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Digital In Arbeit

Freude an bunten Papierchen

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Briefmarkensammeln behält auch im Zeitalter von e-Mail und Fax seine Faszination, für eifrige Philatelisten muß es nicht die Blaue Mauritius sein ...

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Briefmarkensammeln behält auch im Zeitalter von e-Mail und Fax seine Faszination, für eifrige Philatelisten muß es nicht die Blaue Mauritius sein ...

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Briefmarken? Im Zeitalter von eMail, Fax, privaten Verteilerfirmen? Ist nicht der Liebesbrief, der Geburtstagsgraß an die Tante die letzte Gelegenheit, eine Marke aufzukleben — und die letzte Chance für den sammelnden Nachwuchs, Briefmarken wirklich in Ausübung ihrer Funktion zu erleben und einzuheimsen?

Als Bowland I Iill 1837 seine Ideen für die Beform der englischen Post vorlegte und zur Quittierang des vorauszubezahlenden Portos aüfklebbare Vignetten vorschlug, sollte die Briefmarke nichts anderes als eine Zah-lungsquittierung sein, 1840 erschien die „Black Penny”, die erste Marke in England (die Idee der Briefmarke hatte schon 1835 Lorenz Koschier im damals österreichischen Laibach -ohne Echo - vorgelegt).

Zürich folgte 1843; die erste Marke auf deutschem Boden war der „Schwarze Einser” von Bayern 1849, und seit 1. Juni 1850 gab es auch in Österreich Briefmarken.

Zunächst ging es langsam; die erste Ausgabe mit dem Doppeladler war acht Jahre im Verkehr, bevor die nächste, mit dem Bild des Kaisers, an die Schalter kam.

1892 bot der 400. Jahrestag der Entdeckung Amerikas zuerst in Argentinien, dann auch in den USA den ersten Anlaß, mit Sondermarken eines besonderen Ereignisses zu gedenken.

Dann ging es immer schneller. 1949 brachte der Michel-Katalog, das deutsche Standardwerk, alle Marken Europas in einem Band mit gut 1.000 Seiten unter. Heute braucht er dazu drei Bände mit zusammen 5.400 Seiten.

Denn aus der simplen Zahlungsbestätigung von einst ist ein umfangreicher Wirtschaftszweig geworden, der nicht nur für Liechtenstein, Monaco oder San Marino eine große Rolle spielt. Die Briefmarke ist Zeichen nationaler Identität; Propagandainstra-ment, das schon zu schweren Verwicklungen geführt hat; Werbeträger mit großer Breitenwirkung. Dazu haben ganz wesentlich die Sammler beigetragen. Gesammelt wurde schon sehr bald, zunächst ohne System, alles, was einging - mitunter zum Tapezieren der Zimmerwände. Schon vor der Jahrhundertwende gab es erste Ausstellungen. Verlage legten Vordruckalben, Kataloge auf. Weltraritäten wie die „Blaue Mauritius” oder die „EinCent-Guyana” standen unerreichbar am Markenhimmel, „Sachsen-Dreier” und „Roter Merkur” wurden zum Wunsch-träum der kleineren und mittleren Sammler.

Was fasziniert so an den kleinen Papierchen, ob sie nun ihren Dienst als Quittung erfüllt haben oder nie auf einen Brief geklebt worden sind? Da spielt wohl zuerst der natürliche Sammlertrieb des Menschen mit -verschiedene Formen einer „Gattung”, ob Briefmarke, Münze, Bierdeckel oder Zigarettenschachtel, werden nebeneinander gelegt, analysiert, miteinander verglichen, archiviert.

Das Briefmarkenangebot von 150

Jahren ist - trotz aller Flut - immer noch überschaubar, in Grenzen erreichbar - und bietet unbegrenzte Möglichkeiten, die eigene Phantasie spielen zu lassen, eigene Kriterien anzusetzen.

Ob die Sammlung sich auf die österreichische Wappenserie von 1850 mit allen ihren Typenunterschieden konzentriert oder ein neues Markenland wie Makedonien oder Kasachstan von der ersten Ausgabe an erfaßt; ob die Postgeschichte von Pinkafeld anhand von Briefen, Stempeln, Dokumenten illustriert, oder die Vielfalt exotischer Schmetterlinge mit Marken verschiedener Länder dokumentiert wird; ob die Stempel von Posthilfsstellen oder die modernen Automatenmarken - alles ist möglich und wird praktiziert.

In meiner Jugend sammelte man noch „Ganze Welt”, die in einem dicken Lose-Blatt-Album Platz hatte. Da wurden auch noch die eingedruckten Wertstempel von Postkarten und Umschlägen ausgeschnitten und dazugeklebt. Und von den mit hohen Frankaturen beklebten Inflationsbriefen wusch man die Marken fein säuberlich ab, um sie einordnen zu können.

Heute rauft sich der Sammler ob solcher Gewohnheiten die Haare -der „Beleg” ist Trumpf, der echt gelaufene, portorichtig freigemachte Brief, der Geschichten erzählen kann, wo die Marke nur flüstert.

Die Briefmarke als „Aktie des kleinen Mannes”? Keine Illusionen! Der Wert der Sammlung liegt in der Freude, die der Sammler beim Zusammentragen seiner Schätze, bei der Be-fassung mit ihnen empfindet; die er mit Gleichgesinnten austauscht; die ihm mehr sein soll als Kataloge verheißen.

Um Briefmarken als Geldanlage zu benützen, muß man sehr viel davon verstehen. Wer in den sechziger Jahren von jeder Sondermarke einen Bogen aufhob, in der Hoffnung, sie später teuer zu verkaufen, kann sie heute nur mehr zu einem Bruchteil des damaligen Kaufwerts zum Frankieren seiner Briefe verwenden - aber wer schreibt heute noch Briefe?

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