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Es war ein schöner, sonniger Sonntag im Juni 1967, als wir die schmale Gasse rechts neben der St.-Othmar-Kirche hinangingen. Wir hatten eine Einladung von Frau Professor Lilly Wildgans erhalten. Nun standen wir vor dem Tor und drückten auf die Klinke, die einmal Hugo von Hofmannsthal nicht öffnen konnte, während Anton Wildgans vergebens auf seinen Besucher wartete. Leise schlossen wir sie wieder hinter uns — wir standen in einer anderen Welt, die wir schon aus dem Buch „Der gemeinsame Weg“ kannten, in dem Frau Prof. Lilly Wildgans ihr Leben mit dem Dichter Anton Wildgans in packender, großartiger Weise schildert. Inmitten eines herrlichen Parkes, der hinten an den Wald angrenzt, steht ein einstockhoher behäbiger Bau im Schweizerstil mit rings um das Haus laufendem Bailkon. Es war ein Anblick wie ein zur Wirklichkeit gewordenes Gemälde, das die Phantasie eines Künstlers geschaffen hatte. All das, was wir in dem Buch gelesen hatten, die Fülle der Erlebnisse, Freude und Schmerz einer großen Liebe zweier Menschen, das Ringen eines Dichters um die Gestaltung seiner Werke, das Verstehen einer großen Frauenseele, die einem Manne wahre Kameradin, die eine große Dame und den Kindern eine gute Mutter war, formte sich gleichsam zu wahrhaften Bildern, und wir hörten den Dichter sprechen: „Es ist so schön hier heroben, daß ich aus einem Gefühl andächtiger Dankbarkeit gar nicht herauskomme und eigentlich fast ständig die stumme Bitte an das Schicksal richte, dieses ,Zuviel“ möge uns weiter vergönnt sein.“ (Lilly Wildgans „Der gemeinsame Weg“.)

Wie auf geweihtem Boden standen wir stumm und wagten nur zögernd weiterzugehen, dem Hause zu. Hier, in dieser blühenden Pracht müssen Menschen wohnen, die den Wertmaßstab ihres Lebens nicht von der Welt der technischen Zivilisation bezogen, sondern von der Welt, die in ihrem Innern nach Verwirklichung drängte. Unter Gleichgesinnten, die hier zu Gast weilten, wie G. Hauptmann, H. von Hofmannstahl, Joseph Marx, wurden schöngeistige Gespräche geführt, hier wurde noch Hausmusik gemacht Eine Insel des Friedens, der Menschlichkeit und Güte, umgeben von der Mauer des Gartens, abgeschirmt gegen das Hasten und Verführen der modernen Zeit. Oder hält die St.-Othmar-Kirche, in deren alten Mauernischen die Vögel ihre Nester haben, so treue Wacht? Die Werke von Anton Wildgans begannen hier eine eigene Sprache zu sprechen, die nur dem Vertrauten, dem Wissenden um die Schönheit und Tiefe des Lebens, verständlich wird. So wurde es unser gemeinsamer Weg, und wir schritten ihn nur zögernd und scheu, wie Kinder, denen ein freundliches Schicksal einen Herzenswunsch erfüllte.

Frau Professor Lilly Wildgans kam uns entgegen und begrüßte uns mit jener Herzlichkeit, die jede Befangenheit nimmt. Nun standen wir vor jener Frau, die wir uns so oft im Geiste vorgestellt hatten und die eigentlich ganz dem Bilde entsprach, das wir uns gemacht hatten. Weisheit und Güte sprachen aus allen ihren Worten und noch etwas: Bescheidenheit und Einfachheit. Hier war ein Mensch, eine Frau, die sich nicht bemühte unbedingt jung zu wirken und einer verlorenen Jugend nach weint, sondern eine Frau, die über das Leben siegte und jederzeit zu ihm ja sagte aus dem Geiste der Liebe.

Nun führte sie uns in den ersten Stock auf den Balkon, wo ein kleiner Tisch mit Erfrischungen gedeckt war. Unser Blick ging über die Stadt Mödling bis nach Laxenburg hin. — Was war natürlicher, als daß wir mit unserer Gastgeberin über ihr Leben mit dem Dichter Anton Wildgans sprachen. Es muß nicht immer leicht gewesen sein, weilte doch Anton Wildgans gerne und viel in Mönichkirchen, wohin ihn sein Schaffensdrang trieb, konnte er doch nur in stiller Abgeschiedenheit arbeiten, und ein Großteil seiner Werke ist dort entstanden. Lilly Wildgans erzählt in ihrem Buch „Der gemeinsame Weg“ von ihrem Leben mit dem Menschen, Dichter und Burgtheaterdirektor Anton Wildgans. In ihrem zweiten Buch, „Anton Wildgans. Ein Leben in Briefen“, berichtet er selbst in Briefen und Manuskripten. Wer diese beiden Bücher gelesen hat, weiß mehr vom Leben und seinem Sinn, von Liebe und Kunst. Die Frage, ob Frau Prof. Lilly Wildgans auch vor dem Tode ihres Mannes schriftstellerisch tätig war, beschäftigte uns sehr, und sie gab uns bereitwilligst Auskunft. „Gleich wenige Tage nach dem Tode meines Mannes am 3. Mai 1932 begann ich zu schreiben, und ich lebte ganz in meiner Arbeit. Der ungeheure Schmerz über seinen Verlust gab mir die Kraft dazu, und so lebte er gleichsam in mir und mit mir.“ Ihr Buch schließt auch mit dem Bekenntnis:

„Aber hatte Toni nicht so manches Mal von einem Zustand der ,Heiligung’ gesprochen, der Voraussetzung sei, um sich der Gnade schöpferischer Eingebung würdig zu erweisen? Und war eine solche ,Heiligung’ nicht auch dort geboten, wo es um das Dienen im Andenken an einen geliebten Menschen ging? — Galt es doch für uns beide, Höhen und Tiefen, Schmerzliches und Freudiges, Erfüllung Bringendes und Sichversagendes in bunter Reihe zu durchmessen. Aber das Endergebnis war restlos doch nur: Glück! Denn .Glück’ kann selbst im Vergießen schmerzlichster Tränen erlebt werden, wenn nur durch sie hindurch das unzerstörbare Fundament wirklichen Für-einander-bestimmt-Seins fühlbar wird."

Zwei Kinder waren zu erziehen, ein großer Haushalt zu bewältigen, und dazu kam nun die riesige schriftstellerische Aufgabe und die Errichtung eines Archives.

Nach dem besinnlichen Gespräch zeigte sie uns das Arbeitszimmer des Dichters, das noch so erhalten ist, wie er es liebte. Nebenan, in einem kleinen Raum, befand sich das Archiv. Eine ungeheure Fülle von Briefen und Manuskripten ist hier, fein säuberlich geordnet, in Mappen und Kartons uniter- gebracht. Mit sichtlicher Freude und Ergriffenheit zeigte und erklärte sie uns alles — und wir konnten nur gerührt staunen über diese ganz vom Geiste des großen Dichters erfüllte Frau.

Als am 21. Februar durch den Rundfunk die Nachricht gegeben wurde, daß Lilly Wildgans im 82. Lebensjahr gestorben ist, wurde alle Erinnerung um diese große Frau lebendig. Wehmut ergriff uns, aber auch Dank, daß es uns noch gegönnt war, mit ihr zu sprechen. Was bedeutet doch heute in dieser verworrenen Zeit ein Gespräch mit solch einer Frau! Immer seltener werden solche Vorbilder

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