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Wer war Setu?

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Die Ereignisse des 15. und 16. Februar in der idyllischen Schweizer Bundeshauptstadt, die Inbesitznahme der „volksrumänischen“ Gesandtschaft durch ein Häuflein exilrumänischer Patrioten, sind in ihren Auswirkungen und ihrem internationalen Widerhall noch lange nicht verklungen. Was sich aber hier abspielte, war ein Stück Krieg im Dunkel, Krieg der Emigranten und Widerstandskämpfer, verwoben mit dem Krieg der Geheimdienste und Agenten in Feindesland.

Der Ueberfall war ohne Zweifel gründlich vorbereitet, strategisch und taktisch. Zumindest eine Person von der volksdemokratischen Gesandtschaftsequipe muß mit im Spiel gewesen sein: die Lokalkenntnis und die Vertrautheit mit den Wohnungs- und Zeitverhältnissen in der Gesandtschaft hätte sonst keinen so lückenlosen Erfolg aufweisen können. Es ist auch wohl auf diese Tatsache zurückzuführen, daß die Okkupanten die Mitglieder der Gesandtschaft nicht als Geiseln im Hause behielten, sondern in den ersten Morgenstunden des 16. Februar freigaben: denn sie wollten logischerweise ihren Vertrauensmann bei einem allfälligen Angriff der Schweizer Polizei nicht überflüssig gefährden. Es wird sich wohl in absehbarer Zeit herausstellen, welche Person aus dem Stabe des rumänischen Geschäftsträgers in Bern es mit der Resistance hält: jedenfalls ist bekannt, daß ein Mitglied der Gesandtschaft noch im Jänner mit seiner plötzlichen Abreise aus der Schweiz rechnete und seine offenen Rechnungen zu rascher Bezahlung anforderte. Es ist denkbar, daß diese Person die Antikommunisten am Abend des 14. Februar um 22 Uhr in die Kanzleiräume der Gesandtschaft lautlos eingelassen hat: denn an der Tür des Kanzlei-gebäudes, in dem die Antikommunisten fast vier Stunden lang ungestört arbeiten konnten, sind keine Spuren von gewaltsamer Oeffnung zu bemerken — und auch der Hund, der bei jedem stärkeren Geräusch hätte anschlagen müssen, gab keinen Laut.

Die Untersuchung befaßt sich mit der Frage, aus welchem Land die Rumänen in die Schweiz gekommen sind: ob sie bei ihrer Ueberschrei-tung der Schweizer Grenze (wahrscheinlich mit Waffen) Helfer gehabt haben — und welche; und woher sie über die Bedeutung gerade der rumänischen Gesandtschaft in Bern — und wahrscheinlich auch ihres „Chauffeurs“ Setu, der bei seinem Erscheinen im Kanzleigebäude um 2 Uhr morgens von ihnen erschossen worden ist — informiert sein mögen. War Setu ein Trumpf der kommunistischen Wcltverschwö-rung? In der feierlichen Heimführung seiner Leiche mit Kränzen aller volksäemokratischen Missionen in der Schweiz — und aus Gründen diplomatischer Courtoisie auch des Schweizer Bundesrates — ist jedenfalls ein Indiz zu sehen, das auf eine große Bedeutung dieses Mannes in der kommunistischen Hierarchie schließen läßt — auf mehr denn auf einen bloßen propagandistischen Akt zugunsten eines unbekannten Soldaten des roten „Friedenslagers“. Als bezeichnendes Detail kann gerade aus der Berner diplomatischen Atmosphäre dazu bemerkt werden, daß die verschiedenen Botschaften und Gesandtschaften in Bern, in deren Konsularabteilungen seitens der rumänischen Gesandtschaft gelegentlich Reisevisa für ihre Mitglieder angefordert worden sind, einen ganz anderen „wirklichen“ Chauffeur, der die Pässe brachte und wieder abholte, kennen als den erschossenen Setu. dessen Bild durch die Weltpresse geht...

Die Antikommunisten haben die 38 Stunden, die sie in der Gesandtschaft „belagert“ verbrachten, weidlich genützt. Daß sie über die Existenz eines Radiosenders in der Gesandtschaft informiert waren, dazu hat es wohl nicht einmal ihres Vertrauensmannes innerhalb des Gesandtschaf tspersönajs bedurft; denn solche Anlagen „sollen“; wie sich die Schweizer Presse wieder mit diplomatischer Höflichkeit vorsichtig ausdrückt, „auch in anderen Gesandtschaften vorhanden sein“. Ueber den Sender aus der' rumänischen Gesandtschaft haben die antikommunistischen Rumänen nahezu die ganze Zeit hindurch das Material vorgelesen, das sie in den geheimen A k t e n d ös s i e r s fanden: die „Monitoring Services“' — die Abhördienste — so gut wie alle wichtigen Radiostationen in der westlichen Welt hahen Gelegenheit gehabt, den Inhalt der Geheimakten mit allen Einzelheiten zur Kenntnis zu nehmen. Zwei der sechs Antikommunisten haben, noch ehe die Schweizer Polizei in den frühen Morgenstunden des 15. Februar nach ihrer Alarmierung durch die gefallenen Schüsse einen Kordon um das Gesandtschaftsgebäude legte, mit wichtiger Aktenbeute das Weite gesucht und wohl auch gefunden. Ein dritter Mann, der sich von der Schweizer Polizei verhaften ließ, soll das sich just auf die Spionage in der Schweiz beziehende Aktenmaterial bei sich geführt haben — das freilich, wie es sich in einem Rechtsstaat versteht, dem rumänischen Geschäftsträger zurückerstattet worden ist. Die plötzliche überstürzte Flucht einer Rumänin aus der Schweiz dürfte damit zusammenhängen, daß die in Frage kommende Dame just in diesen Akten eine bedeutende Rolle gespielt haben mag: es ist Irene C r i s o v a n, die, wie die Wiener Presse berichtet, nach dem Ueberfall auf die rumänische Gesandtschaft in Bern aus Furcht vor der Aufdeckung ihrer Tätigkeit in der Schweiz nach Oesterreich flüchten wollte, mangels gültiger Papiere zuerst von der Grenzpolizei zurückgewiesen wurde, schließlich aber doch — mit was für Papieren wohl?! — mit dem Arlbergexpreß in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar nicht nur die schweizerisch-österreichische, sondern auch die österreichisch-ungarische Grenze überschritten hat.

Man hat in Bern aufgeatmet, als die Ueber-gabeverhandlungen — an denen der Vikar der katholischen Dreifaltigkeitskirche in Bern, Doktor S e c k i n g e r, einen wesentlichen und entscheidenden Anteil hatte — von Erfolg begleitet waren und die gewaltsame Eroberung des Gesandtschaftsgebäudes durch die Schweizer Polizei unnotwendig wurde. Die Wut und unsachliche Gereiztheit der rumänischen diplomatischen Noten an die Schweiz, die Beschuldigungen in der Moskauer „Iswestija“, die Schweiz habe ihre „ewige Neutralität“ verletzt,schließlich auch die scharfe antischweizerische Interpellation des einzigen Kommunisten im Berner Stadtrat, Dr. Lehmann, offenbaren deutlich, als welche Niederlage im „Krieg im Dunkel“ der Ostblock den einzigartigen Vorfall .der Besetzung der Berner rumänischen Gesandtschaft durch „Banditen und Faschisten* empfindet...

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