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Wenn die roten Sterne fallen...

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Der Staatsvertrag tritt in Kraft, die USIA hört de jure zu existieren auf, und die unter ihrer Verwaltung gestandenen Betriebe werden an Oesterreich übergeben. Von diesem Moment an sollten die USIA-Betriebe keine „USIA-Betriebe“ mehr sein. Aber ob das so schnell gehen wird?

Die öffentlichen Verwalter werden es nicht leicht haben! Sie müssen nicht nur allen Anforderungen genügen, die das Gesetz an sie stellt und die die öffentliche Meinung von ihnen erwartet — sie müssen noch mehr sein: Aerzte ganz besonderer Art! Denn jeder USIA-Betrieb leidet unter einer spezifischen Nachwirkung: dem „USIA-Geist“. Und darüber hinaus ist jeder bedeutendere von ihnen eine kleine Volksdemokratie für sich; hat seine eigenen Ulbrichts und Grotewohls, die nicht so ohne weiteres abtreten; hat neben den verschiedensten „Brigaden“ und „Kaders“ auch so eine Art geheime Volkspolizei, die wohl fortab unsichtbarer arbeiten wird, die aber dableibt.

Die Parallele mit Ostdeutschland ist nicht so gesucht wie sie heute klingt; sie wird sich im Laufe der Zeit oftmals noch bestätigen.

Aber wie kann jemand ein Arzt sein, wenn er die Symptome nur vom Hörensagen kennt und über deren Ursachen noch nie nachgedacht hat?

Man muß ziemlich weit zurückgreifen und das organische Wachstum des „USIA-Geistes“ zu erkennen versuchen.

Es mochte etwa im Jahre 1947 gewesen sein, als schweizerische Großhändler in der damals noch nicht im Trattnerhof, sondern in der Starhemberggasse im 4. Bezirk gelegenen USIA-Zentrale große Geschäftsabschlüsse tätigten. Es war die Nachkriegsära der „Kompensationsgeschäfte“. Die österreichische Privatwirtschaft fristete noch ein recht kümmerliches Wiederaufbaudasein — eigentlich klappte die Rohstoffversorgung in ganz Mitteleuropa noch nicht —, der einzige Apparat, der bereits funktionierte und in überraschend kurzer Zeit seine Fäden in alle Richtungen spielen lassen konnte, war die USIA. Schrottgeschäfte waren damals der Trumpf der Besatzungsmacht. Und das unermeßliche Beutegut an Schrottmaterial, von der zerbombten Fabrikshalle bis zum ausgebrannten Eiseribahnwäggon, lockte Herren aus aller; Herren Ländern an.

So kamen damals auch jene schweizerischen Großhändler. Und als sie, den soeben unterfertigten Kontrakt in der dicken Brieftasche verstaut, mit saturiertem Lächeln wieder abzogen, blickte ihnen der sowjetrussische Oberst lange und unbeweglich nach und erklärte dann halblaut: „Lenin hat gesagt: Wenn ich einen großen Dampfkessel brauche, weil ich damit die ganze kapitalistische Welt in die Luft sprengen will, so werden sich die Herren Kapitalisten untereinander raufen, wer mir diesen Kessel liefern darf!“

Das war der erste einer Reihe von Aussprüchen, die dem aufmerksamen Beobachter für einen Moment das Herz stocken ließen. Er gibt aber auch den Schlüssel zu vielem, was folgen sollte.

In den ersten Jahren der USIA saßen an deren Schreibtischen durchweg nur Offiziere der Roten Armee. An der Spitze der USIA stand ein General, der im Zivilberuf allerdings Universitätsprofessor der Nationalökonomie war, die Leitung der Militärbank hatte ein Oberst inne, der im Zivilleben dem Status der russischen Staatsbank angehörte. Oberste und Oberstleutnants waren die Abteilungschefs für metallurgische Industrie, Leichtindustrie, chemische Industrie usw., sämtlich Fachleute, die im Zivilberuf zumindest Fabriksdirektoren in einer ähnlichen Sparte in Rußland waren. In den Betrieben saßen Majore, die, wie sich bald herausstellte, sonderbarerweise aber weder Industrie-noch Verwaltungsfachleute waren. Sie plagten sich zwar ehrlich ab mit der administrativen Führung der ihnen unterstellten Betriebe, schwitzten über den immer stärker anschwellenden Papierkrieg, den sie mit der USIA-Zentrale führen mußten, und überließen ihn, so gut es ging, den österreichischen Angestellten ihrer Betriebe. Sie nahmen sich immer einen ganzen Rattenschwanz von österreichischen Direktoren, Ingenieuren und Buchhaltern mit, wenn sie mehrmals in der Woche in die USIA-Verwaltung gingen, um dem dort sich immer weiter ausbreitenden Bürokratismus die Betriebsmittel für ihre Fabrik abzubitten. Sie plagten sich sehr und meinten es ehrlich mit den ihnen anvertrauten Betrieben, diese im Grunde ihres Herzens noch so unverdorbenen ehemaligen Bauernsöhne aus der russischen Weite. In ihrer noh vom Militärdienst herstammenden Unbekümmertheit wagten sie oft tollste Bocksprünge im

Improvisieren der durch allerlei Rohstoffmängel gehemmten Fabriksproduktion.

Weshalb gerade diese von den Fachleuten so oft belächelten Laien einer industriellen Wirtschaftsführung „Generaldirektoren“ in den USIA-Betrieben spielen mußten? Weil gerade diese Offiziere allem Anschein nach eine besondere Spezialausbildung genossen hatten. Auf gewissen Gebieten leisteten sie mitunter geradezu Meisterhaftes. Sie beobachteten scharf und bemerkten alles. Sie waren oftmals glänzende Psychologen und schauten den Menschen, die mit ihnen — wenn auch nur flüchtig — in Berührung kamen, bis in die verborgensten Gedankenwinkel hinein. Sie fraternisierten mit allen Oesterreichern ohne Unterschied der Partei, wenn auch ihre besondere Sympathie natürlich den Kommunisten gehören mußte. Sie spielten die charmantesten Gastgeber, egal, ob zu ihnen in die Fabrik Gewerkschaftsführer, Kaufleute und Großindustrielle oder ausländische Kapitalisten kamen. (Denn der USIA-Betrieb war viele Jahre hindurch ein aus den verschiedenartigsten Gründen sehr gesuchter Handelspartner!)

Aber wenn so mancher Besucher geahnt hätte, was der von ihm insgeheim belächelte Major-Generaldirektor über ihn selbst bereits alles gewußt hat? Ja, wenn so mancher Handelspartner der USIA überhaupt gewußt hätte, wie er unbewußt selbst mitgeholfen hat, die eigentliche Absicht dieser so einmaligen und noch nie dagewesenen Wirtschaftsenklave inmitten der Wirtschaft des Westens zur Entwicklung zu bringen! Wenn weitplanender Kommunismus und kurzsichtiger Merkantilismus sich ein Stelldichein geben, kommen die Früchte immer erst viel später zutage.

Es war oft tief beschämend, mitansehen zu müssen, wie gar mancher nach außenhin so würdig erscheinender Bürger in seiner skrupellosen Profitgier ausgerechnet vor den darauf wartenden Sowjetrussen seine Maske fallen ließ und die Schützenhilfe der USIA in Anspruch nahm, um Zölle, Frachtgebühren und Warenumsatzsteuern einzusparen. Mitbeteiligung bot er sogar der USIA, wenn sie ihm bei dem Betrug an seinem Vaterlande und seinem eigenen Volke hilfreich die Hand bot.

Es möge aber jetzt der „kleine Mann“ nicht überheblich werden und triumphierend den Gerechten spielen, weil er den Splitter im Auge des Großen entdeckt. Denn der Balken in seinem eigenen Auge war sein Einkauf im USIA-Laden! Damit hat er das gleiche getan wie der Große, der Spekulant: Er hat unpatriotisch den Staat und damit die Gemeinschaft geschädigt. Nicht das Ausmaß der Schädigung, sondern die Absicht ist entscheidend. Diese Absicht bestand im Großen wie auch im Kleinen, im Streben nur nach dem eigenen Vorteil.

In den Jahren 1949 und 1950 wurden die „Majore-Generaldirektoren“ abgezogen. Sie hatten offenbar ihre bestimmten Aufgaben erfüllt. Abgelöst wurden sie von zivilen Beamten. Diese eröffneten jetzt vor allem der Politik im Betriebe die Tore. Sie fraternisierten nicht mehr mit allen, sondern nur mit den Radikalinskis, die — bisher scheinbar nur so nebenbei gefördert — mittlerweile in den Betrieben beträchtlich herangewachsen waren.

Von gewisser, wie in vielen Dingen, so auch in diesem Punkte höchst kurzsichtig agierender Seite in Oesterreich, war etwa im Jahre 1948 die Idee propagiert worden, die Arbeiter in den USIA-Betrieben zum Streik gegen die USIA aufzurufen. Von da ab war ein Umschwung in den USIA-Betrieben deutlich erkennbar: Wenn schon einmal in den USIA-Betrieben gestreikt werden sollte, dann nicht gegen die USIA selbst, sondern gegen — die anderen!

Täglich sammelten die neuen sowjetrussischen Generaldirektoren die ihnen von ihren Vorgängern ans Herz gelegten politischen Vertrauenspersonen in den Betrieben um sich und besprachen sich viele Stunden lang mit ihnen hinter hermetisch verschlossenen Türen. Da konnten die österreichischen Ingenieure und Werkmeister oft die dringendsten Betriebsangelegenheiten vorzubringen haben, während jener Beratungen wurden sie nicht vorgelassen. Es wurden nämlich jetzt die „BOs.“, die kommunistischen „Betriebs organisa-t i o n e n“, ganz systematisch auf- und ausgebaut.

Im Herbst 1950 war es endlich soweit. Die USIA-Betriebe begannen ihr wahres Gesicht zu zeigen: ihre Aufgabe Nummer zwei! War es Aufgabe eins, die österreichische Wirtschaft zu demoralisieren und dadurch das ganze österreichische Wirtschaftsgefüge in Unordnung zu -bringen, so bestand die, zweite Aufgäbe darin, die kommunistische Partei zu fördern und ihr ein sicheres Sprungbrett zu bieten.

Und so geschah es auch im Herbst 1950. Die Streikparole lautete: „Gegen die westimperialistisch orientierte österreichische Regierung und gegen den mit ihr packelnden Oesterreichischen Gewerkschaftsbund!“ Und diese Streikparole wurde damals in den USIA-Betrieben leider nicht nur allein von Kommunisten unterschrieben.

Aber der Generalstreikversuch im Herbst 1950 blieb, trotzdem er dreimal rasch hintereinander in immer wilder gewordener Revolutionshetze zum Sprung auf ganz Oesterreich ansetzte, zum Schluß immer nur auf die USIA-Betriebe beschränkt. Ja, die gesamtösterreichische Abwehrreaktion war derart, daß der Kommunismus in Oesterreich zunächst einmal in die Defensive gehen mußte. In dieser Situation wurden die kommunistischen Bastionen in den USIA-Betrieben verstärkt und zu Igelstellungen ausgebaut.

Damit begann eine harte und gefährlich ernste Zeit für alle diejenigen in den USIA-Betrieben, die sich nicht für die Idee einer österreichischen Volksdemokratie begeistern wollten. Es setzten die „Säuberungen“ ein. Und dabei stellte es sich, zur allgemeinen Verblüffung, immer mehr heraus, daß, ebenso leise wie konsequent, die Personalführung in den USIA-Betrieben bereits zur Gänze in die Hände der KPOe übergegangen war. Die „Personalchefs“ waren nicht von den sowjetrussischen Generaldirektoren, sondern vom Zentralkomitee der KPOe bestellt worden. Ihre Machtbefugnis war so groß, daß den sowjetrussischen Generaldirektoren nur ein Vorschlags-, aber kein Einspruchsrecht in Personalangelegenheiten zustand. Wie rechtlos waren nun erst die österreichischen Direktoren und Werkmeister geworden!

Bald setzten die Säuberungen ein. Aber die Entlassungen erfolgten nur selten aus ganz offensichtlich politischen Gründen. Wenn ein „Personalchef“ so plump vorging, wurde er bald und unter gut gespielter Entrüstung vom Zentralkomitee der KPOe gegen einen anderen ausgetauscht. Die Entlassungen erfolgten vielmehr dann, wenn es gelang, dem schon lange belauerten, unliebsam gewordenen Andersdenkenden einen Fehler in der Arbeit nachzuweisen. Es brauchte mitunter nur ein geringfügiges Versehen sein. Das fürchterliche Damoklesschwert „Sabotage“ schwebte über jedem menschlich möglichen Irrtum!

Und was kann in einem Betrieb, der einer Besatzungsmacht gehört, nicht alles als „Sabotage“ angesehen werden! Und wer durfte es wagen, Sabotageversuche übersehen zu wollen oder sich über diese nicht zu entrüsten oder gar sie zu entschuldigen versuchen? Wer wollte zu den „Agenten“ mitgezählt werden, die doch untrennbar zu jeder entdeckten „Sabotage“ gehören? Wenn anderseits aber einmal einem der Radikalinskis eine betriebliche Nachlässigkeit nachgewiesen wurde, so wurde dies drohend als „Provokation“ angekreidet. Kein Vorgesetzter war vor dieser nicht ungefährlichen Anschuldigung sicher, wenn er einen linientreuen Kommunisten rügte.

Die kommunistische Betriebsorganisation, die „BO“ — besser gesagt, der „Aktionsausschuß“ der BO, so eine Art Zentralkomitee der Kommunistischen Partei im kleinen —, war seit 1950 in zunehmendem Ausmaße der eigentlich bestimmende Machtfaktor im USIA-Betrieb geworden.

Und der sowjetrussische Generaldirektor? Es ist noch gar nicht so lange her, da ließ sich ein sowjetrussischer Generaldirektor in vorgerückter Stunde auf eine diesbezügliche, vorsichtig gestellte Anfrage wie folgt vernehmen: „Ein russisches Sprichwort sagt: Der kluge Säer weiß im vorhinein den Mäher!“

Seit der gescheiterten Berliner Konferenz im Februar 1954 wurden immer häufiger und in steigender Anzahl ausgewählte „Aktivisten“ auf Kosten des Betriebes zu manchmal mehrere Wochen dauernden politischen Schulungskursen abbeordert. Und der Aktionsausschuß der BO mischte sich immer mehr in alle Betriebsangelegenheiten hinein. Er steckte seine Nase in alles — sogar in die Beschaffung der Rohstoffe und Hilfsmaterialien. Im Laufe des Jahres 1954 waren ja die Betriebe personell bereits derart umbesetzt und durchorganisiert worden, daß in jeder Werkstätten- und Büroabteilung Vertrauensleute der BO saßen. Kein Geschäftsbrief und kein Telephongespräch ist seither der BO unbekannt; dafür wurde bestens gesorgt. Wenn auch die Schlüssel mancher Geschäftsaktenschränke in verläßlich nichtkommunistischen Händen waren, so wurde dennoch in vielen Fällen erkannt, daß des nachts fremde Hände in den Aktenmappen gewesen sein mußten. Besonders verstärkte sich diese Erkenntnis seit dem Abschluß des Staatsvertrages im Belvedere. Was hier gesucht wurde? Hm ... Kurz nach Abschluß des Staatsvertrages äußerte sich ein angesehener Wiener Fabrikant folgendermaßen: „Ich habe Angst, daß die Russen, bevor sie abziehen, alle Geschäftsunterlagen der USIA den österreichischen Behörden übergeben!“

Nun: die Geschäftsunterlagen aus der USIA-Zentrale und aus vielen USIA-Betrieben wurden allerdings auf sowjetrussische Anordnung entfernt. Die einzigen, die dies für selbstverständlich erachteten und daher auch verteidigten, sind die Kommunisten. Es ist kaum anzunehmen, daß diese Berge von Geschäftspapieren nach Moskau mitgenommen und dort nochmals studiert werden. Es ist eher möglich, daß ein Großteil dieser Papiere in Wien bleibt und — für politische Schulungskurse als Lehrbehelf dienen wird. Denn gar manche Aktennotizen, welche die sowjetrussischen Generaldirektoren nach ihren Unterhaltungen mit den sie überlaufenden Geschäftemachern anlegen ließen, bieten recht wirksame Argumente für den Kommunismus.

Und gerade an Hand solcher Argumente wuchs im Laufe der Jahre in den USIA-Betrieben die Zahl der Hasser jeder bestehenden Ordnung. Sie glauben an die allein seligmachende Volksdemokratie wie an einen Messias und verdammen mit fanatischer Intransi-genz alle Einrichtungen und Personen, die auch nur vermeintlich der Verwirklichung ihres Wunsches hinderlich sein könnten. Jahrelang war ihnen von den sowjetrussischen Generaldirektoren verheißen worden, daß die USIA-Betriebe dereinst dem „Volke“ — wer anders könnte das sein, als nur sie! — übergeben werden. Sie fühlten sich daher schon als die künftigen Besitzer; verteilten schon ganz offen die Rollen unter sich ...

Und nun kommen Oeffentliche Verwalter mit besonderer Order in die Betriebe. Sie werden es nicht leicht haben, die Oeffentlichen Verwalter!

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