Wolfgang Müllegger - © Foto: Sophie Huber-Lachner

Kulturhauptstadt Salzkammergut: Wolfgang Mülleggers Boote und Kunst

19451960198020002020

In Obertraun am Hallstättersee lebt und arbeitet der Künstler und Bootsbauer Wolfgang Müllegger. Warum er die hitzigen Diskussionen im Vorfeld des Kulturhauptstadtjahres 2024 begrüßt, was rurale von urbaner Kunst unterscheidet – und wieso der gängige Wohlstandsbegriff aus seiner Sicht problematisch ist. Ein Porträt in Wort und Video.

19451960198020002020

In Obertraun am Hallstättersee lebt und arbeitet der Künstler und Bootsbauer Wolfgang Müllegger. Warum er die hitzigen Diskussionen im Vorfeld des Kulturhauptstadtjahres 2024 begrüßt, was rurale von urbaner Kunst unterscheidet – und wieso der gängige Wohlstandsbegriff aus seiner Sicht problematisch ist. Ein Porträt in Wort und Video.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Hände wissen genau, was zu tun ist: ob es Arbeiten sind, für die es Fingerspitzengefühl braucht; oder Handgriffe mit der groben Säge. Schon hat das Holz die typische Form einer „Plätte“ – so nennt man die Boote, die seit jeher für Transporte aller Art auf den Seen des Salzkammerguts verwendet werden. In Mülleggers Werkstatt, die für alle Arten der Holzbearbeitung ausgelegt ist, hängen aber auch großformatige Leinwände von der Decke; und manche Ecke wird von bunten Skulpturen geschmückt, die aus jeder Perspektive eine andere Geschichte erzählen. Hier ist einer am Werk, der länger gebraucht hat, um sich festzulegen – und der immer noch das Vielgestaltige sucht.

Navigator

Liebe Leserin, lieber Leser,

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

„Wolfgang Müllegger war auch Fernfahrer“, sagt er lachend – und selten greift eine Selbstbeschreibung derart zu kurz wie in diesem Fall. Müllegger – 50, ein Lausbubenlächeln im Gesicht – hat sich beruflich in vielerlei Hinsicht ausprobiert; und war noch nie so in seiner Mitte wie heute. Mehr und mehr gelingt es ihm, als Künstler seine Sprache und auch ein Auslangen zu finden. Der Weg dorthin war alles andere als linear. „Mir ist erst der Knopf aufgegangen, als ich getan hab, was ich wollte, und nicht was die anderen wollten“, stellt Müllegger fest. Am Land wird eine künstlerische Lebensart immer noch kritisch beäugt – Spannungen, mit denen er gelernt hat umzugehen und die er mittlerweile in seine Arbeit einfließen lässt.

Endlich rauskommen

Müllegger wächst im oberösterreichischen Salzkammergut auf, vor allem in Bad Ischl und Ebensee. Die Schuljahre verlaufen mehr als holprig, Er schaut stundenlang aus dem Fenster, versinkt in eigenen Gedanken. Die Lehre zum Dachdecker und Spengler bricht er kurz vor Ende ab und erzählt seiner Mutter nichts davon. Als ihn ein schwerer Sturz bei der Arbeit vom Dach holt, nutzt er die Zwangspause, macht den LKW-Führerschein und steigt ein in den Fernverkehr: „Rauskommen, erste Erfahrungen im Ausland machen, für die damalige Zeit viel Geld verdienen – das war sehr verlockend.“ Müllegger leidet aber zusehends unter dem Sitzen, baut körperlich ab und erkennt, dass er etwas vermisst: „Ich habe nichts mit den Händen machen können, nichts produzieren. Am Abend bist du saumüde, weißt aber nicht, was du getan hast.“

Gerade eben hat Müllegger sein erstes Haus abbezahlt, als er fühlt, dass es Zeit ist, etwas Grundlegendes zu ändern. Er beginnt wieder zu zeichnen – schon als Kind hat er das andauernd gemacht und von seinem Umfeld viel Lob dafür bekommen. Er ist 28, als er sich für die Fachschule für Bildhauerei in Hallstatt entscheidet; die Klasse schließt er mit Auszeichnung ab. Außerdem bietet ihm einer seiner Lehrer, der nebenberuflich Plätten baut, die Nachfolge an – das Wissen um die Konstruktion der traditionellen Boote wird seit jeher nur mündlich überliefert. Müllegger nimmt an. Mittlerweile betreibt er mit Michael Straberger eine eigene Bootsmanufaktur und stellt eine besonders wendige Interpretation des alten Transportschiffs her.

Im Künstlerischen ist man sehr allein, im Handwerklichen bekommt man die Anerkennung. Handwerk, Tradition und noch dazu diese Idylle – das ist gerade ein Hype.

1
Wolfgang Müllegger - Wolfgang Müllegger in seiner Werkstatt, die zugleich sein Atelier ist. - © Foto: Sophie Huber-Lachner
© Foto: Sophie Huber-Lachner
2
Wolfgang Müllegger - Viel wird im Salzkammergut über das Kulturhauptstadtjahr geschimpft. Wolfgang Müllegger freut sich hingegen, dass "es rumort". - © Foto: Sophie Huber-Lachner
© Foto: Sophie Huber-Lachner
3
Wolfgang Müllegger - Das Handwerk erfährt derzeit mehr Wertschätzung als die Kunst, weiß Müllegger. - © Foto: Sophie Huber-Lachner
© Foto: Sophie Huber-Lachner
  1. Wolfgang Müllegger in seiner Werkstatt, die zugleich sein Atelier ist.
  2. Viel wird im Salzkammergut über das Kulturhauptstadtjahr geschimpft. Wolfgang Müllegger freut sich hingegen, dass "es rumort".
  3. Das Handwerk erfährt derzeit mehr Wertschätzung als die Kunst, weiß Müllegger.

Jahrelang arbeitet Müllegger aus wirtschaftlichen Gründen aber auch im Messebau: „Das Geld lockt immer. Ich hab mich irgendwie versklavt und etwas getan, was mir eigentlich vollkommen widerspricht. Viele Menschen gehen in diese Falle und sind gefangen. Man geht unbefriedigt nach Hause. Eigentlich ist man über sich selbst verärgert, weil man mitspielt. Und man sieht die Ausstiegsmöglichkeiten oft nicht.“ Erst in der Corona-Zeit, als das Messegeschäft einbricht, gelingt ihm der Ausstieg – Müllegger beschließt, möglichst nur mehr von dem zu leben, was wirklich mit seinem Wertesystem übereinstimmt – und der künstlerischen Arbeit mehr Platz in seinem Leben einzuräumen.

Lieber Handwerk als Kunst?

Dass das schwierig ist, erlebt er andauernd. „Jeder, der in die Werkstatt kommt, sieht die Plätte und findet das schön, das hat auch einen gewissen handwerklichen Fetisch, das ist greifbar. Wenn daneben künstlerische Arbeiten von mir stehen, verdrehen die Leute oft die Augen.“ Meistens gelingt es Müllegger, konstruktiv auf diesen Umstand zu schauen: wichtig sei die Auseinandersetzung, die in so einer Situation entstehen kann; wichtig seien die Bilder, die Kunst aufmachen kann. „Es geht nicht ums Objekt, um die Zeichnung, das Bild, die Grafik. Es geht um die Diskussion darüber.“ Manchmal ist da aber schon auch Verzweiflung, weil es kaum Menschen gibt, mit denen man sich künstlerisch austauschen kann.

Ein Aspekt, der Müllegger in den vergangenen Jahren viel beschäftigt hat: dass Kunst im ruralen Raum unter ganz anderen Bedingungen entsteht als im urbanen Bereich. „Im Künstlerischen ist man sehr allein, im Handwerklichen bekommt man die Anerkennung.“ Regelmäßig wird Müllegger von Fernsehteams besucht, die sich vor allem für ihn als Plättenbauer interessieren. „Handwerk, Tradition und noch dazu diese Idylle – das ist gerade so ein Hype. Vielleicht wollen die Menschen sehen, dass es das anderswo noch gibt, dass alles gut ist. Es ist natürlich irre, aber in den Köpfen ist das so ein Sehnsuchtsort.“

Nur wenige Kilometer von Mülleggers Wohnort Obertraun am Hallstättersee entfernt: der ultimative Sehnsuchtsort Hallstatt, der mittlerweile das ganze Jahr über von Touristen geflutet wird. Müllegger versteht, warum so viele hierherkommen: „Es ist wirklich wunderschön. Aber die Masse an Menschen ist völlig absurd. Und es ist irgendwie auch unwürdig – für alle Beteiligten.“ Wie er sich das Phänomen erklärt? „Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass wir nicht in unserer Mitte sind. Wir kämpfen uns in der Arbeit ab und suchen dann in unserer Freizeit irgendwo Entspannung. Und dann rennen wir rudelweise zu dieser vermeintlichen Entspannung hin.“ Immer mehr Menschen sind wohlhabend genug, dafür um den halben Erdball zu fliegen. Für Müllegger hat das nichts mit Wohlstand zu tun: „Das ist ein vermeintlicher Wohlstand, das wird uns vorgegaukelt.“

Mülleggers Wohlstand: einer Arbeit nachzugehen, auch einer künstlerischen, die ihn beglückt. „Es hat insofern mit Geld zu tun, als ich mir das leisten können muss. Aber es geht darum, im Kopf frei zu sein und nicht dem Geld hinterherzulaufen. Wohlstand ist die Zeit, die wir uns nehmen und die wir uns auch zugestehen.“ Work-Life-Balance – für Müllegger ein Reizwort. Der springende Punkt ist doch, Leben und Tätigsein auf gute Art und Weise wieder zusammen zu denken: „Das Wichtigste für mich ist: Ich fahre jeden Tag mit einer Freude in die Arbeit und komme jeden Tag mit einer Freude heim.“

Auf der Donau bis Novi Sad

„Wohlstand (Afterparty)“ heißt Mülleggers aktuelles Projekt im Rahmen der Kulturhauptstadt Salzkammergut 2024, bei dem er Kunst und Bootsbau verbindet. Mit einem selbst gebauten Boot – bzw. einer zweiteiligen Bootsskulptur – sind Müllegger und der Bildhauer Georg Holzmann ab Anfang September die Donau entlang bis Novi Sad gefahren, wobei sie das Salzkammergut mit drei weiteren Kulturhauptständen „verbanden“. Müllegger beschreibt das Vorhaben rückblickend als eine Art Recherchereise, deren Ergebnisse in eine fertige Bootsskulptur gemündet sind. Am 21. Oktober wurden beide Teile der Skulptur in Gmunden vereint; 2024 wird sie dann endgültig an einem öffentlichen Ort im Salzkammergut aufgestellt.

„Wir haben viel gestritten im gesamten Prozess“, sagt Müllegger über die Zusammenarbeit mit seinem Bildhauer-Kollegen, „und das war gut so“. Auch die vielen – mitunter medial ausgetragenen – Diskussionen im Vorfeld des Kulturhauptstadtjahres 2024 in Bad Ischl und Salzkammergut sieht er positiv: Es sei verständlich, dass sich die heimischen Künstlerinnen und Künstler, die gegen die internationale Ausrichtung der Kulturhauptstadt aufbegehren, eine Leistungsschau gewünscht hätten; gleichzeitig seien Außenansichten aber genau das, was die Region brauche, um sich weiterzuentwickeln: „Es rumort, es gibt Reibereien“, sagt Müllegger. „Und es bewegt sich endlich was.“

Die Autorin ist Filmemacherin und leitet seit 1. Oktober Programm und Produktion beim Freien Fernsehen Salzburg FS1.tv. Mehr zur Kulturhauptstadt Bad Ischl und Salzkammergut finden Sie unter salzkammergut-2024.at.

Navigator

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf mehr als 175.000 Artikel seit 1945 – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf mehr als 175.000 Artikel seit 1945 – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung