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Akten, Fakten…

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Literatur zur Kriegsschuldfrage 1914

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Literatur zur Kriegsschuldfrage 1914

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Am Jahrestag der Ermordung des österreichischen Thronfolgers wurde im Jahre 1919 der Friedensvertrag von Versailles unterzeichnet. Das war ein düsteres Vorzeichen des Geistes, der das Friedenswerk der Sieger beherrschte. Die Pariser Vorortsverttäge waren auch die ersten Friedensschlüsse der Staatengeschichte des christlichen Abendlandes, die nicht im Namen Gottes, des Allmächtigen, abgeschlossen wurden. Der Friedensvertrag mit Oesterreich wurde am 10. September 1919 in St. Germain, mit Ungarn am 4. Juni 1920 in Trianon abgeschlossen.

Diese Friedensverträge enthielten einen. Kriegsschuldparagraphen — der Versailler Vertrag den Paragraphen 231, der Vertrag von St. Germain den Paragraphen 177 —, der den Besiegten mit der Alleinschuld am Ausbruch des Weltkrieges belastete. Auch diese Art der Behandlung des Unterlegenen war neu in der europäischen Geschichte. Das neunzehnte Jahrhundert hatte eMmals einen solchen Vorgang in Nordamerika erlebt, wo der Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 mit der moralischen Verdammung der besiegten Südstaaten nach einer totalen Kapitulation abgeschlossen wurde.

Gegen die mit Gewaltandrohung erpreßte Unterschrift unter das Schuldbekenntnis erhob sich in Deutschland, Oesterreich und Ungarn energischer Widerstand, der sich in ununterbrochenen Protestkundgebungen amtlicher und öffentlicher Art kundtat. Die besiegten Staaten und Völker, vor allem Deutschland und Oesterreich, machten alle Anstrengungen, um die moralische Verurteilung abzuwehren.

Das wichtigste Mittel, die Unhaltbarkeit der ungeheuerlichen Anschuldigung zu beweisen, war die Aufklärung der Kriegsursachen durch Veröffentlichung der einschlägigen Akten. Die bolschewistische Regierung ging mit der Oeffnung der. Archive voran, da sie ein Interesse an der Belastung der zaristischen Regierung hatte. Deutschland und Oesterreich folgten als nächste; später erst gingen auch die Sieger an die Herausgabe von Aktenmaterial.

Die umfangreichste Aktenpublikation wurde von Deutschland herausgegeben unter dem Titel „Die große Politik der europäischen Kabinette 1871 bis 1914" Berlin, 1921 bis 1927, die in vierzig Bänden die Akten des deutschen Auswärtigen Amtes der Oeffentlich- keit unterbreitete. Diese große Aktenausgabe wurde vorbildlich für die übrigen Staaten. England folgte mit den „British dbcuments on the origins of the war 1898 to 1914" 1927 bis 1938, Frankreich mit den „Documents diplomatiques francais 1871—1914" 1929 bis 1936. Im Jahre 1930 erschien die von Ludwig Bittner und Hans Uebersberger redigierte österreichische Aktenpublikation in acht Bänden unter dem Titel: „Oesterreich-Ungams Außenpolitik von der bosnischen Krise bis zum Kriegsausbruch 1914." In sechs Bänden kam eine russische Aktenpublikation zwischen 1931 und 1935 heraus unter dem Titel: „Die internationalen Beziehungen im Zeitalter des Imperialismus." Auf serbischer Seite erschien, von Boghitschewitsch herausgegeben, „Die auswärtige Politik Serbiens 1903 bis 1914" Berlin, 1928 bis 1931. Italien begann mit der Aktenpublikation erst nach dem zweiten Weltkrieg. Die bis jetzt erschienenen beiden Bände, der „Documenti diplomatici italiani" enthalten jedoch nur Material zur unmittelbaren Vorgeschichte des zweiten Weltkrieges Bd. XII und XIII, 195253. Neben den großen amtlichen Aktenpublikationen erschienen zahlreiche Einzelveröffentlichungen von Akten und die sogenannten „Farbbücher".

Außer diesen Aktenpublikationen trugen Erinnerungswerke führender Persönlichkeiten aller am Kriege beteiligt gewesener Staaten und Völker, wie zahlreiche kritische Untersuchungen namhafter Historiker und Juristen zur Klärung des Problems bei. Eine Einzelaufzählung ist in diesem Rahmen nicht annähernd möglich. Wichtig war, daß sich in den Reihen der Sieger frühzeitig Stimmen gegen die Kriegsschuldlüge erhoben.

In England wandte sich gegen die Kriegsschuldlüge die „Union of democratic control", der u. a. der liberale Politiker C. T r e v e 1- y a n und der Führer der Arbeiterpartei, Mac- d o n a I d, angehörten. Publizistisches Organ war die Zeitschrift „Foreign Affairs", die auch heute noch großes Ansehen genießt. Von besonderer Bedeutung war, daß sich auch in Frankreich das Gewissen rührte und ernsthafte Historiker für Wahrheit und Recht sich einsetzten. Hier seien genannt: P. Renouvin und C. Bloch, die die Zeitschrift „Revue d’histoire de la guerre mondiale" herausgaben 1923 ff.; ferner: Renouvin : Les origines immediates de la guerre 1925; Ebray : La paix malpropre 1925; Demartial: Les responsabilites de la guerre 1930.

Von großem Gewicht für die Ueberwindung der Kriegsschuldlüge war das Eintreten bedeutender amerikanischer Historiker und Politiker für eine Revision des Kriegsschuldproblems. An erster Stelle standen und stehen von den Politikern der republikanische Senator Borah f, von Historikern G. E. Barnes mit seinem Buch: Genesis of the world war 1926; F. B. F a y : The origins of the world war 1928, B. E. Schmitt: The coming of the war 1930; Cochran : Germany not guilty 1931. Auch das Werk des Norwegers ‘ H. H. A a 11: „Neutrale Gelehrte Zur Kriegsschuldfrage" deutsch, 1927 muß genannt werden.

Auf deutscher Seite muß vor allem die Zeitschrift „Die Kriegsschuldfrage", herausgegeben zvon A. v. W e g e r e r, hervorgehoben werden sowie dessen Buch: „Der entscheidende Schritt zum Weltkrieg" 1931; vom gleichen Autor erschien: per Ausbruch des Weltkrieges 1914, 2 Bände, Hamburg, 191; ferner Hermann O n c k e n : „Das deutsche Reich und die Vorgeschichte des Weltkrieges" 1933.

Frühzeitig stellte sich heraus, daß der Schlüsselpunkt für die Entstehung des Weltkrieges in Serbien lag, sowie bei der panslawistischen Partei Rußlands. Die Forschung ist auf diesem Gebiet noch nicht völlig abgeschlossen. Das vorliegende. Gesamtbild, das sich im wesentlichen nicht mehr ändert, sondern lediglich noch in Einzelzügen durch neue Forschungsergebnisse ergänzt werden kann, ist ein eindeutiger Beweis für die Schuld der Panslawisten und der serbischen Nationalisten am Ausbruch des Weltkrieges. In beiden Fällen sind die Regierungen in hohem Grad mitverantwortlich für das Treiben der Kriegshetzer und Terrorgruppen. „Der Prozeß gegen die Attentäter von Sarajewo" aktenmäßi dargestellt von Professor Pharos, Berlin 1918 lieferte dafür die ersten Unterlagen. Es stellte sich heraus, daß die Lösung der Kriegsschuldfrage in erster Linie von der Klärung der Hintergründe des Thronfolgermordes abhing. Die österreichischen, serbischen und russischen Veröffentlichungen erbrachten auch den Beweis für die Kriegsschuld Serbiens und der panslawistischen Partei.

An wichtigen Veröffentlichungen seien u. a. auf gezählt:

R. Goos: Das Wiener Kabinett und die Entstehung des Weltkrieges; Wien 1919;

A. F. P r i b r a m : Die politischen Geheimverträge Oesterreich-Ungarns, Wien 1920;

A. F. P r i b r a m : Austrian Foreign Policy, London 1923;

W. G i e s 1 : Zwei Jahrzehnte im Nahen Orient, Berlin 1927;

E. v. Glaise-Horstenau: Die Katastrophe, Zürich 1920;

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