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Gehört Japan zum Westen?

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Der Westen ist seit 1950 bemüht, Japan in einen Schild gegen China zu wandeln, damit es mehr Verantwortung zur Verteidigung der Interessen des „Westens“ in Ostąsięn und dem Westpazifik tragen kann. Nach V. S. News and World Reports sollen sich die USA unlängst sogar überlegt haben, ihre Verteidigungslinie wegen der chinesischen Kernwaffenerfolge innerhalb von drei bis fünf Jahren von Japan, Okinawa und den Philippinen nach den Marianeninseln zu verlegen. Deshalb kommen nun die Fragen der Rückgabe der Riukiuinseln und der Unabhängigkeit der Marianeninseln in absehbarer Zeit auf die Tagesordnung.

Was wird Japan? Ein treuer „Wachthund“ des „weißen Westens“ gegen die „gelbe Gefahr“ aus China? Ist Japan wirklich schon eine quasi-euroamerikanische Nation geworden? Der rassische Fanatismus wird heute öffentlich verurteilt; aber im Unterbewußtsein spielt er weiterhin eine große Rolle. Viele behaupten, daß der Vietnamkrieg unglücklicherweise allmählich ein Kampf „der Schwarzen unter der Regie der Weißen gegen die Gelben“ würde. Hier besteht die große Gefahr. Nicht etwa für die „Farbigen“, sondern eher für die „Nichtfarbigen“ des Westens.

Hat sich Arnold Joseph Toynbee, der englische Historiker mit der berühmten „Theorie der Herausforderung und Reaktion“, nicht zuerst für eine amerikanisch-russische Zusammenarbeit und dann für die heilige Allianz der weißen Nationen gegen die Farbigen vor allem die gelben Chinesen ausgesprochen? Hat Bodard nicht mit dem Satz „… so würde China ein Monstrum sein, dessen gelbe Wesen die ganze menschliche Rasse überfallen werden“ die gelben Wesen außerhalb der menschlichen Rasse gestellt? Hat Paul Kardinal Yü Pin nicht deshalb empört geschrieben, daß der westliche Mensch anscheinend immer Sündenböcke brauche: die Juden, die Neger und nun die Chinesen? Ob sich die „Weißen“ heute noch einen solchen „Rassenkampf“ wie in der Vergangenheit leisten können, steht auf einem anderen Blatt. Aber sie liefern zweifellos nicht nur den Chinesen das gewisse Bewußtsein, sondern auch den Japanern.

Durch den wirtschaftlichen Aufstieg Japans wird es unvermeidlich zu einer schweren Spannung mil manchen „weißen“ Industrienationen kommen. Haben nicht viele europäische Wirtschaftsexperter trotz der Tatsache noch an den alten Mythos von der „billiger Arbeitskraft“ Japans festgehalteni Haben sie nicht Japan „wegen dei rassischen Unterschiede“ nicht als künftigen Partner der EWG betrachtet? Die Wirtschaftsspannung entwickelt sich später unweigerlich zu einer politischen Differenz. Die Japaner — gleichfalls „gelbe Teufel“! — werden sich allmählich vom westlichen Bündnissystem lösen. Wegen des nuklearen Schirms Chinas allein werden sie auch nichts anderes tun können. Die jetzige Politik Satos gegenüber China •- „politisch und wirtschaftlich getrennt behandelt“ — besagt schon deutlich genug, daß diese kommende Macht ihre Hände nicht länger von irgendeinem „fremden Barbareb“ binden lassen will.

Roter Pragmatismus

China befindet sich in dieser Phase zwar in einer verzweifelten Situation, aber das Rad der Geschichte bleibt eben nicht stehen. Wir werden eine neue Generation Chinas mit mehr pragmatischem und sehr praktischem Gedankengut sehen. Auch bei der jungen Generation Japans ist eine Tendenz bemerkenswert: die Begeisterung für eine echte chinesisch-japanische Freundschaft unter den japanischen Jugendlichen bei den „Freundschaftsbesuchen“ in China dieser Jahre kann man nicht einfach als propagandistisches Theater ansehen. Der Wunsch der jungen Generation der beiden Nationen für eine engere Zusammenarbeit in Zukunft ist vorhanden. In Ostasien hat solch ein Zusammengehörigkeitsgefühl — nicht so sehr ein Staats- oder Nationalbewußtsein, sondern das Gefühl, demselben Rassen- und Kulturkreis anzugehören — schon von alters her bestanden. Es hat sich über alle politischen Machtverhältnisse und Staatskämpfe hinweg erhalten. Kurz nach dem zweiten Weltkrieg wollten manche Japaner sich lieber China anschließen als von den USA besetzt werden. Jetzt lieben die einheimischen Formosaner Japan auch mehr als die Kuomintang-Regierung. Beim Bombardement Vietnams durch die Amerikaner sympathisierten die Japaner mehr für die Vietnamesen. „Warum müssen wir, die Gelben, wie Fliegen sterben?“ Die Erinnerung an die Höhe von Hiroshima und Nagasaki ist noch lebendig.

Hier liegt nämlich der Schlüssel zur Öffnung eines Tores in die Zukunft Asiens, die unvermeidlich die ganze Welt betreffen wird. Das gemeinsame Interesse Chinas und Japans sieht man auch in der Tatsache, daß der „Lebensraum“ der gelben Rasse Tag für Tag enger geworden ist; vom Lande drängen die

Russen und vom Meer die Amerikaner her. Für China und Japan bedeutet das dasselbe: Einkreisung. Bei den Besuchen Satos in Südostasien wurde er überall herzlich willkommen geheißen. Nicht nur des japanischen Yen wegen. Es ist viel mehr! Die Unabhängigkeit der südostasiatischen Völker wurde praktisch von Japan zur Realität gemacht. Auch das rassische Unter- oder bloße Bewußtsein der Ost- und Südostasiaten hat sie jetzt dazu gebracht, sich lieber von gleichartigem Japan als vom andersrassischen Westen helfen zu lassen.

China sieht heute vorläufig keinen Ausweg. Der Aufstieg Japans wird jedoch für die neue Führung Chinas nach Mao Tse-tungs Ära ein Anlaß zur Annäherung an Japan sein. China ist für Japan ein traditioneller

Markt. Die Erschließung Sibiriens durch Japan wird dafür auch kein Hindernis sein; denn Sibirien ist — nach chinesischer Auffassung — ein verlorenes Territorium Chinas. Schon seit Solow jews Zeiten sprachen die Russen von der „gelben Gefahr“. Der Krieg von 1904 bis 1905 hat das auch bestätigt. Könnte es später anders sein? Die Containment-Politik, die Washington nun mit der Konfrontation Chinas durch Japan durchführt, kann nur in einem bestimmten Zeitraum erfolgreich sein.

Wie kann eine Politik des „Kampf den gelben Chinesen durch die gelben Japaner“ länger dauern? Denn sowohl in China wie in Japan ist ein altes Sprichwort allgemein bekannt — „Das Blut ist dichter als das Wasser!“

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