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Der Vogel von Mauritius

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Man wüßte bei uns nicht viel von Mauritius, wäre es nidit durch seine berühmte Briefmarke, die heuer ihren 100. .Geburtstag feiert. Und doch verdient das liebliche Eiland auch mancher anderen Erinnerung. Die Liebe eines Wanderers hängt an ihm.

Mah muß lange im Atlas suchen, bis man die Insel 20 Grad unter dem Äquator im westlichsten Teil des Indischen Ozeans findet. Sie liegt weit von den Großstädten der Kontinente: bis Kapstadt sind es 3600, bis Bombay 4000 und bis London 12.000 Kilometer. Mit R^union und Rodrigues bildet sie die Mascarenengruppe, die die Gelehrten für Uberreste eines auseinandergebrochenen und ins Meer versunkenen Erdteiles halten, den sie Lemuria oder Gond-wana nennen.

Mauritius ist recht klein — seine größte Länge beträgt 58 Kilometer. Und doch leben hier über 400.000 Menschen, das sind durchsdinittlich 194 Menschen auf einem Quadratkilometer. Wenn man bedenkt, daß die Bevölkerungsdichte in Madagaskar nur 6 und sogar in England nur 190 Einwohner auf den Quadratkilometer beträgt, so ist es überraschend, daß Mauritius bis in die Neuzeit unbewohnt war, obgleich die Insel fruchtbar ist, gutes Trinkwasser hat, natürliche Häfen besitzt, frei von Raubtieren und Giftschlangen ist und den seefahrenden Nationen seit langem bekannt war. Erst im Jahre 1598 ließen sich die Holländer hier nieder, und von ihnen stammt der Name Mauritius zu Ehren des Statthalters Moriz von Nassau. Aber die Holländer scheinen keine ernstlichen Kolonisierungsabsichten gehabt zu haben, denn sie überließen sie dem Raubbau privater Gesellschaften. Im Jahre 1710 verließen sie die Insel, die nun wieder menschenleer war, bis sie im Jahre 1715 von den Franzosen besetzt wurde, die sie Isle de France nannten. Erst seit damals ist sie ständig besiedelt.

Was Frankreich hier in großzügiger Arbeit leistete, ist bewunderungswert. Die Insel nahm hauptsäddich durdi den Anbau und der Verarbeitung des Zuckerrohres einen raschen Aufschwung, und vieles von dem, was die Franzosen schufen, besteht noch heute, wie zum Beispiel das Regierungsgebäude in der Hauptstadt Port-Louis und der herrliche botanische Garten in Pamplemousses; auch der im Jahre 1769 begründete statistische Almanach erscheint noch jetzt. In der Literatur ist die Insel als Schauplatz der Erzählung „Paul und Vir-ginie“ von Bernardin de St. Pierre bekannt.

Zu Napoleons Zeit fügten französische Korsaren der englischen Flotte durch Raubüberfälle von Mauritius aus so schweren Schaden zu, daß England an die Eroberung der Insel ging und sie im Jahre 1810 besetzte. Die Engländer gaben ihr den alten Namen zurück und schafften bald die Sklaverei ab, ließen aber sonst vieles beim alten. So ist das Französische noch immer die Sprache der Gesellschaft und einer sehr regen literarischen Produktion. Audi das kreolische Idiom, in dem sich die unteren Klassen verständigen, ist französischen Charakters.

Kulturelle Beziehungen verbanden Mauritius mit dem alten Österreich. Im Museum von Port-Louis fand ich die Kopie eines Gemäldes aus dem Schlosse Schönbrunn mit der Darstellung eines seit mehr als 200 Jahren ausgestorbenen mauritiani-schen Vogels, Dodo oder Dronte genannt. Von diesem Vogel fand man erst bei Kanalgrabungen im Jahre 1865 ein größeres Lager von Knochen, aus denen man sogar drei vollständige Skelette zusammenbrachte; aber vom Federkleide des Dodo existiert nichts, denn das einzige ausgestopfte Exemplar, das es gab, ist aus dem Londoner Museum verschwunden und muß als verloren angesehen werden. So hat das Museum in Port-Louis nach dem Schönbrunne r Bild, das aus der holländischen Zeit stammt, mit ausgewählten Federn anderer Vögel einen künstlichen Dodo hergestellt, der die staunende Aufmerksamkeit ahnungsloser Besucher erregt. Die Insel hingegen sandte im Jahre 1782 an den Kaiser von Österreich eine Sammlung von Pflanzen aus dem Garten von Pamplemousses, die in Schönbrunn eingesetzt wurden. Im Jahre 1821 kam auf einer von der österreidiischen Regierung veranstalteten Forschungsexpedi-tion der aus Prag stammende Botaniker Venceslas Bojer auf die Insel und fand dort seine zweite Heimat und ein Feld verdienstvollen Wirkens.

Durch die Eröffnung des Suezkanals im Jahre 1869 verlor Mauritius viel von seiner Bedeutung als Schlüssel zum Indisdien Ozean, doch hat der letzte Krieg die Bedeutung maritimer Stützpunkte so klar erwiesen, daß mit dem Wiederaufstieg der Insel zu rechnen ist.

Und die „blaue Mauritius“? Bekanntlich gab es früher keine Briefmarken und das Porto wurde auf der Post bar bezahlt. In England kam die erste Marke im. Jahre 1840 heraus, und es bezeugt die Fortschrittlichkeit von Mauritius, daß man dort schon im Jahre 1847 die Herstellung einer eigenen Marke unternahm. Der Generalpostmeister beauftragte damit einen einheimischen Künstler; und da dieser ein Stockfranzose war und nidit Englisch konnte, schrieb er ihm den Markentext auf. Aber als der Zeichner mit dem Bilde fertig war und mit der Schrift beginnen wollte, fand er den Zettel des Postdirektors nicht mehr. Daher ging er zur Postverwaltung in Port-Louis, um sich den Wortlaut nochmals aufschreiben zu lassen. Aber als er am Gebäude das Schild „Post-Office“ (Postamt) sah, kam ihm vor, dies sei der Text, den er zu schreiben hätte. Er kehrte also um und versah die Marke mit dieser Aufschrift. Als der Generalpostmeister die fertigen Markenbögen bekam, bemerkte er gleich den Fehler und steckte sie in die Tischlade, damit sie nicht ausgegeben werden sollten.

Um diese Zeit veranstaltete der Gouverneur Sir William Gomm das offizielle Repräsentationsfest, das damals alljährlich für die Spitzen der mauritianischen Gesellschaft gegeben wurde und eine wahre Modensdiau war, zu der die Toiletten mit hohen Kosten oft aus Paris beschafft wurden. Lady Gomm wußte von den Briefmarken; um die Gelegenheit zu einer besonderen Überraschung nicht zu versäumen, überredete sie die Frau des Generalpostmeisters, mit der sie befreundet war, ihr von den Marken zu bringen und verwendete sie für die Einladungen, die sie zum Ball ausschickte. Was der Gouverneur und der Postdirektor zu ihren Gattinnen sagten, ist nicht bekannt, aber zu einer Weiterverwendung der Marke kam es nicht. So erklärt es sich, daß nur so wenige Stück davon erhalten blieben.

Und wie jede richtige Geschichte hat auch diese eine Moral, daß nämlich Mangelhaftigkeit nicht verzweifeln muß, denn auch sie hat einen Wert, in unserem Falle sogar einen unvergleichlich höheren als tadellose Vollkommenheit; denn bei richtigem Text wäre die Marke in den allgemeinen Postverkehr gekommen und niemals die Königin aller Briefmarken, der Wunschtraum so vieler Philatelisten, geworden.

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