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Heraus aus dem Bombentrichter!

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Die öffentliche Meinung lebt sichtlich in der Überzeugung, daß für die Bombengeschädigten längst das menschenmögliche getan worden ist. Diese Meinung wird noch bestärkt durch die Hinweise der Politiker auf das Wohnhauswiederaufbaugesetz und die HaMsratdarlehen. Durch das Kriegsschadengesetz von 1958 sei noch ein übriges geschehen.

Diese gesetzliche Hilfe kommt jedoch in der Praxis einer Enteignung des Nutzwertes auf 75 bis 100 Jahre gleich. Der überwiegende Teil der Hausbesitzer ergreift denn auch die Flucht vor dieser ..Hilfe“, indem sie den verbliebenen Rest, die Ruine, Verkäufer^ Das Wohnhauswiederaufbaugesetz war ohrfe den Geist der Hilfsbereitschaft nur zur Rettung der Batiwirt-schatt und zur Ankurbelung der Wirtschaft und Belebung des Arbeitsmarktes beschlossen worden. Ebenso abwegig ist es, die Hausratdarlehen als Hilfeleistung hinzustellen. In der Rückerstattung der Darlehen wurde es jedem Darlehensnehmer schmerzlich bewußt, daß er seinen Schaden bis zum letzten Groschen selber bezahlen muß. Wie er sich diese Groschen vom Munde abspart, darüber machte sich der Gesetzgeber keine Gedankeu. Wie völlig fremd dieser Aktion der Geist der Hilfsbereitschaft war, geht aus dem Umstand hervor, daß es dem Darlehensnehmer nicht gestattet war, das Darlehen so wirkungsvoll auszunützen, als es möglich gewesen wäre. Für w~nig Geld hätten die Geschädigten damals im Dorotheum brauchbare gebrauchte Möbel und Hausratgesens'ände ersteigern können. Nein, der Gesetzgeber erlaubte nur den Ankauf von neuen Möbeln und Waren. Das Gesetz war ja nur zur Ankurbelung der Wirtschaft bestimmt und hatte nur durch die Beschränkung auf die Bombengeschädigten einen Schein von Hilfsbereitschaft für diese.

Für die Errichtung neuer Hotels beispielsweise wurden begünstigte hohe Millionenkredite gewährt. Am selben Schreibtisch verweigerte und verweigert man Schwerkriegsgeschädigten Hotels von gutem, altem Bestände und hohem Ansehen die gleichen Kredite unter nichtigen Vorwänden. Man sieht ruhig zu, daß andere Hotels an der Schuldenlast ihrer eigenen Wiederaufbauleistung zugrunde gehen. Die Kredite für die neuerrichteterj Hotels sind zum Teil verloren, weil eine Reihe von ihnen bereits in Konkurs geraten ist.

So beruhigen sich manche wohlgesinnte Leute mit der Ansicht, daß man nach so langer Zeit von einem Problem der Bombenschäden doch nicht mehr reden könnte. Im Laufe der Jahre hätten sich die meisten' doch irgendwie schon selber geholfen. Der ganze Jammer sei nur das Geschrei einiger weniger, die sich gerne hervortun möchten. So eine Meinung ist aber nur bei Leuten möglich, die dem Problem nie nahegekommen sind. Wie sinnlos! Die Zeit kann doch nur seelisches Leid allmählich zum Erlöschen bringen. Aber die Zeit hat noch keine zerbombte Fabrik wieder instand gesetzt, hat noch kein vernichtetes Warenlager wieder herbeigeschafft, hat noch keine verlorene Wohnung wiedergebracht oder sie mit der nötigen Einrichtung versehen. Das ist alles nur eine Geldfrage. Aber auch ein unversehrt gebliebener, bestausgerüsteter Betrieb kann selbst in einem Menschenalter das nicht erarbeiten, was in einem Betrieb an Wert steckt, schon gar nicht bei den heutigen schweren Steuerlasten. Um wieviel weniger kann dies ein Geschäftsmann — und sei er der Tüchtigste von allen Tüchtigen —, dessen Substanz sich in einem furchtbaren Augenblick in Trümmer, Fetzen und Splitter verwandelt hat. Da ist eine ausgiebige Kapitalhilfe der einzig mögliche Weg. Wo aber soll diese Hilfe hergekommen sein im Laufe der lahre, wenn die Volksgemeinschaft daran blind vorübergegangen ist und geht?

Nicht weniger zurückgeblieben ist dieses Anliegen aber auch im Geiste führender Männer. Was ist doch das für ein ödes Gerede von der Not der Bombengeschädigten, sagen manche. Es geht uns doch allen schon wieder wunderbar. Wir haben einen Beschäftigungsgrad wie noch nie zuvor, einen Rekordstand an Spareinlagen, fast jeder zweite hat schon ein Auto, so viele verbringen, den Urlaub im Ausland, Fernsehapparate haben einen Rekordabsatz usw. So reden ernste Männer und empfinden nicht, wie ihr Denken dabei vor dem Schicksal der von der Kriegskatastrophe Betroffenen haltmacht wie vor einem geschlossenen Schranken. Sie denken nicht, ob auch die Geschädigten unter jenen sind, denen es so gut geht. Da wird doch der Wohlstand der Verschontgebliebenen gerade zu einer Anklage vor Gott und der Welt. Dieser Wohlstand wurde aufgebaut auf der Rücksichtslosigkeit gegenüber den Geschädigten, aufgebaut auf dem, was man den Geschädigten bisher schuldig geblieben ist.

Die Geschädigten tragen noch immer bitter hart an ihren Verlusten. Deshalb, weil sie alle nicht nackt oder in Fetzen herumlaufen, ist der Verlust an Kleidung, Wäsche usw. noch lange nicht behoben. Deshalb, weil die meisten doch wieder irgendein Dach über dem Kopf haben, ist die Wohnungssorge, das brennendste Leid vieler, noch lange nicht gelöst. Deshalb, weil viele sich doch schon wieder einige Einrichtung betchaf'- haben, ist der Einrichtungsbedarf der übrigen, namentlich der Nichtverdiener, noch lange nicht gedeckt. Der größte Teil hat ja die Häusrätdsflehen nicht in Anspruch nehmen können, weil er die zwei Hauptbedingungen nicht erfüllen konnte, nämlich den Nachweis einer neuen Wohnung und die Sicherheit der Rückzahlung des Darlehens. Deshalb, weil viele notgedrungen ihre Geschäfte und Betriebe wieder aufgerichtet haben, ist ihre Schuldenlast, ihr Kapitalmangel noch lange nicht behoben.

Ohne Kapitalzuschuß gibt es kein Herausarbeiten aus dem Bombentrichter. Daran können weder Monate noch Jahre etwas ändern. Daran ändert sich auch nichts, wenn es den übrigen noch so gut geht. Ja dadurch wird der Notstand für die Betroffenen nur um so fühlbarer. Wichtigste Voraussetzung für die Lösung des Problems ist die Behebung dieses Kurzschlusses im Geiste der führenden Männer, damit der Strom gesunden Denkens auch dieses zurückgebliebene Gebiet wieder beleben kann.

Es wurde in der „Furche“ schon von anderer Seite wiederholt darauf hingewiesen, daß durch die Vernachlässigung der Kriegssachgeschädigten in Österreich ein neues Proletariat, eine grollende „Partei der Geschädigten“ geschaffen wird. Schon zeigt es sich immer mehr, daß die Bombengeschädigten willig auf die schönen Worte der Kommunistenredner hinhorchen.Schon zeigen aber auch die Kommunisten, daß sie mit dem kleinen Finger nicht zufrieden sind, sondern auch die Wählerstimme haben wollen. Der Widerstand der Weiterblickenden verliert immer mehr an Boden.

Dieser Notschrei wird nicht verstummen, bis die öffentliche Meinung und der Geist der führenden Männer sich endlich zu einer wirksamen Hilfeleistung durch eine Neufassung der Kriegs- und Besatzungsschadengesetze von 1958 entschließen, zu einer Hilfeleistung, die um so höher sein muß, je länger sie auf sich warten hat lassen.

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