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Humanismus und Sdiulkultur

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Es gehört zu den großen Lebensgeheimnissen der Geschichte des Abendlandes, daß immer wieder in Zeiten der Wende, der innersten Gefährdung durch Einbrüche der Barbarei, neu die reine Stimme des Menschlichen aufklingt: in der Gestalt eines neuen Humanismus. — So geschah es bereits in der Abenddämmerung der antiken Welt, als der selbst bereits aus „barbarischem” Blut stammende Hieronymus jene süßen Briefe der Freundschaft an Paula und Eustochium schrieb, jene Briefe, die seither das Entzücken aller Freunde einer formschönen Kultur der Seele und des Geschmacks bilden … Dies Schauspiel wiederholt sich im mittelalterlichen Humanismus des Hofkreises um Karl den Großen, der Schulkultur der karolingischen und ottonischen Reichsklöster, dann in neuer schicksalsschwerer Wendender Zeiten im humanistischen Bestreben der protestantischen Schulen der Reformationszeit und der von Jesuiten geführten Schulen der katholischen Erneuerung des 16. und 17. Jahrhunderts. Aus ersteren erwächst die Kultur des deutschen Idealismus, des deutschen Bürgertums der Herder- und Goethe- Zeit, aus letzterer erblüht die letzte Frucht abendländischer Harmonie und geistig-seelischer Gemeinschaftsordnung: das Barock. — Wir haben also, allein historisch gesehen, allen Gr-und, dies für unser innerstes Werden so bedeutungsvolle Phänomen der Verbindung von Humanismus und Schulkultur näher zu würdigen. Denn immer wieder ging die Pflege des humanistischen Gedankens von kleinen Kreisen aus, die in berühmten Bildungsstätten wurzelten und die dann, in Lehre und Leben in eine größere Öffentlichkeit hinaustretend, daselbst Zeugnis für die Lebendigkeit, die Aktualität, die Wirkkraft ihrer Weltanschauung ablegten. Mochte es sich da im alten Deutschland um Schulpforta oder die Tübinger Stiftsschule handeln oder bei uns hier in Österreich, in Wien, um das Akademische Gymnasium.

Wohl auf die 1237 gegründete Wiener Staatsschule zurückgehend, hat diese erste Schule Wiens in ihrem vielhundertjährigen Bestand sich immer wieder als ein Hort des humanistischen Gedankens erwiesen. Hier fanden die Tagungen so vieler Gesellschaften humanistischer Philologen, von Freyn- den und Förderern der humanistischen Idee statt — sie selbst aber hat es vor allem immer wieder verstanden, Schüler in die Welt zu entlassen, die durch ihr Lebenswerk Zeugnis von humanistischer Gesinnung ablegten. Wir nennen aus der überaus großen Zahl derselben in den letzten Jahrzehnten nur zwei: Hugo von Hofmannsthal und Th. G. Masaryk. Humanismus drängt nach Selbstbezeugung — in Wort und Schrift, vor allem aber in der geformten Darstellung reifen Menschenlebens im Schauspiel, im Drama. Berühmt war bereits das Schuldrama der Protestanten, dann der Benediktiner und Jesuiten des Barocks. Unter der Leitung der letzteren führten nun bereits 1 5 5 4 Schüler des Akademischen Gymnasiums ein Drama des Euripides auf. Auf diese Tatsache konnte nun der gegenwärtige Direktor der Anstalt, Hofrat Markus, bei seiner Eröffnungsrede in der Wiener Urania verweisen. In einer neuen Krisis, in einer Zeit stärkster Bedrohung und Gefährdung des Menschlichen stehend, hat sich die Schule entschlossen, vor breiter Öffentlichkeit für den Gedanken des Humanismus und der humanistischen Schulkultur zu werben. Und wieder fiel, 1 9 4 8, die Wahl auf ein Werk des Euripides, auf die „A 1- kęsti s”.

Mit guten, tiefen Gründen wählte man Euripides. Dieser letzte der drei großen klassischen Meister des attischen Dramas steht persönlich selbst mitten im Untergang einer alten, im Aufgang einer neuen Welt. Dieser „Aufklärer” weiß um die Größe und Brüchigkeit der Vergangenheit, der er seine leidenschaftlichen Anklagen entgegenschleudert, wird aber gerade deshalb zum fanatischen Vorkämpfer einer Erneuerung des Menschlichen aus den letzten innermenschlichen Bezogenheiten. Euripides ist Lehrer, Programmatiker — in eine Welt, die sich immer mehr selbst gefährdet, setzt er seifte Thesen r— von der Pflicht des Menschen, den Göttern, vor allem aber dem Menschen selbst gegenüber: als Gabe und Aufgabe sind sich die Menschen anheimgegeben.

In diesem Sinn ist gerade seine „Alkestis” ein hohes Lehrstück eigenster Prägung. Die Götter haben den Tod des Fürsten Admet beschlossen; Apollon, dem Freund des gastlichen Hauses, gelingt es, das harte Urteil zu mildern: Admet soll leben, wenn ein anderer Mensch bereit ist, für ihn zu sterben. Vergeblich sein Appell an die greisen Eltern: sie versagen sich dem Opfer für ihr eigenes Kind. — Genug, e i n Mensch ist doch bereit: Alkestis, die junge, blühende Gattin. Sie stirbt für ihren Mann. Euripides, Vorkämpfer einer neuen innermenschlichen Humanität, will jedoch dies Werk nicht in Furcht und Grauen gewanden und darin untergehen lassen. Herakles, der Sohn des Zeus, ringt also Alkestis dem Todesgott ab und lohnt damit Admet die Gastfreundschaft, die dieser ihm gewährt hat, bis zur äußersten Grenze des eigenen Vermögens.

Unter Leitung von Univ.-Prof. Varn Borge und Dozent Dr. Theodor Litt (der gleichzeitig Professor der Anstalt ist), gelang den Schülern des Akademischen Gymnasiums eine eindrucksstarke Aufführung, die weit über den Rahmen eines Schulspieles hinaus Geltung und Bedeutung beanspruchen darf. Hier tritt in überzeugender Lebendigkeit eine junge Generation bewußt das Erbe ihrer Väter, ihrer geistigen Väter an.

Die Erschütterung aller Anwesenden galt ebenso der Strahlkraft des antiken Dichters wie seiner Wiedergeburt in den Herze.” dieser jungen Menschen

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