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Aus den tellurisclien Provinzen

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In den tellurischen Provinzen Makro-maniens war der Staatsdienst zu seiner höchsten Entfaltung gediehen. Zufolge dieses Hochstandes war die Karriere eines Staatsbeamten gesichert, sein Aufrücken automatisch vorgesehen, sein Pensionsanspruch zu keiner Zeit gefährdet und sein Dienst in so vorzüglicher Weise geregelt, daß eigenständiges Denken und Privatinitiative als hinderliche Prozeduren nicht empfohlen wurden. Wenn auch hiedurch der gewaltige Apparat ein wenig schwerfällig erschien, so wurde dieser von einigen als Nachteil empfundene Zug durch Methodik und Gründlichkeit reichlich wettgemacht.

Die größten Einheiten des Staatsdienstes mögen hier aufgezählt sein: vor allem die der Ministerien, die ihre Wurzeln durch das ganze Land sandten, die Postanstalten, die Feuer- und Wasserbrigaden und die Weltbankinstitute. Von den Ministerien sei wieder an erster Stelle das statistische genannt (mit dem Hauptsitz in den tellurischen Provinzen), dessen Aufbau und Verwaltung wir als casus demonstrandi hier beschreiben.

Die wichtigste Funktion des Ministeriums für Statistik innerhalb eines Jahres bestand darin, ein Budget für Parlamentsausschüsse und die Plenarsitzungen von Unter- und Oberhaus auszuarbeiten, was naturgemäß eine ganze Reihe von Experten und Komputationsabteilungen nötig machte. Um einen möglichst genauen Voranschlag zu erzielen, wurden die Budgetvorschläge sodann Kontrolldivisionen überantwortet, deren Revisionen in der Folge von allen Ressortchefs ergänzt und schließlich dem Minister zur Gutheißung vorgelegt wurden.

Jedes auf Ansehen bedachte Ministerium ließ es sich angelegen sein, die anderen an Organisation und Beamtenzahl zu übertreffen. Der Grund für dieses mit großer Umsicht in Szene gesetzte Streben war außer einem verständlichen Werkstolz und einer traditionsgemäßen Ministerialtreue die Vorsorge für arbeitsreiche Epochen, in denen man mit Recht einen flutartigen Zustand des zu bearbeitenden Materials erwarten konnte. Daher stand es qualifizierten Personen jederzeit frei, sich um Stellungen innerhalb des Ministeriums zu bewerben, wobei Schulung ebenso ins Gewicht fiel wie vaterländische Verläßlichkeit. Stenotypi-sten, Registraturbeamte und Laufboten fanden stets offene Stellen. Große Aussicht auf Einstellung hatten naturgemäß professionelle Statistiker (vorzüglich mit mathematischer oder soziologischer Ausbildung), dann aber auch Raum- und Lichtanalytiker, Personaldirektoren, Wahr-scheinlichkeitskalkulanten und Dentisten. Die Bestellung der letzteren ist bis heute ein Rätsel geblieben, wohl deshalb, weil vieles unter dem strengsten Siegel der Verschwiegenheit vor sich ging und Geheimberichte von Zeit zu Zeit kremiert wurden.

Ehe das Ministerium einen Bewerber als unkündbaren Staatsbeamten einstellte, wurden umfangreiche Erhebungen gepflogen, um durch persönliche Einvernahmen, Empfehlungsbriefe und Zeugnisse Rangklasse und Gehalt zu bestimmen. Der Gründlichkeit dieser Untersuchungen wegen wurden Beamte zunächst provisorisch terminlos eingestellt, wodurch aber ihr Aufrücken in keiner Weise behindert wurde. Es soll vorgekommen sein, daß eine offizielle Bestäti-

gung erst nach Jahren, Lustren oder Dezennien erfolgte, in manchen Fällen erst nach dem Hinscheiden eines lebenslänglichen, verdienstvollen Beamten.

Den Dezentralisierungsbestrebungen der makromanischen Regierang war es zu verdanken, daß sich das Ministerium für Statistik — wie erwähnt — in den lellurischen Provinzen befand. Es war in einem palastartigen, weitläufigen Gebäude mit zahlreichen Zubauten untergebracht. Die Organisation der einzelnen Abteilungen war durch einen aufs feinste verästelten Meisterplan festgelegt. Das Beispiel des Ministeriums an sich wirkte auch auf den Ehrgeiz der individuellen Abteilungen. So mag es durchaus begreif-

lich erscheinen, daß pflichtgetreue Beamte zur Erledigung ihrer Aufgaben um Zuweisung anderer, rangniedrigerer Beamter ansuchten, wodurch das Aktenmaterial rasch anwuchs und weitere Räumlichkeiten sowie Zweigtelephonstellen in Anspruch genommen werden mußten. Häufige Koordinationskonferenzen der Abteilungschefs machten die Bestellung stellvertretender Amtsleiter ständig nötig. Da nun Ring und Gehalt eines Beamten von der Anzahl seiner Untergebenen abhing, stand somit einer Beförderung alsbald nichts mehr im Wege. Von allen Staatsdienern dieses Ministeriums avancierten die sogenannten Ordnungsbeamten am schnellsten. Es waren dies Büroleiter, die für die richtige Zuweisung von Poststücken und Memoranden verantwortlich waren und so eine geradezu gebieterische Stellung innehatten.

Die meisten Aktenstücke trugen den obligaten Vermerk „Geheim“. Wichtigere trugen die Bezeichnung „Strengstens geheim“ auf offenem Portfolio, während Memoranda und Berichte, die nur für Ressortchefs bestimmt waren, in mit „Höchst strengstens geheim“ designierten Umschlägen ruhten. Vertrauliche sowie diplomatische Korrespondenz wurde in schmalen, versiegelten Flachkartons zitronengelber Farbe mit der roten Aufschrift „Vor der Lektüre zu vernichten“ zirkuliert, und für das Ministerium bestimmte Mitteilungen des Geheimdienstes galten für so wichtig, daß sie überhaupt nicht überstellt wurden.

Zwei der schwierigsten Probleme — das Urlaubs- und Krankheitsproblem — wurden in der vorbildlichsten Weise einer befriedigenden Lösung zugeführt. Da nämlich alle Beamten im Sommer gleichzeitig auf Urlaub zu gehen wünschten und hiedurch in der trockenen Jahres-

zeit die Feuersgefahr für das Ministerium äußerst akut wurde, entschloß man sich, gestaffelte Prämien für jene auszusetzen, die im Frühling, Herbst oder Winter auf Urlaub zu gehen wünschten, was zwar anfangs eine vollkommene Umschaltung auf den Winter zur Folge hatte, aber nach monatelangen Verhandlungen doch in ein erfreuliches Gleichgewicht gebracht zu werden vermochte. Krankheiten konnten durch besonders hohe Gesundheitsprämien und staunenswerte Luftkühlanlagen auf Blinddarmoperationen, Kraftwagenunfälle und Herzschwächen beschränkt werden.

Der Stil, dessen man sich befleißigte, war ein genaues Abbild der Beamtenpersönlichkeit. Jedem individuellen Ausdruck abhold, beobachtete er die passive Form in jeglicher Aktion, so daß die unterzeichneten Schriftstücke stets eine Kollektivverantwortlichkeit bekundeten. Indifferenz galt als vornehmster Würdebeweis und je weniger ein Beamter sprach, dessen gewisser konnte er sein, sich eines immer größer und tiefer werdenden Vertrauens zu erfreuen.

Als Tätigkeitshöhe muß gelten, daß dieses Ministerium sich selbst statistisch einwandfrei nachzuweisen vermochte. Dies hatte zur Folge, daß die anderen Ministerien sich in zunehmender Stärke von ihm als abhängig bekennen mußten, so daß unsere Illustration als pars pro toto gerechtfertigt erscheint.

Der Widerstand des Bürgertums gegen den Staatsdienst im allgemeinen vermochte endesletzt dadurch beseitigt zu werden, daß — unter nachdrücklichem Hinweis auf die drohende Gefahr eines vor der Tür stehenden Staatssozialismus — die gesamte Bevölkerung in dieser oder jener Eigenschaft in den Staatsdienst einbezogen wurde. So wurde es möglich, dem Volke auf die beste Weise zu dienen. Und da die Parlamentarier nicht umhin konnten, geschlossen hinter diesem zu stehen, war der ferneren Entwicklung des Staatsdienstes bis zur absoluten Vollkommenheit keine Grenze gesetzt. Sein Symbol war dann auch gerechtsamerweise ein circulus vitiosus im weißen, Unschuld versinnbildlichen Felde.

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