"Deine Welt ist nicht meine Welt"

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In ihrem neuen Buch zeigt die renommierte Psychotherapeutin Julia Onken, warum es in einer Beziehung auch wichtig ist, sich auseinander zu leben.

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In ihrem neuen Buch zeigt die renommierte Psychotherapeutin Julia Onken, warum es in einer Beziehung auch wichtig ist, sich auseinander zu leben.

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Wer kennt sie nicht, die Liebe auf den ersten Blick? Und wer kennt sie nicht, die Frustration 1.000 und einen Blicke später. Männer wie Frauen schwärmen nach den ersten aufregenden Stunden, Tagen, Nächten von der Einzigartigkeit, der Einmaligkeit und der Besonderheit ihrer neuen Liebe.

Wo ist diese Liebe geblieben, fragt die Umwelt, wenn sie statt Oden auf die Einzigartigkeit auf einmal eine Reklamationsliste über den neuen Partner aufgesagt bekommen. Dem "Ich liebe ihn wie er ist" folgt - scheinbar unweigerlich - das "Wenn er sich doch ändern würde!"

Die renommierte Psychotherapeutin Julia Onken hat viele solcher Gespräche gehört, sie hat in ihrer Arbeit ausreichend Gelegenheit, die Beschaffenheit der häufigsten Beziehungsfallen genau zu studieren. In ihrem neuen Buch "Wenn du mich wirklich liebst" widmet sich ausschließlich diesen Fallen beziehungsweise deren Vermeidung. Paare starten mit großen Hoffnungen, man liebt einander und was man noch nicht lieben kann, das wird man ändern - mit Liebe, aber ändern.

Diese Strategie zeugt keineswegs von Liebesbereitschaft, von der Fähigkeit sein Gegenüber liebend zu erkennen und in seiner Eigen-Art Wert zu schätzen. Onken hat in ihren bisherigen Bestsellern "Feuerzeichenfrau", "Geliehenes Glück", "Vatermänner" sowie in ihrer im vergangenen Jahr erschienen Analyse "Herrin im eigenen Haus" stets daran gearbeitet, die Bedeutung des Selbstwertes festzuhalten: was hindert Frauen, ganz sie selbst zu sein? Warum brauchen Frauen den männlichen Spiegel, die männliche Anerkennung? Glück, das nur in den Armen anderer gefunden wird, bezeichnet sie als geliehenes Glück und plädiert in ihren Texten, Seminaren und Vorträgen für die Pflege des eigenen, möglicherweise beschädigten, verschreckten und verletzten Selbst.

In ihrem neuen Buch zeigt sie Konfliktherde, sie hat die Trainerbank, die Rolle des Einzelcoaches hier verlassen, sie steht im Ring und analysiert Interaktionen von Menschen, die vorgeben, einander zu lieben. Sie urteilt knapp, treffend und streng: "Sie gehen offenbar davon aus, dass der andere Ihren Wünschen und Vorstellungen zu entsprechen hat. Auch sind Sie davon überzeugt, genau zu wissen, was für die andere Person gut ist, und dass es durchaus Ihr Recht ist, Verhaltensänderungen zu fordern."

Falle: Nacherziehung Regula und Heinz haben eine gemeinsame Wohnung bezogen, sie sind glücklich. Regula freilich wäre noch glücklicher, würde "ihr" Heinz, der sensible Pädagoge, endlich seine Begeisterung für den Boxsport, passiv natürlich, aber doch, aufgeben. Primitiv nennt die junge Frau das Interesse ihres Partners, schließlich stellt sie ihm ein Ultimatum: sie oder die nächtlichen Übertragungen von Boxkämpfen. Regula zieht aus, zieht weiter, sucht den Mann, der endlich bereit ist, sich ihr zuliebe zu verändern.

Wer nickt bei Lektüre dieser Szene nicht verschämt, vielleicht war es nicht der Boxkampf, vielleicht hieß das Nacherziehungsprogramm "bessere Kleidung", "weniger Alkohol", "sicheres Auftreten" ...

Männer wie Frauen erliegen dem verlockenden Beziehungsmuster "Du wirst ihn/sie schon noch ändern!" "Wenn er/sie sich erst geändert hat, dann beginnt das Paradies!" Sind die Kapitel des vorliegenden Buches durchaus knapp, bleibt genügend Raum für gefühlvolle Analysen und treffende Befunde: "Jeder Mensch trägt in seinem Innern ein persönliches, nur auf ihn abgestimmtes Entwicklungsprogramm. Die individuelle Aufgabe für jeden besteht darin herauszufinden, welches besondere Programm in ihm angelegt ist, um es schließlich umzusetzen und zu entfalten."

Onken schreibt in wunderschönen Bildern, sie erzählt von Tulpen, die sich als Tulpen entfalten wollen und von Schlittenhunden, die nicht als Tulpen angelegt sind. Das pädagogische Nacherziehungsprogramm geht nicht immer vom Partner aus, oft ist es auch der Schlittenhund selbst, der verzweifelt wie eine Tulpe duften möchte, der hofft, als Tulpe eher, mehr und endlich für immer geliebt zu werden.

Falle: Wenn du mich wirklich liebst ...

Es ist müßig, die "Schuldigen" am romantischen Bild von Liebe zu suchen und Schlagersänger, Filmemacher und Romanautoren der Lüge zu bezichtigen - jeder Einzelne glaubt so gerne an das Happy End, er weiß ja gleichzeitig, dass er noch den Müll entsorgen, die Milch kaufen und am Sonntag die Schwiegermutter besuchen muss.

Bei diesen Aufgaben nach dem Happy-End beginnt die Autorin, unliebsame Beziehungsmuster zu orten, zu analysieren und neue Strickarten, neue Muster anzubieten. Eine häufige Beziehungsfalle ist die Ablehnung der Familie des Partners, da wird die Schwiegermutter salopp als Furie, der Schwiegervater als Schlappschwanz bezeichnet. Der Partner ist zutiefst gekränkt: wohl weiß er um die Bissigkeit seiner Mutter, die Nachgiebigkeit seines Vaters, beide Charakterzüge sind ihm jedoch seit Kindheit an vertraut. Die Beziehung zu seinen Eltern stellt die erste Liebesbeziehung seines Lebens dar, jede Attacke auf sie trifft also auch ihn, den Sohn, das Kind dieser zwei verbal abgeurteilten Personen.

Nun redet Onken nicht der Verlogenheit, dem schönen Schein das Wort, sie plädiert vielmehr für Behutsamkeit, Einsicht und Vorsicht. Die Familie des Partners erzählt in ihren Verhaltensmustern viel über den Geliebten/die Geliebte, auch hier hilft das liebende Erkennen beim Lieben lernen. Liebe sei eine Fähigkeit, die es zu erwerben, zu trainieren gelte, jede Partnerschaft sei eine Lehrveranstaltung, eine Übung, aber kein Experiment zur Manipulation.

Falle: Du und ich sind eins Manche Paare erscheinen wie eine Person, vorschnell werden sie als "Traumpaare" bezeichnet, teilen sie doch zumeist Arbeit, Betrieb, Freizeit, das ganze Leben also, miteinander. Onken bezeichnet dieses Scheinidyll als "Enteignungsfalle". Da will der eine Partner mit dem anderen auf immer und ewig verschmelzen, endlich: Nie mehr allein! Will hier niemand umerziehen, wirkt es hier gemütlich, dann trügt der Schein dennoch, denn hier wird verhindert, dass die Liebespartner ihre eigene Intimität bewahren, ihre eigene Entwicklung weiter führen können.

Dieses "wir" ist ein teigiges, Angleichung ersetzt hier den Respekt: auch durch Symbiose wird die Andersartigkeit des Partners abgewertet beziehungsweise entwertet. "Das Aufgeben der Ich-Du-Achse hat unweigerlich zur Folge, dass wir den Partner oder die Partnerin psychisch vereinnahmen, und das bedeutet, das wir uns künftig nicht nur um die eigenen Belange zu kümmern haben, sondern auch noch um das Dazugewonnene. Da gibt es viel zu tun: Es wird aufgeräumt, sauber gemacht, umgestaltet und so richtig in die Persönlichkeit des anderen eingegriffen." Mag diese Schilderung herzhaft klingen, weist sie gleichzeitig auf die tiefe Respektlosigkeit hin, die dieser Haltung innewohnt. Der Partner, die Partnerin muss, will die Partnerschaft erfüllt sein, ein eigenes und unbekanntes Du bleiben.

Buchtipp Wenn du mich wirklich liebst. Die häufigsten Beziehungsfallen und wie wir sie vermeiden.

Von Julia Onken,: München: Beck, 2001. (Beck'sche Reihe; 1415)öS 145,-/e 9,90 Aus dem Buch: Liebe ist, wenn ...

* Liebe zeigt sich darin, ob wir in der Lage sind, unsere Partner oder Partnerinnen als eigenständige Wesen zu respektieren, vor allem dann, wenn uns gewisse Wesenszüge und Eigenschaften nicht in den Kram passen * Liebe ist, wenn wir unseren Partnern und Partnerinnen zugestehen, dass es ihre persönliche Angelegenheit ist, welche Vorlieben sie pflegen und in welche Richtung sie sich entwickeln werden * Liebe manifestiert sich darin, ob wir uns herzlich darüber freuen können, wenn der Partner oder die Partnerin den eigenen Lebensplan zu erkennen vermag und die damit verbundenen Aufgaben in Angriff nimmt * Liebe erkennen wir daran, ob wir in der Lage sind, Verhaltensveränderungen nicht als Liebesbeweis des anderen zu erwarten oder zu fordern, sondern das eine vom anderen trennen können.

Tipp: Onken in Salzburg Julia Onken "Wenn du mich wirklich liebst". Vortrag und Österreichpräsentation des neuesten Buches der renommierten Autorin.

Termin: Dienstag, 29. Mai 2001, 19.30 Uhr Ort: Große Aula der Universität Salzburg, Universitätsplatz 1, 5020 Sbg.

Gemeinsame Veranstaltung des Katholischen Bildungswerkes mit dem C. H. Beck Verlag München und der Katholischen Frauenbewegung Salzburg.

Karten an der Abendkassa, Vorverkauf: Dombuchhandlung Salzburg und in allen Geschäftsstellen der Salzburger Sparkasse.

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