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PROF. DR. LEOPOLD SCHÖNBAUER / VON DER MEDIZIN ZUR POLITIK

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Nach einem stillen, von der Fügung ins Unabwendbare gezeichneten Finale klang ein voller Schlußakkord auf. Er galt nur mehr einem Toten und war wie ein Reflex, eine Rückblendung auf die Höhepunkte eines reichen Lebens.

Der Abschied von Prof. Doktor Schönbauer, dem langjährigen Vorstand der I. Chirurgischen Univ.- Klinik und Direktor des Allgemeinen Krankenhaus in Wien, gestaltete sich zu einem Ereignis, dessen Bild in konzentrierter Form die Wirkungsbreite einer außergewöhnlichen Persönlichkeit erkennen ließ.

Prof. Schönbauer entstammte einer alten Waldviertier Ärztefamilie. Der Beruf lag ihm also im Blut. Seine Begabung drängte ihn aber auf eine Bahn, die ihn vom Land in die Stadt, von der landärztlichen Praxis des Vaters zum Fachstudium und zur wissenschaftlichen Karriere führte. Die Per sönlichkeit A. v. Eiseisbergs zog ihn an und reihte ihn ein unter die glänzenden Schüler dieses einzigartigen Meisters der Chirurgie. Während die anderen jedoch den Ruf der Wiener Schule an auswärtigen Universitäten vertreten sollten, blieb es Egon Ranzi und nach ihm Leopold Schönbauer Vorbehalten, den Lehrstuhl Eiseisbergs selbst einzunehmen. Schönbauer ebnete sich den Weg zu diesem Aufstieg hauptsächlich durch seine Tätigkeit und seine Arbeiten auf dem Gebiet der Neurochirurgie, welches anfangs der dreißiger Jahre das große Neuland der chirurgischen Entwicklung darstellte. Durch Schönbauer, der damals Primararzt im Krankenhaus Lainz war, wurde Wien in jener Zeit eines der wichtigsten Zentren für Hirnchirurgie in der Welt.

Die Berufung zum Vorstand der l. Chirurgischen Univ.-Klinik im Jahr 1939 fiel bereits in den zweiten Weltkrieg. Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, daß mit der Erreichung dieses Zieles die Forschungstätigkeit Schönbauers und damit auch der Fortschritt auf dem engeren Fachgebiet der Chirurgie viel an Elan einbüßte. Daran waren die turbulenten äußeren Zeitverhältnisse ebenso schuldtragend wie die Natur Schönbauers selbst. Er war kein Monomane und alles andere als der Typ des stillen Gelehrten. Er sah über den Rand der Wissenschaft hinaus und suchte die Verbindung zum Leben. Charakterlich impulsiv, zuweilen heftig und gereizt, vertrat er seinen Standpunkt temperamentvoll und hartnäckig.

Im Krieg hatte er als Leiter eines Lazaretts für Hirnverletzte noch Gelegenheit, seine reichen

Fachkenntnisse auf breiter Basis anzuwenden. Nachher aber nahmen ihn andere Aufgaben immer mehr in Anspruch. Es war ihm durch persönliches mutiges Eintreten gelungen, das Übergreifen der Kampfhandlungen auf das Allgemeine Krankenhaus zu verhindern. Es fügte sich dann von selbst, daß ihm die Direktion der gesamten Anstalt übertragen wurde. Es war schwer, bei der katastrophalen Wirtschaftslage und unter den unsicheren wirtschaftlichen Verhältnissen ins Auge springende Erfolge durchzusetzen. Dafür war er um so emsiger bemüht, die Öffentlichkeit bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf den Notstand des Allgemeinen Krankenhauses hinzuweisen. Er hat sich dadurch nicht immer und überall Freunde geschaffen.

Seine mit der Warnung „videant consules“ geschlossene Inaugurationsrede, die er nach der Wahl zum Rektor magnificus hielt, war ein eindringlicher Appell zur sofortigen stärkeren staatlichen Förderung der Wissenschaften und der wissenschaftlichen Ausbildung im allgemeinen und zur endlichen Verwirklichung des Neubaues des Allgemeinen Krankenhauses im besonderen. Zweifellos hat seine Initiative viel zum positiven Abschluß der Vertragsverhandlungen zwischen Bund und Gemeinde über den Neubau des Allgemeinen Krankenhauses beigetragen.

Der Hang zur Politik war dem wissenschaftlichen Ansehen Schönbauers nicht gerade förderlich. Aber er hatte eben eine unverkennbare politische Ader, und er hatte für seine oft recht labilen und widerspruchsvoll anmutenden Ambitionen stets auch eine Begründung: er betrachtete die Politik als Instrument zur Durchsetzung seiner fachlichen Ziele. Daß er sich dadurch von seinen nächstliegenden Aufgaben immer weiter entfernte, nahm er in Kauf. Seine Zielsetzung umfaßte allmählich die gesamte Gesundheitspolitik. Er hat bei den Parteien Rückhalt gesucht, war aber nicht bereit, die eigene Meinung aufzugeben. Die Enttäuschung war zumeist auf beiden Seiten. Schönbauer unternahm sogar den Versuch, eine eigene Partei zu gründen, trug sich mit dem Gedanken einer Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten und zog schließlich als Abgeordneter zum Nationalrat in das Parlament ein.

Um eine Vorstellung seiner Arbeitsleistung zu erhalten, muß noch bedacht werden, daß er nach 1945 über ein Jahrzehnt lang provisorischer Vorstand des Instituts für Geschichte der Medizin, Mitglied des Obersten und des Landessanitätsrates von Wien, Präsident des Vereines Rudotfinerhaus und ärztlicher Leiter der Wiener Privatklinik war, umfangreiche schriftliche Arbeiten verfaßte und auf Kongressen und Tagungen zahlreiche Referate hielt.

Wie nicht anders zu erwarten, ging die Wirkung dieses kolossalen Energieaufwandes mehr in die Fläche als in die Tiefe. Trotzdem ist der Effekt im Kaleidoskop des Aufbauwerkes nach dem letzten Weltkrieg nicht zu übersehen. Auch der Wert dieses Lebens wird nicht bestimmt von der mitlaufenden menschlichen Unzulänglichkeit, sondern von seiner Grundtendenz: den Absichten, Zielen und der Größe der persönlichen Hingabe.

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