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Birrgiheater und Krise des Staates

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Man muß schon über einige besondere und repräsentative Eigenschaften verfügen, um einer Epoche als Sündenbock zu taugen Die Nachwelt rechnet dann dem Sündenbock just seine hervorstechenden Eigenschaften, derentwegen man ihn erwählt hat, als seinen „Privatanteil“ am allgemeinen ihm aufgebürdeten Sündenpfuhl an. Anton Wildgans als Burgtheaterdirektor war ein solcher Sündenbock der Burgtheatermisere in der Ersten Republik, und manche der Vorurteile, die sich bis heute über ihn erhalten haben, hängen damit zusammen, kommen, daß er für seine Epoche repräsentativ gewesen ist: Zufolge seiner großen Mitmenschlichkeit ein „Mitdenker“ der Probleme seiner Zeitgenossen, keineswegs ein „Vorausdenker“ politischer Utopien und Strategien

Dieses Stück österreichischer Theatergeschichte, sorgfältig und umfassend aus Zeitungsbeiträgen, Briefen und Akten dokumentiert, ist aktuell in Hinblick auf die Burgtheaterkrise, deren Zeugen wir heute sind. Der Autor des Buches „Drama Burgtheaterdirektion“, Franz Ha-driga, entwickelt die Hypothese, daß sich in den Krisen des Burgtheaters die Konflikte des Staatsbewußtseins spiegeln

Was die Direktion Wildgans im Jahr 1931 zu Fall brachte, reicht von der budgetären Misere, vom Defizit, von den überhöhten Gagen, und von der mangelnden Auslastung der Schauspieler (24 Aktive gegen 50 „Vazierende“) bis zu den ideologischen Problemen eines Staatstheaters, das immer in Gefahr ist, als Instrument eines Kulturkampfes ausgespielt zu werden Unvermeidbar folgt der Kurs eines vom Staat subventionierten Theaters dem Kurs dieses Staates. Was bedeutet es aber, wenn dem Staat der Untergang droht, und das Parlament - wie im Herbst 1931 geschehen - überlegt, das Burgtheater zu schließen oder in ein Kino zu verwandeln? Welcher Kurs ist zu verfolgen, wenn der Konkurs droht?

Dem allen war der Dichter-Direktor ausgesetzt. Was Goethe einst aus eigenster Erfahrung im Vorspiel auf dem Theater des „Faust“ auf drei Personen verteilte, Dichter -Direktor-Lustige Person, das mußte sich in Anton Wildgans zusammenfinden Auch die lustige Person! Als solche setzte er, dem Besuchermangel entgegenzuwirken, lockere Boulevardstücke auf den Spielplan, was ihm aber ebenfalls schlecht bekam. Frauen vereine wetterten gegen ihn

Mit dem „Hauptmann von Köpenick“, Carl Zuckmayers Erfolgsstück, eckte er bei den Deutsch-Nationalen an. In diesem ungeschützten Spießrutenlauf durchs Programm, durch das gespielte ebenso wie durch das ungespielte, aber von Autoren oder politischen Gruppen erwünschte; wirft der Buch-Autor immer wieder einen BÜck auf die Gegenwart, auf die Burgjheater-Mächtigen von heute und auf die Sorgfalt, mit der sie 6taatlicherseits behütet werden

Wie sich aus Franz Hadrigas exakt fundiertem Werk ergibt, stand Anton Wildgans mit der Idee eines österreichischen Nationaltheaters völlig allein. Vergeblich beschwor er die Macht des Geistes, um Bildung inErziehung, Konfliktbewußtsein in Willen zur Bereinigung zu verwandeln

Heute ist die Krise des Staates anders gelagert Man begünstigt ein „Nationaltheater“, in dem - ohne jegliche dialektische Dramatik und daher auch ohne jede Katharsis der Probleme-der intellektuelle Selbstmord zum österreichischen Volkssport in einem Wurstelprater stilisiert wird.

DRAMA BURGTHEATERD[REKTION. Von Franz Hadriga. Herold-Verlag. Wien, 1989. 174 Seiten, 20 SchwarzwciSabb., öS 228,-.

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