allem Schmerz ein "großes Glücksgefühl“ in ihr ausgelöst.

Als sie das erzählt, kommen wieder die Emotionen hoch. Zwölf Jahre ist die Tragödie nun her, doch darüber sprechen könne sie nur selten. "Am Anfang will jeder wissen, wie das alles passiert ist“, lautet ihre Erfahrung. "Aber später ist das Thema tabu. Keiner fragt mehr, wie es geht, nicht einmal in der Familie wird darüber gesprochen.“ Mit dieser Zurückhaltung will man Trauernde vermeintlich schützen und "keine Wunden aufreißen“, wie es so schön heißt. Doch insgeheim schützt man wohl sich selbst. Die Wunde jedenfalls klafft unaufhörlich.

Um nicht verrückt zu werden, geht Inge Danemann-Zöch damals, im Jahr 2000, gleich nach dem Begräbnis wieder arbeiten. In der Außenstelle der Niederösterreichischen Nachrichten in Korneuburg, wo sie als Verkaufsleiterin für das Weinviertel tätig ist, trifft sie kurze Zeit später Landeshauptmann Erwin Pröll. Sie erzählt ihre Geschichte - und sie berichtet davon, dass in dieser dunklen Nacht im Juni niemand da war, der ihr in ihrem Schock beigestanden ist.

Das Gespräch fällt auf fruchtbaren Boden: 2001 wird das Psychosoziale Akutteam des Landes Niederösterreich gegründet, das mit der Krisenintervention des Roten Kreuzes eng kooperiert. Inge Danemann-Zöch wird ob ihrer Initiative vom ORF Niederösterreich zur "Persönlichkeit des Jahres 2000“ gekürt.

Schon davor hat sie mit zwei anderen verwaisten Müttern aus Hausleiten eine Selbsthilfegruppe gegründet, um die bleierne Sprachlosigkeit gegenüber trauernden Menschen aufzubrechen. Regelmäßig tauschen sich bis zu 25 Frauen - darunter auch die Mutter des zweiten in Griechenland verunglückten Burschen - über ihre Gefühle aus. Dass sich bislang nur drei Männer hierher wagten, komme nicht von ungefähr, meint Inge Danemann-Zöch, die im Laufe der Jahre auch eine Ausbildung zur Trauerbegleiterin absolviert hat: "Männer trauern anders, sie verdrängen öfter. Daran zerbrechen leider viele Ehen.“ Ihr eigener Mann Christian habe zum Glück immer versucht, sie zu unterstützen - zugleich aber auch seine eigene Hilflosigkeit eingestanden.

Ein gutes, letztes Bild bewahren

Am 11. Mai 2011 ist diese große Stütze allerdings weggebrochen. Als sie abends von der Arbeit nach Hause kommt, findet sie ihren Mann, dem aufgrund einer Diabeteserkrankung ein Bein amputiert werden musste, tot am Fuß einer Stiege im Garten liegen. Der genaue Unfallhergang ist bis heute ungeklärt. Danemann-Zöch ist erschüttert: Mithilfe ihres Wissens aus der Trauerarbeit versucht sie, dieses schreckliche Bild aus ihrem Kopf zu bekommen, um weiterhin im gemeinsamen Haus leben zu können. So oft wie möglich fährt sie in die Aufbahrungshalle, um ein anderes "letztes Bild“ von ihrem Mann zu erhalten. Sie schafft es - wieder mit der Hilfe von Karin Böck.

"Wenn der Partner stirbt, dann fehlt einem die Schulter, an die man sich anlehnen kann. Aber wenn das eigene Kind stirbt, dann stirbt ein Teil von einem selber mit“, sagt sie heute über ihre Trauererfahrungen. Was sie trotzdem aufrecht halte, seien der "feste Glaube an ein Danach“ - und schöne Erinnerungen: Zum Beispiel an das gemeinsame Pizzaessen, bei dem sich ihr Sohn immer über das Quietschen der Schwammerl beim Kauen amüsiert habe; oder der Moment, wenn sie beim Lied "Time To Say Goodbye“ an ihren Mann denkt. "Ansonsten muss das Leben weitergehen“, sagt sie. "Man darf aber nicht so tun, als ob es die Verstorbenen nie gegeben hätte. Sie totzuschweigen ist das Schlimmste.“ Umso leidenschaftlicher appelliert sie an Freunde oder Verwandte trauernder Menschen, ihre ängstliche Sprachlosigkeit zu überwinden. "Natürlich bricht bei solchen Gesprächen immer etwas auf“, ist sie überzeugt. "Aber sie tun zugleich unendlich gut.“

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