6561002-1948_48_05.jpg
Digital In Arbeit

Fragezeichen „Ruhr“

Werbung
Werbung
Werbung

Eine Nachtfahrt im Jahre 1938 durch die Ruhr war ein Erlebnis. Massig, wie Paläste von Riesen, erhoben sich die hellerleuchteten Fabriksgebäude, aus den Essen stoben in glühenden Bändern die Funken zum Himmel und das Dröhnen der Maschinen übertönte jedes andere Geräusch. Tag und Nacht donnerten die Hämmer. Man spürte, daß hier ein Krieg vorbereitet wurde. Einmal mußte dieser ununterbrochene Strom von Kohle, Stahl und Eisen verheerend über die Ufer fluten. Der Krieg kam und das Ruhrgebiet wurde Hauptangriffsziel der gegnerischen Fliege rverbände. Die Luftabwehr suchte, mit ihrem stärksten Schutze diese unersetzliche Schmiede der deutschen Wirtschaft zu decken. Ganze Tarnstädte und Scheinfabriken wurden von Scheinwerfern beleuchtet, als Abwurfziel den zu täuschenden Bombern hingebaut. Starke Flakgürtel zogen Sperringe. Trotzdem war der angerichtete Schaden gewaltig. Als dann die alliierten Truppen einmarschierten, trafen sie auf ein Trümmerfeld. Der mächtige Rhythmus der Arbeit war verstummt, die Hochöfen erloschen, die Fabriken brachgelegt. Für diese Generation schien das Ruhrproblem gelöst. Die Herzkammer der deutschen Industrie war tot. War sie es?

Diese Bejahung wurde von den alliierten Oberbefehlshabern des deutschen Westens zum Gesetz erhoben. Am meisten waren die Franzosen an dem geschaffenen Zustand interessiert. Von einer darniederliegenden Ruhrindustrie erwarteten sie für ihre Internationalisierungs- und Überwachungspläne einen geringeren Widerstand, als im Jahre 1923. Der eigenen wirtschaftlichen Schwächung bewußt, hielten sie es für ihre Stahl- und Bergwerksindustrie geboten, die Konkurrenz des übermächtigen Besiegten niederhalten zu können. Vielleicht weil sie den tatsächlichen wirtschaftlichen Zustand des Nachkriegseuropas verkannten, und noch nicht sahen, daß die ungeheure Werkstätte der Ruhr nicht ausgeschaltet werden kann, wenn der Wiederaufbau Europas nicht behindert werden soll, leisteten die Engländer und Amerikaner vorerst dem französischen Begehren Beistand, Die Situation änderte sich schlagartig, als die Scheinbesserung der wirtschaftlichen Lage Englands und Frankreichs zu stocken begann und die wirtschaftliche Winterschlacht Deutschlands des Jahres 1946 nicht mehr ein deutsches Problem allein blieb. Damals erkannten die USA und England ganz klar, daß eine Rettung ohne Ausnützung der Ruhrkapazität undenkbar sei. In kurzer Zeit stieg die Zahl der Arbeiter im Ruhrbergbau von 100.000 im Juli 1945 auf 250.000, die Produktion bemühte sich, von 45,000.000 auf 70,000.000 Tonnen anzusteigen, ähnlich auch die Stahlproduktion. Von diesem Zeitpunkt an wurde unter vorsichtigem Verzicht auf definitive Entscheidungen das Potential des Ruhrgebietes stufenweise dem Vorkriegsstand angenähert.

Zuweilen zuckt ein greller Blitz am politischen und diplomatischen Himmel über die Kämpfe, die sich um die „Waffenschmiede Europas” entwickelten. Zu einem offenen Ausbruch des Gewitters kommt es aber noch nicht. Doch neben allen wirtschaftlichen konkurrierenden Interessen melden sich auch politische Erwägungen hoher Kategorie. Deutlich heben sich die Gegensätze zwischen Amerika und Rußland aib und vermischen sich die auf den Konferenzen von Jalta und Potsdam gezogenen politischen Linien. Das Verlangen Rußlands nach seiner Beteiligung an der internationalen Kontrolle der Ruhr, abgezielt auf die Depossedierung des deutschen privaten Unternehmertums, begegnet Widerständen. Zwar kündigte vor zwei Jahren Bevin die Sozialisierung der Ruhrindustrie an, also einen Riegel, der etwa einer Vermachtung irgendwelcher kapitalistischer und politischer Interessen an der Ruhr vorzubeugen verspricht. Aber es bleibt nicht bei dem Plan. Die Amerikaner übernehmen die gesamte Finanzgebarung in der Bizone, Westdeutschland wird in den Marshall-Plan eingebaut und daraus ergibt sich das energische Bestreben für die europäische Gesamtplanung, das Produktionspotential der Ruhrindustrie zu nützen. Nun ist in London die Ruhrkonferenz zusammengetreten, um auch dieses Bündel von Problemen zu lösen. Aber kurz zuvor, ohne das Ergebnis abzuwarten, haben die Engländer und Amerikaner die Ruhrindustrie der privaten Hand zurückgestellt.

Die Verteilung der Besitzverhältnisse im Ruhrbergbau zeigte noch vor kurzem folgendes Bild: das Gesamtvermögen des Steinkohlenbergbaus wird mit 3,2 Milliarden deutsche Mark veranschlagt, von denen sich nur 580 Millionen in öffentlicher Hand befinden. Die direkte Beteiligung des Auslands am Ruhrkohlenbergbau beträgt 8,96 Prozent, die indirekte 3,26 Prozent. Der wesentlichste Teil liegt weiterhin in der Hand der großen Konzerne, davon Vereinigte Stahlwerke 20 Prozent, Krupp 7,91 Prozent, Flickkonzern 8,8 Prozent, um nur die wichtigsten anzuführen. Die Franzosen. immer besorgt, daß sich an der Ruhr nicht aufs neue ein bedrohliches Machtinstrument des deutschen Nachbarn entwickle, antworten mit Protesten, die niemand schließlich schärfer formuliert wie de Gaulle. Die Argumente der Franzosen sind zu verstehen. Der Vorwurf, daß die Kraft des Ruhrbeckens und die Macht seiner Konzerne dem Nationalsozialismus den Weg geebnet hat, ist richtig. Auf diesem Boden verschwisterten sich die Interessen von Staat, Wehrmacht, Industrie und nationalistischer Politik. Hier war es möglich, durch diese Verflechtungen mit denen ausländischer Konzerne die Abschirmung der militärischen Pläne gegenüber der übrigen Welt durchzuführen. Und auch die Hypothese de Gaulles, daß sich von dort aus die imperialistische Idee eines neuen Deutschland mit dem Osten verbinden könnte, um die alten Weltherrschaftsideen in neuer Form wieder aufzunehmen, hat in der Vorgeschichte ihre Wurzel. In dem vom Kriege ruinierten Europa herrscht aber ein sehr reales Gebot. Jede Fabrik, jede Maschine, jede Pferdekraft ist heute für den Wiederaufbau Europas unentbehrlich. Wie soll man die gewaltigste Werkstätte Europas entbehren? Auch die Beneluxstaaten, die aus erster Hand an der richtigen Lösung des Ruhrproblems interessiert sind, haben sich diesen Argumenten nicht entzogen. Und Frankreich? Ein Frankreich, bei dem jeder Streiktag in seinen Kohlengruben von anderen Kohlenmir.en im Bereiche der Länder des Marshall-Plans wettgemacht und jeder Ausfall in seiner Stahlindustrie durch andere Stahlwerke kompensiert werden muß? Heute muß Deutschland für Frankreich ebenso wie Frankreich für Deutschland arbeiten: in Frankreichs eigenstem Interesse. Und es geht um Leben und Zukunft hier wie dort. Eine gewisse Beruhigung kann Frankreich daraus schöpfen, daß in die geplante Konstruktion als internationale Sicherung eine Überwachungskommission der Weststaaten eingebaut ist, eine Kontrollstation, in der auch Frankreich seinen Sitz haben wird.

Und eines wird nirgends übersehen werden dürfen. Auch nicht in Paris: Wenn an der Ruhr eine wirkliche Wiederherstellung des Rechtes erfolgt, in deutsche Hand und Führung wieder zurückkommt, was ihr gehörte, wenn diesem Volke Vertrauen geschenkt und zum ersten Male seit der Katastrophe die Gelegenheit gegeben wird, in Nutzung seiner Kraft dem Frieden zu dienen, so wird damit der Versöhnung und der befriedeten Nachbarschaft hundertmal zuverlässiger gedient sein, als durch irgendeine Polizeikontrolle irgendein Knebelsystem.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung