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FRIEDRICH WILDGANS

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Vom Herbst des Jahres 1925 an gab es am Mödlinger Realgymnasium eine darum nicht gänzlich alltägliche Klasse, weil darin gleich drei Buben saßen, die sich vorgenommen hatten, so etwas wie ein Komponist zu werden: Herbert König, der heute ein führender Mann für die österreichische Blasmusik ist; dann der Schreiber dieser Zeilen; und, last not least, Friedrich Wildgans. Und während Herbert König dem Schreiber dieses Berichts geduldig die Fehler in den ihm aufgegebenen Harmonielehreaufgaben korrigierte, lachte Fritz Wildgans dessen Walzerphantasienfragmente herzlich aus, denn mit seinen dreizehn Jahren war er jederzeit imstande, binnen weniger Stunden die kompliziertesten Fugen im Reger-Stil zu verfertigen. Selbst wenn wir, eine Zeitlang Haus an Haus wohnend, dickste Freunde waren, so sei doch gestanden, daß ich Fritz Wildgans um diese Hexenkünste sehr beneidete ...

Friedrich Wildgans hatte am 5. Juni 1913 in der Neulinggasse im dritten Wiener Gemeindebezirk das Licht der Welt erblickt. Aber schon 1915 erfolgte der Umzug der Familie Wildgans nach Mödling, wo 1917 das Haus in der Andergasse 3, liegend in einem herrlichen Garten, erstanden wurde. Mit einem Schlag wurden wir dort umhertollende Buben — auch Friedrichs jüngerer Bruder Gottfried gehörte dazu — still, wenn Mutter Wildgans uns Ruhe gebot, weil Vater sich an die dichterische Arbeit begeben hatte. Manchmal aber gab es herrliche Hausmusik, vor allem dann, wenn Joseph Marx zu seinem Freund Anton Wildgans gekommen war, um mit ihm zu musizieren: Marx am Klavier, Wildgans Violine spielend, weitere Musiker aus Wien oder Mödling als Gäste. Anton Wildgans hatte sich für den rauschenden Klangstil des Komponisten begeistert und liebte dessen Kammermusik, voran die Violinsonate, außerordentlich. Für ihn hatte er „Pan trauert um Syrinx, eine mythologische Szene für Musik“ und in der Folge noch weitere Gedichte geschrieben. So war es ganz selbstverständlich, daß Friedrich, der mit sieben Jahren begonnen hatte, Klavier und Violine zu lernen, und dessen kompositorische Begabung seinem ersten Lehrer, dem Hauer-Schüler Winkelmayer, sogleich aufgefallen war, mit etwa elf Jahren Theörieschüler von Marx wurde. Dazu kamen Gottfried Faist als Violin-, Paul Weingarten und Roland Raupenstrauch als Klavier- und verschiedene Künstler als Klarinettenlehrer. Die Klarinette wurde für lange Jahre das Lieblingsinstrument von Wildgans; ^ls Solist hat er damit weit über Österreich hinaus bedeutende Erfolge erzielt.

Man sollte glauben, daß der Sohn eines Burgtheaterdirektors über genügend Protektion verfügte, um bald einen glänzenden und alle seine Fähigkeiten entfalten lassenden Posten zu erhalten. Aber die bitteren Jahre dieser Zeit wurden auch für Friedrich Wildgans deutlichst spürbar, vor allem, da Ellbogentechnik nie seine Sache war. So ging er zunächst vom Herbst 1934 an für zwei Jahre als Klarinettenlehrer ans Salzburger Mozarteum, ohne dort sehr viel mehr als das Existenzminimum zu verdienen. Dann kam er als Klarinettist zum Staatstheaterorchester nach Wien und betätigte sich am Burgtheater auch als Korrepetitor. Aber inzwischen hatte das Tausendjährige Reich begonnen, und Friedrich, dessen Musik der mediokren Kompositionsgesinnung dieses Staates kaum entsprechen konnte und der keineswegs damit zurückhielt, daß ihn mit dem neueji Regime keineswegs^ Freundschaft verband, vertauschte immer öfter den Musikerposten mit dem Gefängnis wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“, wie das so schön hieß. 1943 kam endgültig der Bescheid, daß, da Wildgans im Sinne des nationalsozialistischen Staates nicht tragbar wäre, das Ansuchen um

Mitgliedschaft zur Reichskulturkammer abgelehnt worden sei. Damit war die Künstlerkarriere endgültig zerschlagen. Vor der Dienstverpflichtung in einen Rüstungsbetrieb rettete Wildgans zum Glück der Posten eines Hilfsbuchhalters und dann Geschäftsführers einer Berliner Gastspieldirektion. .Aber die Kompositionen enstanden schon seit langem, soweit Wildgans überhaupt die Kraft zum Schaffen aufbrachte, nur mehr für die Schreibtischlade.

Nach Kriegsende holte Staatssekretär Fischer Wildgans als Abteilungsleiter und quasi rechte Hand des Präsidenten Kobald an die Wiener Musikakademie, wobei es zunächst viele Monate ohne Gehalt abzuleisten galt und Wildgans sich nur durch Kritikenschreiben seinen Unterhalt verdiente. 1947 nahm er die Stelle des Musikreferenten der Stadt Wien an, 1950 ging er an die Musikakademie zurück, deren Lehrkörper er seitdem ständig angehört. — Die 1945 wiedererrichtete österreichische Landessektion der Internationalen Gesellschaft für neue Musik hatte Arnold Schoen-berg zum Ehrenpräsidenten gewählt; Wildgans wurde Vizepräsident und blieb dies bis 1959. In diese Zeit fällt neben vielen anderen Veranstaltungen das großartige Salzburger Musikfest 1952, bei dem die bedeutendsten Komponisten der Welt aufgeführt wurden. Gemeinsam mit dem Dirigenten Herbert Häfner führte Wildgans die „Moderne Stunde“ der Ravag ein und verfaßte für die meisten Sendungen die einführenden Worte. Man muß sagen, daß er in diesen Nachkriegsjahren für die neue Musik in Österreich Bahnbrecnen-des leistete. Aber er, aer so vielen zu Aufführungen verhalf, ist dafür mit Ausnahme der Ehrenmitgliedschaft der IGNM mit keinerlei heimatlichen Ehren ausgezeichnet worden; die zahlreichen Anerkennungen kamen lediglich aus dem Ausland. 1959 zog sich Wildgans von allen Funktionen zurück, um neben seiner Akademiestellung nur noch dem Komponieren leben zu können. — 1946 hatte er die Sopranistin Ilona Steingruber geheiratet, die in den folgenden Jahren zu einer international bekannten Interpretin neuer Musik und zur idealen, unerreichten Sängerin der Sopranpartien des Wildgansschen Lied- und oratorischen Schaffens wurde. Der Tod der Künstlerin im Dezember 1962 traf Wildgans zutiefst.

Als Komponist ist Wildgans allen Auslegungsversuchen zum Trotz nach keiner Seite hin einzugliedern. Jeder Bindung an eine bestimmte Richtung ist er geflissentlich und grundsätzlich ausgewichen. Schon die ersten Stücke des Elfjährigen bestechen durch eine geradezu nachtwandlerische Sicherheit in Satz- und Formfragen. Das erste gedruckte Werk „Drei kontrapunktische Lieder für hohe Stimme und Klavier“, erregt bei seinem Erscheinen im Jahr 1932 infolge seiner kühnen, gewisse Techniken der späten Webern-Musik vorausahnenden, aber weder dem im Grunde spätromantischen Expressionismus der Wiener Sci.>sle noch sonst wem verpflichteten urmusikantischen Haltung Aufsehen. Fragt man Wildgans nach Vorbildern, so nennt er die Werke der neoklassizistischen Periode eines Hindemith, Strawinsky oder Milhaud. Die lineare Polyphonie Hindemiths hatte es dem jeglicher Klangschwelgerei Abholden besonders angetan; dazu kamen die PolytonalitSt, aber auch Farbigkeit, Geist und Ironie Milhauds. Ab etwa 1931 begannen sich auch dodekaphonische Einflüsse-geltend zu machen, ohne daß sich Wildgans dem Seriellen verpflichtete. Er wollte ohne Bindung an eine U'oMung bleiben, sich in keiner Weise zu seiner Schreibweise bekennen, die seinem inneren Klang Gewalt angetan hätte. So überließ er es kleineren Talenten, sich an den Stützen einer bestimmten Richtung emporzuranken, und blieb, stolz und selbstbewußt, in erster Linie ein Komponist, dem es ums Musizieren ging. Daß er sich fallweise zum Spaß leisten konnte, ganz im althergebrachten C-Dur zu schreiben, ohne daß auch nur ein Takt davon schon jemals dagewesen wäre, sagt viel über Wildgans aus.

Halten wir uns an die gedruckten oder in Druck befindlichen Werke, so stechen zunächst die zahlreichen Kammermusikwerke hervor. Schon des knapp Fünfzehnjährigen Sonatine für Horn und Klavier, op. 5, ist ein dahinstürmendes Meisterstück des Satzes und Humors, welches das sich bei Hindemith mitunter breitmachende Pathos ein wenig verspottet und an seine Stelle köstlichen Übermut setzt. Würde das zweite der „Drei kleinen Stücke für Streichtrio“, op. 11, nicht so viel innigen Gesang aufweisen, so müßte man dabei an eine Webern-Eulenspiegelei denken. Ein bedeutender Wurf gelingt Wildgans mit den „Drei Vortragsstücken für Klarinette und Klavier“, op. 14, von überaus intensiver Aussage, die ihren Weg um die Welt gemacht haben. Manches, wie etwa das „Kleine Trio für Flöte, Klarinette,

Friedrich Wildgans. Porträtzeichnung von Lilly Wildgans, der Mutter des Komponisten Fagott“, op. 15, oder die „Drei Inventionen für Klarinette und Horn“, op. 19 (die Satztitel mit feiner Ironie: Ouvertüre, Romance, Valse...), könnte etwa in der Gegend von Hindemiths Kammermusik für fünf Bläser angesiedelt werden; es macht Spaß, zu beobachten, wie Wildgans alte und typische Floskeln übernimmt, sie glossiert und sogleich für seine eigene Klangwelt auswertet, ihnen damit ein echt Wild-ganssches Gesicht gebend und darart aufzeigend — und das erinnert an den mittleren Strawinsky —, wie lebenskräftig manch Altes ist, wenn es nur vom richtigen Schneider neu eingekleidet wird.

Tri den nun folgenden größeren Werken wird Wildgans oft i. monumental, hart, unerbittlich: das' gilt für die „Missa minima“ für hohen Sopran, Klarinette, Violine, Violoncello, op. 23, ebenso wie für das große, nahezu archaisch empfundene, Klangflächen gegeneinander ausspielende Konzert für Trompete und Streichorchester, die beiden Klarinettenkonzerte oder die umstrittenen „Eucharistischen Hymnen“, op. 50, mit dem Untertitel „Eitle volkstümliche Kantate für Soli, Chor, drei Klaviere, Blechbläser und Schlagzeug“. Mit „volkstümlich“ im üblichen Sinn, etwa den vielen Laienmusiken über Volksweisen und dergleichen, hat das nichts zu tun: gemeint ist wieder das elementar, ja geradezu eruptiv Musikantische, dem sich Wildgans mit aller Leidenschaft hingibt.

Während der Burgtheaterzeit waren auch viele Bühnenmusiken entstanden: zwei davon, die zu Bäuerles „Die falsche Catalani“ und zu Nestroys „Höllenangst“, sind so voll von übersprudelndem Ulk, daß Wildgans sich zu ihrer Veröffentlichung entschlossen hat, um damit endlich Ruhe vor den dazu drängenden Freunden zu haben. Nur der Vollständigkeit halber seien en bloc die zahlreichen Hörspiel-und Kulturfilmmusiken genannt, die Wildgans als den Realisten des musikalischen Alltags zeigen. Man mag über solche Dinge denken, wie man will: aber daß sie vor Esoterik zu schützen vermögen, dürfte unbestritten sein. Für diese aber hat Wildgans nie etwas übriggehabt. Mag sein, daß er momentan mehr im Gespräch wäre, wenn er sich, im Anfertigen von Nochniedagewesenem übend, exklusiven Richtungen verschrieben hätte. Aber Wildgans engt sich nicht ein. Musik muß glühen und sprühen, meint er, und wer ihn näher kennt, meint, daß er, zumindest für seine Person, recht damit hat.

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