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Zweimal „Vater-Sohn-Tragödie“

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Am gleichen Abend gingen zwei Neuinszenierungen über zwei Wiener Bühnen: im Volkstheater Schillers „Don Carlos“, im Akademietheater Wildgans' „Armut“. Zwei Stücke, in denen das Oedipusproblem scheinbar die Hauptrolle spielt: In „Don Carlos“ der Haß des Sohnes gegen den Vater und die Liebe zur Stiefmutter, in „Armut“ die Liebe des Sohnes zum Vater und der Haß gegen die (Stief-)Mutter. (Das letztere, eine Autobiographie des Dichters Wildgans, der in frühester Kindheit seine Mutter verlor und eine Stiefmutter bekam, spiegelt seine Aversion gegen diese wider.) Beide stellen scheinbar ein Familiengemälde dar: „Don Carlos“ ein solches aus einem fürstlichen Hause. „Armut“ aus einem armen, gutbürgerlichen Haus, das sich zu einem „standesgemäßen“ Leben verpflichtet glaubt. Und in beiden Stücken, in denen die Dichter von den schmerzlichen Erlebnissen ihrer Jugend ausgingen, wuchsen sie weit über ihre ursprüngliche Absicht hinaus: Schiller griff die Tyrannen seiner Zeit an, die die Freiheit der Person knechteten, und Wildgans griff die ganze soziale Ungerechtigkeit seiner Epoche an. ihre Schiefheit, ihr Elend, Ihre Lieblosigkeit. Während aber Schiller, um gegen seine Zeit schreiben zu können, in die Vergangenheit greifen mußte und sich eine historische Kulisse schuf, die der damaligen historischen Auffassung entsprach, in Wirklichkeit aber völlig falsch ist, konnte Wildgans die Kulisse seiner Zeit benützen, um ihr seinen Angriff entgegenzu-sdileudern. Während aber der Kantianer Schiller nur ein hohes Ethos in den Kampf um seine Ideale ins Treffen führt, kann der Österreicher (und deshalb im tiefsten christliche) Wildgans die Liebe, die alles überwindet und alles löst, als Heilmittel proklamieren.

So ähnlich und so verschieden diese -beiden Stücke, so ähnlich und verschieden auch die beiden Aufführungen. In beiden sehr gut die Inszenierung, in beiden hervorragend die Hauptrolle gespielt: der „Don Carlos“ vou E. Strahl, der „Gottfried“ in „Armut“ von H. Schweiger. Während aber die „Burg“ in „Armut“ eine der besten und geschlossensten Ensembleleistungen bot, die Wien seit langem gesehen hat, waren die übrigen Rollen in „Don Carlos“ verschieden stark besetzt: Barnays Philipp versuchte zum erstenmal den König als einen guten Hausvater zu zeigen, der er auch in Wirklichkeit war, aber die einmalige königliche Gestalt dieses Herrschers, wie sie Aslan ideal verkörperte, kam dadurch zu kurz. Die „Eboli“ von Grete Zimmer war manchmal blutleer. Soldan als „Posa“, auf dem Höhepunkt seiner Rolle, dem großen Monolog, fällt ab, so daß sie ohne Wirkung blieb. Bedauerlich noch beim „Don Carlos“, daß ständig über den Bildern eine Tafel hing: „Ecclesia triumphans“. „In Tyrannos“ wäre richtig. Störend bei beiden Aufführungen: die überflüssige Zwischenmusik und die Disziplinlosigkeit des Publikums, das dauernd hustete, so daß der Eindruck entstand, man befinde sich auf einer Tbc-Station.

Die andern Premieren der Woche verblassen neben diesen beiden Ereignissen. Die „Kammerspiele“ brachten „Die erste Frau Selby“ von St. John Ervine, dessen einziger Lichtpunkt das Wiedersehen mit Leopoldine Konstantin war; die „Scala“ die „Donaubrücke“ von dem Ungarn Julius Hay, ein Propagandastück im üblichen Klischee, die „J o s e f s t a d t* Molnars „Spiel im Schloß“. Unter der Regie Jarays und mit ihm in der Titelrolle zeigte sich die Josefstadt von ihrer besten Seite, so daß nur ein Bedauern aufsteigt, warum dieses Theater seine so großen Kräfte nicht für starke Stücke unserer Zeit aufwenden kann — gibt es denn keine?

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