Jugendarbeitslosigkeit: "Ein Betrieb ist keine Caritas"

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Die Zahl der Lehrstellensuchenden steigt. Als Reaktion präsentiert die Regierung ein Maßnahmenpaket - und verweist auf die doppelt so hohe Jugendarbeitslosigkeit in der EU. Für die Betroffenen ein schwacher Trost.

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Die Zahl der Lehrstellensuchenden steigt. Als Reaktion präsentiert die Regierung ein Maßnahmenpaket - und verweist auf die doppelt so hohe Jugendarbeitslosigkeit in der EU. Für die Betroffenen ein schwacher Trost.

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Anders als viele ihrer Altersgenossen wussten Öztürk und Markus schon immer, was sie wollten: KFZ-Techniker werden - oder Elektroinstallateur. Anders als vielen ihrer Altersgenossen hatte ihnen diese Zielstrebigkeit aber wenig genützt: "Über 50 Bewerbungen habe ich nach dem Poly abgeschickt", schildert der siebzehnjährige Markus seinen versuchten Sprung ins Arbeitsleben. Doch das Interesse der Betriebe blieb aus. Nach einem Weiterbildungskurs hätte er nochmals bei 50 Unternehmen angefragt - ohne Erfolg. "Es waren immer die gleichen Ausreden", erzählt Markus mit einer Mischung aus Frustration und Kaltschnäuzigkeit: "Sie brauchen keine Lehrlinge, und außerdem ist die wirtschaftliche Lage schuld."

Der Traum von der "Karriere mit Lehre" schien ausgeträumt. Was blieb, war Schadensbegrenzung: Nach einer zehnwöchigen Phase der Berufsorientierung und des Coachings starteten Markus und Öztürk im November vergangenen Jahres einen Berufslehrgang bei "Jugend am Werk". In den Lehrwerkstätten in der Wiener Brünnerstraße absolvierten sie den berufspraktischen Teil ihrer Ausbildung und besuchten nebenbei die Berufsschule. Jetzt, nach zehn Monaten, wäre für die beiden eigentlich Endstation. Weil sie aber noch immer auf eine Lehrstelle warten und sowohl Berufslehrgang als auch Berufsschule positiv abschließen konnten, wurden sie um weitere zehn Monate verlängert. Ihr nächster "Dienstort" ist das Berufsförderungsinstitut (bfi) im zehnten Wiener Gemeindebezirk. "Jeder von uns hätte gern einen wirklichen Job", meint Öztürk illusionslos. "Aber wenn man nichts anderes hat, ist das zumindest ein Anfang."

Politiker zu Besuch

So wenig Interesse viele Betriebe bislang für junge Leute wie Markus und Öztürk hegten, so großes Augenmerk schenkt ihnen derzeit die Politik. SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer höchstpersönlich unternahm Dienstag dieser Woche eine Stippvisite in die Brünnerstraße, um den Lehrstellensuchenden sein Ohr zu leihen - und die steigende Jugendarbeitslosigkeit einmal mehr als "Ergebnis der schwarz-blauen Wendepolitik" zu apostrophieren. Die jüngste Kritik der EU-Kommission an der Beschäftigungspolitik der Regierung ist Wasser auf die Mühlen der SPÖ. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel veranlasste der Fingerzeig freilich zu einem Konter: Mit 3,6 Prozent sei die Jugendarbeitslosenrate im Vorjahr nur halb so hoch gewesen wie im EU-Durchschnitt - immerhin 7,4 Prozent.

Dennoch: Die Zahlen des Arbeitsmarktservice - Ende August wurden 5.000 Lehrstellensuchende und knapp 30.000 arbeitslose Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren registriert - hatten die Öffentlichkeit aufgeschreckt und Wirtschaftsminister Martin Bartenstein in der Vorwoche dazu bewogen, ein Maßnahmenbündel zu präsentieren. Die Zahl der Lehrgangsplätze sollte demnach von 2.000 auf 3.000 aufgestockt werden. Für schwierig zu integrierende Jugendliche wären Eingliederungsbeihilfen in Form von Lohnstützungen für den Arbeitgeber vorstellbar. Zudem werde auch heuer wieder das Jugendausbildungssicherungsgesetz (JASG) verlängert, das als Basis für die Berufslehrgänge dient. Weiters sollten ältere Jugendliche bis 24 Jahre mit abgebrochener Ausbildung die Möglichkeit zur Nachqualifizierung mit einer durchschnittlichen Kursdauer von 18 Monaten erhalten. Besonderes Augenmerk sei dabei auf den Pflegebereich zu legen, so Bartenstein. Finanziert würde all dies aus der Arbeitsmarktrücklage von 116 Millionen Euro.

Vor allem die Arbeiterkammer übte an dieser Finanzierungsform Kritik und wollte die Job-Initiative lieber aus dem Budget finanziert wissen. Nach langem Tauziehen wurde das notdürftig zusammengezimmerte Jugendbeschäftigungsprogramm schließlich am Dienstag dem Finanzausschuss zugeleitet und soll noch diese Woche im Nationalrat abgesegnet werden.

Der Segen kommt in letzter Sekunde: Würde etwa das JASG nicht verlängert, könnten zahlreiche Lehrgänge heuer nicht angeboten werden. Durch derart "spontane" Maßnahmen seien Planungen unmöglich, ärgert sich Reinhold Bauer, Bereichsleiter für die Lehrwerkstätten bei "Jugend am Werk": "Vergangenes Jahr haben wir im September an einem Freitag erfahren, dass es am Montag weitergeht." Auch an den zehnmonatigen Lehrgängen übt Bauer Kritik: Konnten die Jugendlichen im Rahmen der Lehrlingsstiftungen, wie sie unter Viktor Klima eingeführt und vor zwei Jahren wieder eingestellt wurden, ihre gesamte Lehre absolvieren, sei nun nach zehn oder spätestens 20 Monaten Endstation. Ein Zustand, den auch Michael Höflinger, Leiter der Berufslehrgänge im "bfi", für unzufriedenstellend hält: "Man sollte den Jugendlichen die Sicherheit geben, ihre Ausbildung fertig machen zu können. Derzeit scheut man sich aber, die volle Verantwortung zu übernehmen."

Eine Einschätzung, die man im Wirtschaftsministerium nicht teilen kann: Bei den Stiftungen habe es keine sinnvollen Übergänge in den Lehrstellenmarkt gegeben, heißt es aus dem Büro von Minister Bartenstein. So hätten damals nur 20 Prozent eines Jahrgangs vermittelt werden können, bei den Lehrgängen verzeichne man hingegen Quoten von über 50 Prozent.

Auch Michael Landertshammer, Institutsleiter des WIFI Österreich und Leiter der Abteilung Bildungspolitik in der Wirtschaftskammer, weint den Lehrlingsstiftungen keine Träne nach: "Solche Einrichtungen stellen immer eine Marktverzerrung dar und sind bürokratischer Aufwand." Ziel müsse es vielmehr sein, während oder nach einem Kurs so bald wie möglich reguläre Lehrstellen zu finden. Umso wichtiger sei es, die Jugendlichen nicht am Bedarf des Arbeitsmarktes vorbei auszubilden: "Viele suchen eine Lehrstelle in einem bestimmten Beruf und denken nicht über ihre Job-Chancen nach."

Nicht immer stehen freilich Lehrstellen- und Jobangebote in einem ausgewogenen Verhältnis. Besonders krass ist die Situation in der EDV-Branche: So stehen den österreichweit 16 offenen Lehrstellen für "EDV-Techniker" insgesamt 475 Lehrstellensuchende gegenüber. Der Grund dafür ist für Reinhold Bauer schnell erklärt: "Die EDV-Branche braucht Fachkräfte, aber keine Lehrlinge. Die haben einfach keine Zeit, sich mit ihnen zu beschäftigen." Auch Michael Höflinger vom "bfi" kennt diese paradoxe Situation: "Von den 20 EDV-Technikern, die bei uns einen Lehrgang besucht haben, sind noch immer 13 übrig." In dieser Branche habe die Lehre eben keine Tradition.

Zuckerl für Betriebe

Indes überschlagen sich die Parteien und Interessenvertreter mit Ideen, um Unternehmen die Lehrlingsausbildung schmackhafter zu machen: Während die SPÖ in ihrem "Zehn-Punkte-Programm" die Schaffung von Lehrlingsfonds fordert, um einen Lastenausgleich zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben herzustellen, wünscht sich die Wirtschaftskammer "spürbare Entlastungen" für Ausbildungsbetriebe. Die von Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl geforderten Bildungsschecks für Lehrbetriebe betrachtet man jedoch seitens der Wiener Arbeiterkammer mit Skepsis: Auch die bisherigen Maßnahmen - Flexibilisierung der Arbeitszeit, Verlängerung der Probezeit von zwei auf drei Monate, Kürzung der Weiterverwendungszeit von vier auf drei Monate - hätten sich nicht ausgewirkt, weiß Edith Kugi von der Abteilung Lehrlings- und Jugendschutz: Nichts desto trotz sei die Zahl der Lehrstellen im Vorjahr um 17 Prozent gesunken. "Über Geld allein kann man das nicht regeln", schlussfolgert Kugi. "Es muss einen gesellschaftlichen Konsens geben, dass Lehrlingsausbildung wichtig ist und dem Betrieb etwas bringt."

Gerade hier warnt Gudrun Biffl vom Wirtschaftsforschungsinstitut vor Blauäugigkeit: "Ein Betrieb ist keine Caritas. Wenn es für ihn unwirtschaftlich ist, wird er keine Lehrlinge ausbilden." Das Hauptproblem ortet sie weniger im Lehrstellenmangel als in der Unterqualifizierung von Schulabbrechern oder Sonderschülern, die oft aus Migrantenfamilien kämen. Ihnen müsse es erleichtert werden, die Pflichtschule abzuschließen und sich am Arbeitsmarkt zu integrieren, um eine Ghettoisierung zu vermeiden.

Ob aus Migrantenfamilien stammend oder nicht, ob 15 oder 20 Jahre alt: Die Folgen der Arbeitslosigkeit auf das Selbstbewusstsein der Jugendlichen sind in jedem Fall verheerend. Gegen diesen Frust anzukämpfen, hat sich Eva Fürst zum Ziel gemacht: "Ich baue die Jugendlichen auf, damit sie ihre Lage nicht als Folge eines persönlichen Mankos interpretieren, sondern auch die wirtschaftlichen Gründe sehen", erklärt die Psychologin und Team-Leiterin der Berufslehrgänge im "bfi". Alex und Manu, beide 16 Jahre alt und arbeitslos, wissen die Zuwendung ihrer Trainerin - über die Telefon- und Bewerbungsübungen hinaus - zu schätzen: "Sie versucht uns zu motivieren", lobt Manu, "und das ist bei 40 Absagen gar nicht so leicht."

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