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Osterreichische Markenkunst

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Das Dokument, durch das ein Staat sein künstlerisches Niveau auf die größte Reichweite zu bekunden vermag, ist die Briefmarke. Sie erscheint in Gegenden, die kaum ein Landfremder zu betreten pflegt, sie vermag zu Menschen zu sprechen, die keine Werbeschrift erreicht. So klein sie ist, vermag sie Kunstwerk zu sein.

Als der britische Generalpostmeister Sir Rowland Hill am 6. Mai 1840 die erste Marke (den Wert zu einem Penny, schwarz) emittierte, entsprach er einem Verkehrsbedürfnis, das in einer Zeit sonst noch patriarchalischer Wirtschaftsformen im kommerziell vorwärtsdrängenden England am stärksten zutage trat. Der geographische Vormarsch der Briefmarke vollzog sich im „Rösselsprung“. 1843 folgten Brasilien und die Kantone Genf und Zürich als nächste Markenländer. 1845 gab die Stadtpost von St. Petersburg Briefmarken heraus, 1846 die Vereinigten Staaten von Nordamerika, 1848 kam Rußland an die Reihe, 1849 Belgien, Frankreich und Bayern, 1850 Österreich. Ohne die Erfindung der Briefmarke wäre der moderne Briefverkehr nicht zu denken. Die Verdichtung, Verfeinerung und Erleichterung, die internationale Verflechtung — kurz alle Spitzenleistungen des Postwesens, haben diese stumme Dienerin, die Briefmarke, zur Voraussetzung.

Auf gute Ausstattung der Briefmarke haben die Postverwaltungen immer Wert gelegt. Die alten Markenbilder von Frankreich, England, Belgien und den deutschen Staaten sind nicht selten Meisterwerke. Schon bei den ersten Ausgaben wechseln Buchdruck (Österreich, Bayern), Tiefdruck (England) und Stahlstich (Preußen), so daß die wesentlichsten Herstellungsarten bereit in der Frühzeit erscheinen. Die Di-Stellung bevorzugte Porträts der Souveräne, Wappenbflder und Vertziffern. Iii Österreich erschien das Bild des Monarchen erst auf der Ausgabe von 1858. Die Auflockerung der Tradition ertolgte in den außereuropäischen Ländern Die Darstellung wird mehrfarbig, das Sujet belebter. Da erschienen die Papageien Guatemalas, die Giraffen von Nyassa-Land, die Tapire, Krokodile und Palmen der indonesischen Inseln. Die glänzend gestochenen Darstellungen wurden meist in London gedruckt. Die europäischen Staaten selbst blieben bei einfach-repräsentativen Bildern. Zum Ruf der sehr konservativen altösterreichischen Marken hat vor allem das militär-ärarische Postwesen von Bosnien-Herzegowina beigetragen, das an Stelle des anfänglich gebrauchten Doppeladlers aus staatsrechtlic'ien Gründen zur Verwendung von Landsc'aftsbildern überging. Moser und Schirnböck schufen damals durch ihre meisterhafte Lösung das Vorbild einer bald in vielen Staaten nachgeahmten Motivs.

Nach dem ersten “Weltkrieg kam eine lange Reihe von in der Welt geschätzten österreichischen Sondermarken. Die Städtemarken (Entwurf: Junk, Stich: Schirnböck), Kabinettstücke architekturbeschreibender Miniaturen; die Nibelungenmarken (Entwurf: Dachauer, Stich: Franke), deren Wert zu 8 und 2 Groschen auf einer internationalen Ausstellung in Amerika zur schönsten Marke der Welt erklärt wurde; die ebenso feine, wie scharf charakterisierende Zeichnung der Seipel-Marke (Entwurf: Junk, Stich: Lorber), die in kräftigen barocken Formen gehaltene Katholikentagsmarke (Entwurf: Gräfin Attems); die Wipa-Marke, nach einem Bilde Moritz von Schwinds, von Junk gestochen, um nur einige zu nennen. Gut gelungen war auch die mehrfach fortgesetzte Reihe berühmter Österreicher (Musiker, Dichter, Maler, Baumeister, Heerführer, Erfinder und Ärzte). Seit den zwanziger Jahren trat neben die Stahlstiche der Rastertiefdruck (die beiden FIS-Sätze, die Flugpostmarken 1935, die Muttertagsmarke 1936 usw.). Es lohnt sich, jedes einzelne dieser Stücke zu betrachten, um ihren abwechslungsreichen Vorzügen, ihrem Ideenreichtum und ihrer technischen Ausführung durch die Staatsdruckerei gerecht zu werden. Eine Besonderheit österreichischer Markenkunst stellen in .gewissen Serien auch die Umrahmungen dar. Schon vor dem ersten Weltkrieg haben ausländische Staaten gerne ihre Markenemissionen dem berühmten Wiener Institut anvertraut. Nicht nur das benachbarte Liechtenstein, auch Bulgarien, die Türkei, Albanien, Siam, Norwegen und Montenegro. Die österreichische Briefmarke trug den Ruf ihrer Künstler weit in die Welt hinaus, so daß Wiener Künstler auch mit den Entwürfen für Marken beauftragt wurden, die dann in dem Bestellerland hergestellt wurden. So stammten einige norwegische Ausgaben von österreichischer Künstlerhand, vor allem aber die berühmt gewordene Vatikanserie, das letzte Werk des Altmeisters Schirnböck, ein Juwel der Stecherkunst.

1938 wurde es von Berlin unternommen, die Wiener Staatsdruckerei auszuschalten. Die Markenerzeugung in Österreich sollte eingestellt werden. Aber die Absicht, die weltbekannte Wiener Erzeugungsstätte umgehen zu wollen, war so grotesk, daß der Plan schließlich fallen gelassen wurde. Aus dem Wiener Institut stammen die Mozart-und die Rosegger-Marke, Postkongreß 1942, Deutsche Goldschmiedekunst, Braunes Band 1942, Preis von Wien 1943 und 1944, Tag der Briefmarke 1944 usw. Die Marken des „Generalgouvernemts“, die sich durch Delikatesse der Ausführung auszeichneten, stammten ebenso wie die 80 Millionen Marken, die im Kompensat'onswege in die Türkei geliefert wurden, aus Wien.

Ein großes Kapital ist in der Pflege unserer heimischen Markenkunst zu bewahren. Es gilt dabei Vorsicht zu üben. Auch bei neuen Markenausgaben gilt das alte „Ne quid nimis“ oder auf gut deutsch: Allzuviel ist ungesund. Eine Sonderausgabe fordert, wie schon der Name besagt, auch wirklich einen besonderen Anlaß, wie er bei den in der „Furche“ kürzlich eingehend gewürdigten Stephansdommarken vorliegt. Sie darf nicht eine fiskalische Operation, eine Art Listbarkeitssteuer für Philatelisten sein. Sie soll nur Werte umfassen, die in Reichweite des praktischen Gebrauches liegen und sie nur mit mäßigen Zusdilägen versehen, di- wirtschaftlich und optisch zu rechtfertigen sind. Ein Aufschlag von tausend Prozent (Befreiungsmarke 1945, die Ausgabe zahlreicher, sehr hoch gegriffener Werte mit hundertprozentiger Supertaxe sollten vermieden werden. Das markenkonservative England kennt nicht einmal Luftpostwerte — und hat doch nach allen Richtungen der Windrose Fluglinien in Betrieb. Es kennt keine Zuschläge und seine Sonderemissionen im letzten Vierteljahr-hundert sind an den Fingern einer Hand abzuzählen. Die Schweiz ist wohl markenfreudiger, aber sie hält die einzelnen Markenwerte der Sonderausgaben in Höhen, die auch eine Verdoppelung zugunsten des wohltätigen Zweckes vertragen. Es ist vor allem besser, eine schöne einprägsame

Markenreihe langer im Kurs zu halten, als oft und ohne verständlichen Anlaß zu wechseln. Die Markenpresse hat eine entfernte Verwandschaft mit der Noten presse: inflationistischer Druck entwertet. Und was wichtiger ist: die Briefmarke ist kein Wertpapier im monetärem Sinne; wenn man sie mit Kosten belegt, die mit dem Zweck der Briefmarke nichts zu tun haben, so macht man aus ihr ein Spekulationsobjekt. Das ist nicht Aufgabe einer soliden Postverwaltung.

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