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Auf dem Reformweg

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Bei der häufig emotionellen Beurteilung der Lage in Nordirland werden die konkreten Fakten des inzwischen angelaufenen Reformprogramms allzuleicht übersehen. Seit der Inkraftsetzung des Wahlgesetzes von 1969 am 25. November vorigen Jahres sind alle Staatsbürger Nordirlands über 18 Jahren sowohl bei Kommunal- wie bei Parlamentswahlen wahlberechtigt. Inzwischen hat ein neutraler Prüfungsausschuß die Situation auf dem kommunalen Sektor geprüft und kürzlich seinen Bericht veröffentlicht. Sobald dieser Bericht von allen Beteiligten gründlich erörtert worden ist, wird die Regierung Entscheidungen treffen. Dann werden von einer unparteiischen und unabhängigen Kommission die Wahlkreisgrenzen neu festgelegt werden. Auf dem Wohnungssektor wurden seit Ende des zweiten Weltkrieges von der öffentlichen Hand Zehntausende von Wohnungen geschaffen. In einigen Fällen jedoch führt das Zuteilungssystem zu Bedenken, die öffentlichen Unmut erregten. Dabei muß gesagt werden, daß Nordirland, was den Wohnungsbau betrifft, bei Berücksichtigung der Bevölkerungszahlen besser abschneidet als das übrige Großbritannien.

Und heute gilt als einziges Kriterium für die Zuteilung von Wohnraum die Bedürftigkeit.

In den nächsten fünf Jahren sollen 73.500 Wohnungen gebaut werden, was einer Steigerung um 30 Prozent gegenüber den letzten fünf Jahren entspricht. Nur wenige Länder können hier mit ehrgeizigeren Programmen aufwarten. Zur Zeit werden besondere Maßnahmen getroffen, um dem Gebiet von Londonderry edn neues Aussehen zu geben. Die Londonderry Development Commission, die am 5. Februar letzten Jahres auf Grund einer Verordnung ernannt wurde, arbeitet intensiv an einem Generalplan. Dieser sieht in diesem Gebiet für etwa die nächsten zehn Jahre Investitionen in Höhe von 110 Millionen Pfund vor. Dabei hat die Schaffung von Wohnungen und Arbeitsplätzen Vorrang.

Es ist vielleicht nicht allgemein bekannt, daß Nordirland heute eher eine Industrie- als eine Agrarwirt-schaft besitzt In den Nachkriegsjahren wurde mit großem Erfolg ein Programm zur industriellen Entwicklung durchgeführt: Mehr als 260 Unternehmen gründeten neue Betriebe mit rund 80.000 neuen Arbeitsplätzen — eine Zahl, die auf 100.000 ansteigen wird, sobald alle Betriebe voll arbeiten. Die neuen Firmen sind in erster Linie britische Unternehmen, doch haben sich auch mehr als 30 amerikanische Konzerne, aber auch französische, deutsche und niederländische Unternehmen dort niedergelassen.

Das Tempo der Industrialisierung zeigt sich in den gesunden Handelszahlen, wobei sich die Ausfuhren 1968 auf 590 Millionen Pfund beliefen; das ist edn Anstieg von 83 Millionen Pfund oder 16 Prozent gegenüber dem vorhergehenden Jahr. Die

Zahlen für 1969 sind noch nicht vollständig, doch man weiß, daß die Ausfuhr um 13 Prozent zugenommen hat. Von 1963 bis 1968 (das letzte Jahr, für das bisher Zahlen vorliegen) stieg die Industrieproduktion jährlich um durchschnittlich 6,8 Prozent. Nordirlands Industrieausbildungsprogramm zählt zu den fortschrittlichsten in Europa: acht Zentren entlassen jährlich 3000 Absolventen.

Auch das Bildungswesen zeigt neuerdings ein ermutigendes Bild. Mit fast 650 nach dem Krieg gebauten Schulen wird über die Hälfte der Schüler in modernen Gebäuden mit erstklassigen Einrichtungen unterrichtet. Die Zahl der Lehrer ist in den Nachkriegsjahren auf fast das Doppelte gestiegen, und die Gründung einer zweiten Universität hat die Bdldairagsmöglichkeiten erweitert

Die Sicherheit des Staates obliegt der britischen Regierung. Die „Ulster Special Constabulary“ ist abgeschafft worden, und die „Royal Ulster Constabulary“ hat eine völlige Reorganisierung erfahren. Zur Unterstützung der Armee wurde das „Ulster Defence Regiment“ aufgestellt, und zur Zeit wird eine Reservetruppe der „Royal Ulster Constabulary“ gebildet, die der Polizei beim normalen Einsatz helfen soll. Nordirland trägt Sorge für seine Zukunft und das Reformprogramm ist eine Realität. Auch sollte man den grundlegenden „Common sense“ der Bevölkerung nicht unterschätzen. Sie kennt die Probleme, die sie in Angriff nehmen muß und mit Sympathie und Verständnis von außen müßte es ihr gelingen, sie zu überwinden, was immer die Skeptiker sagen mögen.

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