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Nur Sonntagsreden

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Noch knapp vor dem politischen Saisonschluß kündigte der Parteivorsitzende der SPÖ an, daß seine Partei im Herbst neben verschiedenen Alternativkonzepten auch ein Programm der Gesundheitspolitik für Österreich erstellen will.

Diese Ankündigung traf die Regierungspartei sehr unvorbereitet. Zwar gehört die Gesundheitspolitik zum Arsenal politischer Sonntagsreden mancher Politiker aber bei Handlungen war man in Österreich nicht sonderlich konsequent.

Und noch -immer nimmt man nicht zur Kenntnis, daß auch in Österreich eine fast katastrophale Situation auf einem Gebiet herankommt, das jedermann angeht. Denn niemand hat die Sicherung ewiger Gesundheit — und Kranksein heißt hilflos und auf die Gemeinschaft in Familie, Gemeinde oder Staat angewiesen zu sein:

• Die Zahl der praktischen Ärzte nimmt immer mehr ab. Vor allem in ländlichen Gebieten gibt es große „weiße Flecken“, in denen es so gut wie überhaupt keine ärztliche Versorgung der Bevölkerung gibt.

• Immer mehr Studenten und Jungärzte wenden sich der bequemen Laufbahn des Facharztes zu. Im vergangenen Jahr gab es 4478 praktische Ärzte, denen 3166 Fachärzte gegenüberstanden — ein arges Mißverhältnis, wie die Experten sagen.

• Auf dem Sektor der Zahnbehandlung herrschen ähnliche Mangelzustände. Es gibt nur 1438 Zahnärzte — und weil nach dem 1949 erlassenen Dentistengesetz keine neu i Nichtärzte zugelassen wurden, sank zwischen 1959 und 1967 die Zahl der Zahnbehandler (Ärzte plus bestehende Dentisten) um 411.

• Aber noch erschreckender kann sich die Lage auf dem Spitalsektor in Zukunft auswirken. Immer größer wird die Bettennot — und immer drückender der Schwestern- und Betreuermangel. Zahlreiche Spitäler geraten immer tiefer in die roten Ziffern, Privatspitäler — vor allem auch geistliche — kämpfen mit existentiellen Problemen.

Angesichts der materiellen Zustände in den Spitälern macht sich vielfach unter Ärzten und Pflegerinnen ein immer stärker werdender Utamiut bemerkbar. Manche überfüllte Dritte-Klasse-Zimmer entsprechen auch nicht annähernd dem Standard, den man im letzten Drittel des fortschrittlichen 20. Jahrhunderts erwarten könnte.

Infolge der raschen Entwicklung der Medizin, die immer teurere technologische Einrichtungen benötigt, wird der Spitalsaufenthalt immer teurer. Dazu kommen steigende Sozialleistungen und Lohnkosten, die die errechenbaren Kosten pro Spitalbett im Tag auf 200 bis 320 Schilling schnellen ließen.

Und so ist es nicht verwunderlich, daß die Krankenkassen durch eine Flut von Mehrleistungen immer größere Schwierigkeiten haben. Immer deutlicher zeigt sich eine Tendenz der Kassen, die Vermehrung der Staatszuschüsse geradezu dynamisiert zu erreichen. Freilich: zwischen Arzt und Kasse einerseits und zwischen Patient und Kasse anderseits ist längst nicht mehr jenes persönliche Vertrauensverhältnis vorhanden, das wünschenswert wäre. So nehmen auch jene Patienten die Kasse grundsätzlich Äi Anspruch, die durchaus keine Heilbehandlung nötig hätten. Das System der fast Gratisbehandlung fördert die Hypochondrie.

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