Geliebt, verteufelt, bekämpft und begehrt

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Jeden Abend dasselbe. Wieder nichts "Gescheites" in der Kiste. Trotzdem sitzt man unverdrossen bis spät in die Nacht. Dabei wäre es ganz einfach: Warum schalten wir den Fernseher nicht ab?

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Jeden Abend dasselbe. Wieder nichts "Gescheites" in der Kiste. Trotzdem sitzt man unverdrossen bis spät in die Nacht. Dabei wäre es ganz einfach: Warum schalten wir den Fernseher nicht ab?

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Es war einmal ein Land, da gab es nur zwei Fernsehkanäle, und alles war gut. Denn wenn die Bürger in der Früh bei der Straßenbahnhaltestelle standen oder ins Büro kamen, entspann sich sofort ein angeregtes Gespräch über das Interview mit dem Politiker X, das sonntägliche Fußballspiel, die schwierige Quiz-Sendung oder diesen nervenzerfetzenden Krimi.

Aber dann kam eine böse Hexe, und sie machte dem glücklichen Land ein vergiftetes Geschenk, das Kabel- und Satellitenfernsehen. Das Geschenk war eine wahre Pandorabüchse. Denn plötzlich hatten die Bürger kein gemeinsames Gesprächsthema mehr. Der eine hatte "Aktenzeichen XY" gesehen, der andere "Universum", der dritte wieder was anderes. Statt einer angeregten Diskussion breitete sich Schweigen unter den Menschen aus. Das Volk verfiel in Depression und verlor jedwedes Interesse an Kommunikation ...

Ein trauriges Märchen. Wie alle Märchen hat es auch einen wahren Kern. Diese - kommunikationstheoretisch gesehen - glücklichen Zeiten hat es ja wirklich einmal gegeben. Das ist aber schon sehr lange her und kein Jammern und Klagen bringt sie wieder zurück. War früher alles besser? Wird in Zukunft alles schlechter?

Gerade die Medien berichten uns ja, daß das neueste Medium den Untergang des Abendlandes noch schneller herbeiführt als das vorangegangene. Sollte man also doch lieber zu einem guten Buch greifen, als abends durch die verschiedenen Fernseh-Kanäle zu zappen? Warum machen wir uns so viel aus Fernsehen, wenn wir doch gleichzeitig nicht müde werden, dessen mangelndes Niveau zu beklagen? Warum drehen wir nicht einfach ab?

"Die Fernsehsucht ist eine unmäßige Begierde, seinen eigenen untätigen Geist mit den Einbildungen und Vorstellungen anderer aus deren Sendungen vorübergehend zu vergnügen" meint Neil Postman in seinem Buch "Wir amüsieren uns zu Tode".

Es scheint eine Art von Naturgesetz zu sein, daß Kulturkritiker die Objekte ihrer Besorgnis fast immer in den neuen medialen Veränderungen finden. Ob es vor Jahrtausenden die Erfindung der Schrift, oder vor Jahrhunderten das allen zugängliche Buch war, ob es sich um Fotografie handelte ("sie zerstört die Malerei") oder den Film ("er zerstört das Theater"), oder um das Fernsehen ("es zerstört alles"), - der kulturkritische Tenor lautete immer: Das wird aber böse enden!

Bewahrheitet hat sich von diesen vielen pessimistischen Vorhersagen eigentlich kaum etwas. Das müßten auch die überzeugtesten Kultur-Pessimisten zugeben.

Eine weitere, kultur-pessimistische Frage ist die, ob die entsetzliche Informationsflut, mit der das Fernsehen heute unsere Haushalte überschwemmt, die Konsumenten vielleicht auch total überfordert?

Keine falsche Wahl Medienexperten antworten mit einem klaren Nein. Der Konsument trifft, nach den ersten Momenten der Verwirrung, die ein Riesenangebot in den meisten Fällen auslöst, seine Wahl. Er erkennt sehr bald, daß es keine falsche Wahl für ihn gibt, denn es ist seine Wahl, und die Unterschiede innerhalb der Programme sind nicht so gravierend.

Könnte man nicht fast sagen: Je mehr Auswahl, desto besser? Denn es ist ja auch schöner, ein paar tausend Bücher zu haben als ein paar hundert. Es ist besser, aus 100 TV-Programmen auszuwählen als aus zehn. Die gemeinsame kulturelle Basis sind ja nicht die einzelnen Sendungen, sondern das Medium an sich. Und Fußballspiele, Wahlen und Weltmeisterschaften sind auch im Zeitalter des digitalen Fernsehens Dauerbrenner im Programm. Das Verbindende bleibt uns also, die Gespräche an Straßenbahnhaltestellen und im Büro sind noch lange möglich.

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