6681146-1961_44_16.jpg
Digital In Arbeit

Man braucht keine Lupe

Werbung
Werbung
Werbung

DIE ÖSTERREICHISCHE BRIEFMARKE ist auf den Hirsch gekommen. Diese Formulierung müßte als gesucht bezeichnet werden, würde sie sich nicht auf eine Marke beziehen, die von der österreichischen Postverwaltung zum „Tag der Briefmarke I960” herausgegeben wurde. Der Künstler, der die Marke entworfen hat, verewigte sich dabei selbst, indem er seine eine Hand die Lupe halten läßt, mit der er den Entwurf prüft, den die andere Hand hält. Oder sollte ich mich irren, und es wären die Hände, die diesen Entwurf billigten und in Auftrag gaben? Sich also für den Hirsch aussprachen, den die Vergrößerung aus der oberen rechten Ecke (!) des Entwurfes hervortreten läßt?

Trotzdem hält sich stereotyp die Meinung, wird sogar immer wieder neu ausgesprochen, daß die österreichische Briefmarke zu den schönsten der Welt zu zählen sei und ihre künstlerische und technische Ausführung gleicherweise einzig dastehe. Das darf nicht unwidersprochen bleiben, zumal in jüngster Zeit die Philatelie auch publizistisch stärker in Erscheinung zu treten beginnt, wie etwa aus der Widmung einer eigenen Seite in einer Wiener Tageszeitung zu schließen ist.

Die kritische Betrachtung der österreichischen Briefmarke in künstlerischer Hinsicht wird selbstverständlich auf den energischen Protest einer Mehrheit der Briefmarkensammler stoßen. Ging mir doch, als ich einmal einige kritische Bemerkungen darüber äußerte, in denen ich die Meinung vertrat, daß unsere Marken im östlichsten Osten Gefallen finden würden, wo man sie dem sozialistischen Realismus zurechnen würde, der Brief eines Sammlers zu. aus dem ich die folgenden Sätze zitiere:

„Wir Briefmarkensammler sind sehr zufrieden mit dem Aussehen der österreichischen Briefmarken und wünschen uns keine solchen, die den Fresken im Klagenfurter Bahnhof ähnlich sind,.. Es ist eine sehr traurige Zeiterscheinung, daß man jeden Dreck, wenn er nur aus dem Westen kommt, als Kunst bezeichnet. Mir ist der Osten politisch bestimmt unsympathisch, seine Kunst dagegen finde ich enorm! Da könnte sich mancher ,Künstler eine Scheibe abschneiden, und auch mancher Kritiker sollte einmal im Osten in die Schule gehen, um endlich der Natur wieder nahe zu kommen.”

Ich glaube kaum, daß dieser Vorschlag von Kritikern aufgegriffen werden dürfte, zumal sich die Naturbeobachtung höchstwahrscheinlich auf Sibirien beschränken würde. Aber der Brief zeigt klar und deutlich, daß künstlerische Fronten noch immer, wenn auch vielfach unbewußt, was um so tragischer zu werten ist, politischen gleichzusetzen sind.

Darf ich meine Leser an die Marke zum Nennwert von einem Schilling erinnern, die einen Läufer zeigt, und sie bitten, zum Vergleich den Stafettenläufer aus der Olympia-Serie 1936 des Deutschen Reiches heranzuziehen? Das Tempo hat sich verringert und die Richtung des Laufes geändert (Seitenverkehrung ist bei den österreichischen Marken bekannt). Sonst nichts. Dasselbe etwa gilt auch für die Marke „Jugendwandern” oder gar für jene, mit deren Herausgabe die Republik der „Opfer für die Freiheit Österreichs” gedachte. Diese Marke zeigt auf einem Podest eine Schale, aus der eine stilisierte Flamme lodert, und eine durchhängende Kette (!) mit einem gesprengten Glied. Diese Marke ist in jenem künstlerischen Geist entworfen, der zu jener Zeit obligat war, als diese Opfer fielen.

Die Briefmarken tragen die Namen derer, die sie entworfen, und die Namen der Stecher, die sie ausgeführt haben. Somit ist die Berechtigung gegeben, der ästhetischen Meinung der Briefmarkensammler auch eine kritische Beurteilung nach künstlerischen Maßstäben entgegenzusetzen.

EIN BESONDERS EINDRUCKSVOLLES BEISPIEL vergangener Kunstnorm haben wir in der Marke zum Nennwert von 1,50 S vor uns, die eine Mutter mit einem Kind zeigt (Muttertag 1958). Ganz abgesehen von der ungemein kitschigen Gesamtauffassung, dem nordischen Knoten der Mutter in der Leitmotivik der NS- Frauenschaft, möchte ich die Aufmerksamkeit auf die zeichnerische Ausführung des Gesichtes der Mutter lenken; es ist im übrigen gar nicht dem Kind, das seinen Kopf in die Hände der Mutter gelegt hat, zugewandt, sondern dem Betrachter der Marke. Die starke Neigung des Kopfes wie auch die leichte Drehung wirken zwar ungemein gefühlvoll und lieblich, also verlogen, wurden vom Zeichner aber formal nicht bewältigt, und man muß es als Ironie bezeichnen, daß hier aus handwerklichem Unvermögen, ganz ohne geistige Bewußtheit, etwas entstand, was „diese” Künstler an den „anderen” so gerne anprangern, nämlich die Darstellung eines Kopfes, für dessen Komposition verschiedene Blickwinkel Verwendung fanden.

Die künstlerischen Qualitäten einer Briefmarke basieren auf Kriterien des Entwurfes als Idee und Gestaltung, der Farbgebung und der technischen Ausführung.

Von der Idee war bereits die Rede bei der offensichtlich nur postalischem Verständnis zugänglichen Assoziation von Hirsch und Briefmarke. Zwei Beispiele mögen für Gestaltung und Komposition Zeugnis geben: Im vergangenen Jahr widmete die Postverwaltung Jakob Prandtauer eine Gedächtnismarke, die im wesentlichen seinen Kopf zeigt, hinter diesem Kopf aber wie eine Fata Morgana das Stift Melk erscheinen läßt, das nicht nur in den Bildraum der Marke eingezwängt ist, sondern auch ohne seine, für die Komposition des Stiftes entscheidende Lage in der Landschaft, den Abfall zum Strom, dargestellt ist. Noch eindrucks voller die Marke, die im Jahre 1959 dem Europagedanken gewidmet wurde und einen Wolkenkratzer zeigt, der die Form eines E hat und sich auf einer in einem Kalottenausschnitt gezeigten Erdkugel über den europäischen Kontinent erstreckt. Das besondere an diesem Europagebäude ist, daß es eine Dokumentation des weithin bekannten Emmentaler-Stiles ist der ja auch unserem modernen Wiener Bauwesen markante Käsekontur gibt. Für die Farbgestaltung der österreichischen Briefmarke, die zugegebenermaßen weniger oft daneben gerät, ist. als Beispiel etwa das Gelb der Eiseisberg- Marke anzuführen, noch besser aber die Esperanto-Marke des Jahres . 1949 in ihrem besonderen Grün, die zu den minderwertigsten Produkten überhaupt gehört.

ZUR BEWERTUNG DER TECHNISCHEN LEISTUNG der Stecher möchte ich die jüngst erschienenen Marken zum Jubiläum des Künstlerhauses heranziehen. In der Markenwiedergabe haben die Bilder ganz ihre Plastizität verloren, ihre Tiefe; Pettenkofers doch recht kleines Original macht den Eindruck eines großen Schinkens, bei Makart wieder geht es einem umgekehrt; eine genaue Untersuchung der Details wird ergeben, daß vieles nur verschwommen aufscheint und angedeutet ist. Es mag dies vielleicht in der Tat technisch nicht anders zu bewältigen sein, was aber keine Entschuldigung ist, sondern nur die Unart erkennen läßt, die dadurch entsteht, in Mikrogröße transponieren zu wollen, was sich nun einmal nicht zu diesem Format verkleinern läßt.

Die Originale dieser Serie wurden in einer Ausstellung gezeigt, die das Künstlerhaus zum Jubiläum seines 100jährigen Bestandes veranstaltete. In einem Winkel dieser Ausstellung waren nun auch Briefmarkenentwürfe zu sehen. Auf diese Weise konnte man erfahren, daß jene Leute, die für das Aussehen unserer Briefmarken verantwortlich sind, in der Tat Künstler sind und sogar Mitglieder einer Künstlervereinigung. Dies überraschte, denn die Namen, die auf unseren Marken aufscheinen, sind kaum vertraut und bezeugen damit, daß die österreichische Briefmarke mit der österreichischen Graphik von heute, die auch international einen guten Namen hat, wenig gemein hat.

WARUM WERDEN BRIEFMARKEN nicht auch öffentlich ausgeschrieben, und warum haben einige Leute ganz offensichtlich eine Art Dauerstellung als Briefmarkenentwerfer? Die Berechtigung, diese Fragen zu stellen, scheint mir in einer Funktion der Briefmarke selbst zu liegen: Sie ist jene künstlerische Repräsentation eines Landes, die am häufigsten ins Ausland dringt. Sollte man nun in der Welt unser Land und seine künstlerische Potenz nach unseren Briefmarken bemessen, würde das ein katastrophales Bild ergeben und mit dem Heurigen- und

Ein positives Beispiel: die Philharmonikermarke

Backhendlklischee in einem Atem zu nennen sein. Wozu noch kommt, daß diese Galerie sehr häufig ausgewechselt wird und unsere Briefmarkenproduktion sich heute schon mit der von San Marino messen kann.

Repräsentation ist nur eine zusätzliche Funktion der Briefmarke. Fragt man nun aber nach der eigentlichen Funktion, wird man erst erkennen müssen, welche Irrwege ihre Gestaltung eingeschlagen hat. Die Briefmarke dient der Freigabe von Postsendungen und hatte in ihren Anfängen einen Stempel zu ersetzen, also den Abdruck eines Siegels. Die künstlerische Ausführung leitet sich vom Gemmenschnitt her. Was aber ist heute aus der Briefmarke geworden? Eine Gemäldegalerie, Fremdenverkehrsplakate en miniature, Landschaftsmalerei („Kärntner Volksabstimmung”!), geistige Ahnengalerie, Trachtenpuppenschau.

Apropos: Trachtenpuppenschau. Von unseren Gebrauchsmarken war noch nicht die Rede, doch unterscheiden sie sich kaum von den bereits angeführten Beispielen. Nachdem man lang genug Österreich ausschließlich als Puppenland dokumentierte — man kann die Trachtendarstellungen mit den Mannequingesichtern kaum anders denn als Püppchen ansprechen, womit sie dem üblichen Souvenirkitsch gleichzusetzen sind —, versucht man es nun mit Baulichkeiten, bei denen eine ausgesprochene Vorliebe für Türme festzustellen ist (offensichtlich, um Österreich als ein Land zu bezeugen, das schon stets hoch hinaus gewollt hat). Da wir aber ungeachtet aller künstlerischen Ignoranz auch in einem Proporzstaat leben, kleben wir auf unsere Postkarten brav die braunen (siehe schwarzen) Türme von Mariazell und auf unsere Briefe den roten Turm eines Wiener Gemeindebaues.

1950 erschien zum hundertjährigen Jubiläum der Briefmarke eine auf leicht gelb getöntem Papier gedruckte und in schwarz ausgeführte Marke, die nichts anderes war als ein Neudruck einer alten 2-Kreuzer-Marke; zur Kennzeichnung des Jubiläums gab man ihr einen sehr geschmackvollen Rahmen, der ebenfalls nicht neu entworfen wurde, sondern schon eine gute Generation alt war. Die eindrucksvolle Schönheit dieser Marke wird von keinem geleugnet. Überzeugend in ihrer klaren, rein graphischen, wenn auch herkömmlichen Gestaltung sind auch die verschiedenen Werte der Portoserie, die bezeichnenderweise kein Signum eines Künstlers tragen, sondern wahrscheinlich von einem guten Gebrauchsgraphiker stammen, der sich auf sein Geschäft verstand.

Vielleicht sollte man sich doch einmal Gedanken auch über unsere Briefmarken machen und sich nicht damit begnügen, sie abzulecken und aufzukleben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung