Für die Matura ist es nie zu spät

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Die österreichischen Abendgymnasien liegen trotz vieler anderer Bildungsangebote noch immer gut im Rennen. Rund 3.400 Studierende besuchen diesen Schultyp in Graz, Innsbruck, Klagenfurt, Linz, Salzburg, Villach oder Wien.

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Die österreichischen Abendgymnasien liegen trotz vieler anderer Bildungsangebote noch immer gut im Rennen. Rund 3.400 Studierende besuchen diesen Schultyp in Graz, Innsbruck, Klagenfurt, Linz, Salzburg, Villach oder Wien.

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In den letzten zehn Jahren haben die Studierenden österreichweit um 43 Prozent zugenommen. An einzelnen Schulstandorten hat sich die Zahl mehr als verdoppelt. Denn trotz vieler anderer Angebote auf dem Bildungsmarkt sind die Abendgymnasien voll im Trend. Hier werden keine billigen Schnellsiedekurse vermittelt, keine "Matura light", sondern ein aktuelles und solides Angebot. Qualität wird groß geschrieben für Menschen auf dem Weg zum Erfolg.

Natürlich soll der Erfolg, soll das Ziel auch "Matura" heißen. Aber nicht nur. Wenn auch der Erfolg nicht für jeden garantiert werden kann, wenn auch immer wieder Studierende den Weg bis zur Reifeprüfung nicht zu Ende gehen können, so ist doch das Prinzip an den meisten Schulen, dass man sich um die Studierenden in den Klassenzimmern bemüht. Es ist nämlich nicht egal, wie viele auf dem Weg zum Ziel ausscheiden. Neben der Vermittlung vieler Kompetenzen im Verlauf des Studiums (selbst für die "Aussteiger"), sind die Abendgymnasien auch in hohem Maß erfolgsorientiert. An keiner anderen Form der Erwachsenenbildung werden so viele qualifizierte Abschlüsse erreicht.

Die Studierendenzahlen steigen, aber auch die Absolventenzahlen. Ein Beispiel: Fast 100 Personen haben im abgelaufenen Schuljahr am Abendgymnasium Innsbruck die Matura geschafft, 40 Prozent mit überdurchschnittlichen Leistungen. In zwei Klassen flatterte die "weiße Fahne", weil alle die Reifeprüfung im ersten Anlauf bestanden. Im Jahr davor maturierten sogar über 140 Studierende - mehr als an jeder anderen AHS in Tirol.

Wer sind die Studierenden an den Abendgymnasien? Warum kommen sie an diese Schulen?

Früher sprach man vom "klassischen Arbeitermittelschüler", der bildungsbewusst, strebsam, leistungs- und leidensfähig die irgendwann versäumte Gelegenheit zur Matura ausbügeln wollte. Der Idealtyp sozusagen. Einzelne Lehrer mögen vielleicht heute diesem Schülertyp verklärt nachtrauern - und dem Unterrichts-Zustand, wo sie noch als Alleinwissende und Alleswissende vom Katheder herab dozieren konnten, wo die Schüler alles aufsogen, was die Lehrer von sich gaben. Diese Zeiten sind vorbei; Lehrerinnen und Lehrer, die das nicht begreifen, sind an den Abendschulen out.

Heute sind sie gefordert, mit einer bunten Vielfalt umzugehen und die Heterogenität in den Klassenräumen flexibel und kreativ für den Unterricht zu nützen.

Vom Alter her sind die Studierenden zwischen 17 und über 70 (letzteres in Einzelfällen); einerseits treten mehr Jüngere ein als früher - andererseits kommt aber beispielsweise gerade im Fernstudium verstärkt die Gruppe der 30- bis 40-Jährigen an die Schulen. Es sind praktisch alle möglichen Berufe vertreten. Studierende mit Vollzeitarbeitsplätzen machen etwa 60 Prozent aus. Sie tragen die Doppelbelastung Beruf und Schule und oft auch eine Dreifachbelastung, wenn sie Familie haben. Immer mehr Studierende wechseln in einen Teilzeitjob oder arbeiten als geringfügig Beschäftigte oder sind arbeitslos.

Zwischen 17 und 70 Die Studierenden sind zwar zum größeren Teil ledig, doch gibt es auch eine nicht zu kleine Gruppe Verheirateter - oft mit Kindern. Viele haben die Unterstützung ihrer Partner, manche (besonders Frauen) besuchen den Unterricht gegen deren Willen, riskieren die Scheidung oder müssen aus diesem Grund die Schule abbrechen. Viele verlieren bestehende soziale Kontakte wegen des Abendunterrichts, andere besuchen das Abendgymnasium gerade wegen der neuen sozialen Bindungen, sie schätzen eine gute Klassengemeinschaft.

Einige werden unterstützt und gefördert von zukunftsorientierten Dienstgebern, zunehmend mehr riskieren wegen des Schulbesuchs Probleme mit dem Arbeitgeber oder überhaupt den Job. Der Leistungsdruck am Arbeitsplatz wirkt sich immer stärker negativ auf den Schulbesuch aus. Daneben gibt es Studierende mit An- und Rückfahrtszeiten zum Unterrichtsort von mehr als drei Stunden, andere stammen aus geografisch so benachteiligten Regionen, dass nur das Fernstudium in Frage kommt.

Eine wachsende Zahl von Studierenden kann in höhere Klassen eintreten, weil sie schon Zeugnisse vorweisen, die angerechnet werden. Sie steigen meist um von den Tagesgymnasien - entweder weil sie neben der Schule Geld verdienen wollen oder weil sie - angeblich - "gescheitert" sind. An den Abendgymnasien erhalten sie ihre zweite Chance. Oft haben sie Anfangsschwierigkeiten sich einzugliedern und können aufgrund ihrer Lernbiografie die schulische Laufbahn noch nicht eigenverantwortlich gestalten. Das aber müssen sie lernen - und auch die Abendgymnasien entwickeln zunehmend didaktische Programme, um den Einstieg und den Umstieg zum selbstorganisierten Lernen zu erleichtern. Wenn es gelingt haben mehr als zwei Drittel dieser "Quereinsteiger" die besten Erfolgsaussichten.

Die Studierenden kommen an die Abendgymnasien und lernen, weil sie ein Maturazeugnis wollen, aber auch - und viel mehr noch - weil sie ihre Chance nützen wollen auf höhere Allgemeinbildung, zum Erwerb von Schlüsselkompetenzen, zur beruflichen Höherqualifikation, zur Wiedereingliederung in einen Beruf. Für manche sind es Gründe der Emanzipation, der Neuorientierung in Krisen - sie erwarten Herausforderung und Lebensveränderung.

Auch die Lehrerinnen und Lehrer müssen reagieren. Die Studierenden sind meist grundsätzlich motiviert und leistungsbereit, doch ihre besonderen Lebensbedingungen sind manchmal eine Belastung für ihr Studium - und auch für den Unterricht.

Nach einem anstrengenden Arbeitstag zwingen sich manche müde in die Abendklassen. Plötzlich angesetzte Überstunden führen zu verspätetem Erscheinen. Wenn der sonst so verlässliche Babysitter plötzlich ausfällt, kann die Mutter den Unterricht nicht besuchen, anderswo erkrankt gerade ein Kind ... Falls viele solcher Faktoren zusammen kommen, ist eine Klasse auch einmal halb leer. Und auch pädagogische und didaktische Konzepte müssen diese besondere Situation berücksichtigen.

Eines ist klar: der Weg an den Abendgymnasien muss oft ein anderer sein als an herkömmlichen Schulen - aber die Leistung, die am Ende erbracht wird, muss stimmen. In der Tat werden diese Leistungen auch rundum anerkannt, die Absolventen der Abendgymnasien sind gesucht und werden nicht selten anderen Stellenbewerbern vorgezogen.

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