Ein Friseurbesuch - der unterschätzte Seelentröster
Friseurinnen und Friseure fangen jahraus, jahrein die Sorgen ihrer Kunden auf. Sie üben dabei in gewisser Weise auch Seelsorge aus – ein Aspekt, der in der Ausbildung eine größere Rolle spielen sollte.
Friseurinnen und Friseure fangen jahraus, jahrein die Sorgen ihrer Kunden auf. Sie üben dabei in gewisser Weise auch Seelsorge aus – ein Aspekt, der in der Ausbildung eine größere Rolle spielen sollte.
Der Friseursalon „Blickfang“ nahe dem Salzburger Hauptbahnhof. Es herrscht geschäftiges Treiben. Von außen sieht man überwiegend Köpfe – mit Alufolie bedeckt, in Handtücher eingewickelt oder mit zu Bündeln gesteckten nassen Haaren; solche, die einen zweiten Spiegel bekommen, um das vollendete Werk zu prüfen; andere, die noch geföhnt werden. Im hinteren Teil des Geschäftslokals wird gewaschen. Im Warteraum wartet ein kleiner Bub, bis die Frisur seiner Mutter fertig ist. Es wird gelacht, erzählt, geplaudert. Es wirkt familiär, man kennt sich hier. Die meisten sind Stammkunden. Eine Frau ist gerade etwas früher als geplant gekommen. Eine junge Friseurin bringt sie zum Platz, wo sie noch rasch Magazine zurechtlegt. Ihr Kollege eilt herbei, um der Dame die Kaffeevariation ihrer Wahl anzubieten. Die Kundin greift zufrieden zur Zeitschrift.
Begleiter in allen Lebenslagen
Es ist die Szene eines typischen Friseurbesuches, alltäglich und doch besonders. Wie die eigenen Haare aussehen und wie man sich damit fühlt, hat großen Einfluss auf das Selbstwertgefühl. Das gilt nicht nur wissenschaftlich als gesichert. Ein Friseurbesuch dient auch Geist und Seele. Davon ist „Blickfang“-Inhaber und Friseurmeister David Schwarz überzeugt: „Man fühlt sich danach anders – nach außen hin, aber auch nach innen hin. Man hat dann eine andere Haltung, ist selbstbewusster.“
Für den Friseurbesuch nehmen sich Menschen bewusst Zeit. Es ist eine kleine Auszeit aus dem Alltag, für die man auch einmal früher aus der Arbeit geht oder sich danach einen Besuch im Kaffeehaus gönnt. Es ist eine Möglichkeit, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, seine persönlichen Sorgen in ungezwungener Atmosphäre loszuwerden und sich gleichzeitig etwas Gutes zu tun. „In einer gewissen Art und Weise sind wir schon Therapeuten“, analysiert Schwarz, der in Salzburg drei Salons führt und als Business-Speaker auftritt. Zuhören zu können, ist ihm dabei wichtiger, als zu reden, denn: „Durch das Zuhören kommt man auf die Herzebene.“
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