6771624-1969_04_14.jpg
Digital In Arbeit

Ist die Loren den Russen gefhrlich?

Werbung
Werbung
Werbung

Eine Hiobsbotschaft schreckte die Italiener auf: Ihre Lichtspiele, ihre Stars sind in der Sowjetunion unerwünscht. Das Staatskomitee für das Filmwesen in Moskau verfügte kürzlich, daß gewisse italienische Leinwandgebilde nicht mehr gezeigt werden dürfen. Die überraschende Vertriebssperre begründeten die „Apparatschiks“ damit, daß die Streifen wegen ihres „verderblichen bürgerlichen Einflusses“ gefährlich und für das sowjetische Publikum „absolut ungeeignet“ seien. Von dem Ausschluß betroffen wurden unter anderem Vittorio de Sicas „Gestern, heute und morgen“ (mit Sophia Loren), Mario Monicellis „Diebe haben's schwer“ (mit Moskau-Besucherin Claudia Oardinale) sowie „Rocco und seine Brüder“ von — das erstaunte am meisten — dem Genossen und Moskau-Besucher Luchino Visconti.

Ob der „grande purga“, der „großen Säuberung“, hob jenseits der Alpen ein lautes Gezeter an. Lamentierend fragte man sich nach den Gründen des plötzlichen Gesinnungswandels in Moskau. Schließlich waren alle Filme von der Zensur geprüft und unbeanstandet zugelassen worden, wurden sie von den Zuschauern gerne gesehen, ließen sie in jedem Falle die „Rubel rollen“ (einige wie zum Beispiel „Gestern, heute und morgen“ erwiesen sich als ein Bombengeschäft). Die Italiener fanden keine plausible Erklärung für den Vorgang — oder wollten sie, wie merkwürdigen Darstellungen in der Presse zu entnehmen, nicht finden. Dabei ist die Sache so einfach: Hätten sie, ihre Regierung und aueh die KPI weniger unfreundlich auf die Besatzung der Tschechoslowakei reagiert, wäre Sophia Loren wahrscheinlich nicht „gefährlich“. Die Sowjets gaben eine erste Antwort auf dieses von ihnen mißbilligte Verhalten. Vielleicht war es nur eine Warnung.Jedenfalls traf die Maßnahme den empfindlichsten Punkt der Exporteure — jenen, an dem wirtschaftliche Interessen und ein gewisser Nationalstolz sich berühren: Von allen westlichen Ländern hatten die Italiener die meisten Filme an die Russen verkauft, darunter nicht wenige mit Stars, deren Vornamen von den einheimischen Verehrern mit dem Attribut „nazionale“ versehen worden waren. Eine solche Behandlung muß ja kränken. Westliche Beobachter beschäftigen jsich bereits mit der Frage, wer wohl die nächsten sein werden, die mit derartigen „Sanktionen“ zu rechnen haben. Nicht wenige Anzeichen deuten auf einige Franzosen hin. Vor allem Yves Montand und Ehefrau Simone Signoret, beide jahrelang Aushängeschilder der gallischen Linken, sind davon bedroht — zumal nach dem unmißverständlichen Interview, das der Sänger-Schauspieler Radio Luxembourg gewährt hatte, in erster Linie aber auf Grund jenes ironischen Telegramms, das das Paar (mit dem französischen Filmregisseur Alain Resnais, dem spanischen Schriftsteller Jorge Sem-prun und dem britischen Filmstar Vanessa Redgrave, die bisher, das heißt, bis zu dem Überfall auf die CSSR, aus ihrer prokommunistischen Haltung kein Hehl gemacht haben) als Antwort auf den moskowiitischen Intellektuellenprozeß an Valerian Zorin, den Botschafter des Kremls in Paris, schickten. Darin wurde das sowjetische Volk „auf das wärmste beglückwünscht“, daß es unter ihm so couragierte Bürger wie Pavel Litvinov, Larissa Daniel, Konstantin Babitskij und andere gibt, die dem „Hammelregime“ Widerstand leisten. Derlei hört man nicht gerne in einer Diktatur. Und das könnte unangenehme Folgen haben. Gefährdet sind nach unserer Meinung auch Filme von Claude Autant-Lara, Yves Ciampi, Jacques Demy, Robert Enrico und Filme mit Robert Hossein, Jean Marais, Lino Ventura, Bourvil, Marina Vlady, Anna Karina, Nicole Courcel — allesamt übrigens wackere Rußlandreisende und -bewunderer (wenn auch nicht so „rot“ wie Autant-Lara, Ciampi und die Vlady). Läßt sich in dieser Angelegenheit vorläufig auch nichts Genaueres sagen, dürfte doch eines feststehen: in irgendeiner Form wird die französische Filmwirtschaft ebenfalls eine Quittung erhalten.

Was die Filmexporte des deutschsprachigen Westens in die Sowjetunion angeht, so sind sie zahlenmäßig belanglos. Restriktionen lohnen sich da nicht, brauchen also nicht befürchtet zu werden. Das könnte eher umgekehrt der Fall sein — wenn beispielsweise in der Bundesrepublik jemand, der politisch oder wirtschaftlich zu entscheiden hat, den Eindruck gewänne, es reiche nun mit dreimal „Krieg und Frieden“ auf der Leinwand, mit dreimal „Der stille Don“ auf dem Bildschirm. Zumal diese Werke so bedeutsam nun auch nicht sind, daß man sie unbedingt gesehen haben müßte. Von Bedeutung — und zwar nur für die Hersteller — ist lediglich das Prestige, das diesen Streifen von östlicher Seite beigemessen wird. Wo hier der schwache Punkt liegt, dürfte klar sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung