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Der Fall Wildgans

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Es mag lediglich die „Höflichkeit des Gastes“ gewesen sein, die den bekannten Wiener Musiker, Präsidenten der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik, Professor an der Staatsakademie, Komponisten und Solisten Friedrich W i 1 d g a n s bewogen hatte, nach einer Konzertreise durch Jugoslawien freundlich-anerkennende Worte über das dortige Musikleben zu sagen. Welche Folgen solche Äußerungen für ein Mitglied der KP haben würden, mußte selbst einem Musikus klar sein. Daher erscheint uns das Kommunique der KP wenig glaubwürdig, demzufolge Professor Wildgans wegen „Verrats an der Arbeiterklasse und an der Kommunistischen Partei“ ausgeschlossen worden sei, die er geübt habe, „indem er sich in den Dienst der Lügenpropaganda Titos stellte“. Glaubwürdiger scheint uns die Iiiklärung des Künstlers, welche besagt, daß er schon längst aus der Partei ausgetreten sei, da er einen Absolutismus in Kunstfragen unmöglich ertragen könne und als Künstler wie als Mensch die geistige Freiheit über alles schätze. — Hier liegen die Wurzeln für den immer schärfer zutage tretenden Konflikt zwischen dem Künstler Friedrich Wildgans und der Partei, welcher er angehörte. Als überzeugter Monarchist hatte sich der junge Wildgans der österreichischen Widerstandsbewegung angeschlossen, war eingekerkert worden und geriet unmittelbar nach Kriegsende zur KP. Dort wäre er vielleicht heute noch, wenn nicht der Künstler Friedrich Wildgans revoltiert hätte: der Sohn des großen österreichischen Dichters Anton

Wildgans war von früher Jugend der zeitgenössischen Kunst modernster Richtung zugetan. Als einer der besten Klarinettisten nicht nur Österreichs, sondern des Kontinents, setzte er sich unermüdlich für das zeitgenössische Schaffen ein, das er um einige wertvolle, talentierte Werke aus der eigenen Feder bereicherte. Als Präsident der IGNM und glänzender Kommentator der „Modernen Stunde“ in der Ravag diente er der neuen Musik und, wie er geglaubt haben mag, auch dem „Fortschritt“, den ja die Partei, welcher er angehörte, in grellen Lettern auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Da kamen, seit 1948, die berüchtigten „Musikerlässe“ des Zentralkomitees der KP und stürzten den Musiker Wildgans in jenen Konflikt, der ihm als Menschen durch die Tatsache, daß er in einem „freien“ Staat lebt, bisher erspart 'geblieben war. Dies waren die wirklichen Gründe für den Austritt von Professor Wildgans aus der KP — und nicht „Titoismus“, den man schwerlich einem Künstler vorwerfen kann, der noch vor kurzem die Musik zu dem antititoistischen Bühnenstück „Der Verrat“ geschrieben hatte.

Bei diesem „Absprung“ befindet sich unser Wiener Musiker freilich in illustrer Gesellschaft Lebender und Toter: Das gleiche Mittagsblatt, welches an leitender Stelle die Nachricht über den „Fall Wildgans“ brachte, veröffentlichte auch eine Liste von Künstlern, die — zwar noch nicht bei uns, aber auf den Index der deutschen Ostzone gesetzt wurden: Arturo Toscanini als „national entwurzelter Dirigent mit westlichen Tendenzen“, Ignaz Paderewski als „reaktionärer Chauvinist“, Igor Strawinsky als „unversöhnlicher Feind der Sowjetunion und der Volksdemokratien“, den 1933 verstorbenen Stefan George als „dekadenter Träumer und Verfechter des germanischen Unfehlbarkeitsmythos“. Das Tragikomische all dieser Verdammungen blitzt einem am stärksten aus einer Nachricht aus Hannover entgegen, nach der die deutsche Volkspolizei bei Helmstedt eine Kiste mit Alben von Wilhelm Busch beschlagnahmt habe, da dieser „Kapitalist gewesen“ sei und das „fette Bürgertum verherrlicht“ habe .

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