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Begegnungen mit zwei Spielarten der Fremdheit

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Das erste Programm des Berlin Verlags, der natürlich in Berlin seinen Sitz hat, ist ein Paukenschlag. Weltbekannte Autoren wie Nadine Gordimer, Margaret At-wood, Richard Sennett und Viktor Jerofejew erscheinen mit neuen Büchern. Zwei Autoren lesen dieser Tage (auf Englisch) in Wien, Julia Blackburn (15. März) und Fred D'Aguiar (17. März, jeweils 19 Uhr) in der Osterreichischen Gesellschaft für Literatur (Herrengasse 5). Gabriele Schuchter und Peter Moucka übersetzen, die Autoren stehen für Fragen zur Verfügung. Ermöglicht wurden die Veranstaltungen durch die Mithilfe des British Councils.

Julia Blackburn und Fred D'Aguiar zählen zu den herausragenden Persönlichkeiten der neueren englischen Literatur. Ihre Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet, die beiden Bücher könnten nicht unterschiedlicher sein. Julia Blackburn folgte detektivisch recherchierend -sie machte Studien vor Ort - den Spuren einer ungewöhnlichen, um nicht zu sagen exzentrischen Frau, die 30 Jahre bei den Aborigines in Australien lebte: „Daisy Bates in der Wüste”.

Die tiefe Identifikation der Autorin mit einer Toten, die eine Welt aufgibt, um eine völlig andere zu suchen, ist ein Meisterwerk sowohl der Beschreibung ihres Charakters als auch von interkulturellen Unterschieden. Es ist, als wäre die irische Hochstaplerin, die sich zwischen den einfachsten Behausungen der Aborigines im feuerroten Sand der australischen Wüste mit langen, weißen Baumwollmänteln, feinen seidenen Kostümen und einem Hut, den Stiefmütterchen zierten, bewegte, auferstanden und berichte von ihren Erfahrungen. Dabei ist es gar nicht einfach, zu unterscheiden, was Daisy

Bates tatsächlich gesehen und was sie erfunden hat oder, um es anders zu formulieren, imaginierte, um sich interessanter zu machen.

Ein Phänomen, das bei vielen Beschreibungen indigener Bevölkerungsgruppen anzutreffen ist, was aber auch immer seinen Reiz hat, weil bekanntlich phantastische Erfindungen stets Auskunft geben über die psychische Disposition des Erfinders.

Der farbige Autor Fred D'Aguiar (seine Eltern stammen aus Guyana) hat mit dem Roman „Die längste Erinnerung” nicht nur einen Roman über die Sklaverei geschrieben, sondern auch einen über das Räderwerk, das den Weißen psychisch zerstört und seelisch verhärtet, wenn er die Schwarzen unterdrückt. Jedes der Kapitel berichtet über dieselben Vorkommnisse, allerdings jeweils aus der Sicht von Menschen, die verschiedene gesellschaftliche Positionen innehaben: Der junge Sklave Chapel flieht von der Plantage, um im Norden der USA bessere Lebensbedingungen zu finden. Der Vater des Flüchtlings berichtet dem Plantagenbesitzer, wo sich sein Sohn versteckt hält. Für ihn ist die Welt klar: „Es gibt zwei Typen von Sklaven: den Sklaven, der alles selbst erfahren muß, bevor er irgend etwas versteht, und den, der durch Reobachtung lernt. Der Sklave der ersten Art benimmt sich, als wäre er der einzige Sklave auf der Welt, und ihn trifft das größte Unglück auf Erden. Dieser Typ Sklave ist aufgeregt und zieht viel Zorn auf sich, und er macht das Los jedes Sklaven viel schlimmer. Es wird allgemein anerkannt, daß der Sklave der anderen Art klüger ist, länger lebt, jedem in seiner Umgebung wenig Ärger bereitet und die kleinen Freundlichkeiten des Aufsehers und Herrn verdient.”

Chapel wird wieder eingefangen und vom Aufseher zutodegepeitscht, dieser ist der Halbbruder des Flüchtlings. Die unterschiedlichen Sichtweisen der einzelnen Personen geben erst nach und nach die persönlichen Verkettungen der handelnden Personen zu erkennen. Der alte Sklave, der sich im Gegensatz zu seinem Sohn zur anderen Gruppe der Sklaven zählt, hat seine zweite Frau geheiratet, obwohl sie bereits das Kind eines Weißen trug, das als Frucht einer Vergewaltigung entstanden war.

Diese beiden so unterschiedlichen Romane sind als gelungene Beispiele von Geschichtsbewältigungen aufzufassen. Die historischen Erfahrungen zwischen Weißen und Nichtweißen sind bekanntlich viel zu oft mit Blut geschrieben worden, waren mit gewaltigen Leiderfahrungen verbunden, sodaß Gewissenserforschung angesagt ist. Doch nicht nur das macht sie bedeutsam. Noch immer gibt es Auseinandersetzungen zwischen den weißen Einwanderern und den australischen Aborigines, noch immer ist die Sklavenmentalität nicht verschwunden, ja, viel schlimmer: Noch immer gibt es Sklaven, wenn auch nicht mehr auf Märkten zu kaufen, sondern als in Familien weitervererbte Leibeigene, die nicht die Möglichkeit haben, aus diesen Verhältnissen auszubrechen.

Darüber hinaus sind solche Darstellungen der interkulturellen Differenzen auch Anlaß, darüber nachzudenken, wie leicht unbedacht ausgesprochene Äußerungen Menschen verletzen können, die sich ihrerseits nicht vorstellen können, daß Kränkungen andere nicht kennen.

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