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Martin Pollacks Buch über den SS-Sturmbannführer Gerhard Bast, seinen Vater.

Über die Zeit des Nationalsozialismus und über den Zweiten Weltkrieg werden immer noch zahlreiche Bücher veröffentlicht. Die Deutschen als Opfer dieses Krieges, insbesondere des Bombenkriegs der Alliierten zu sehen, das ist neuerdings ein besonders beliebtes Thema. Man will sechzig Jahre nach Kriegsende nicht immer noch als gedemütigter Verbrecher vor der Weltgeschichte stehen: wir waren doch auch, sagen viele Menschen, Hitlers Opfer. Man denke nur an leidende Zivilbevölkerung, an die Nöte der Soldaten in Krieg und Gefangenschaft und an die vertriebenen Deutschen. Unser Bild von dieser Zeit verwandelt sich und die Wucht von Selbstmitleid macht einem manchmal Angst.

In früheren Büchern war der Zorn über jene Eltern und Großeltern zu spüren, die sich während der Naziherrschaft opportunistisch angeschmiegt hatten und nach dem Krieg nur "verführt" worden sein wollten. Die fortgesetzten Erfolge von ehemaligen Nazi-Karrieristen in den neuen Demokratien waren ein begreiflicher Anlass für diese Empörung. Schon in den 80er Jahren gab es auch Versuche, "schuldlos schuldig" geborene Kinder von Tätern im Dritten Reich zum Reden über die Vätergeneration zu bringen. Wie es die Bücher über die Kinder der Holocaust-Opfer gab.

Noch immer nicht alles

Nein, es ist offenbar immer noch nicht alles gesagt über den Nationalsozialismus. Neuerdings meidet man die Anklage, man versucht, die Väter, Mütter oder Geschwister "von innen" darzustellen, als wäre die Geschichte ganz neu, wenn nicht sogar neutral zu erzählen. Das ist verständlich: Jetzt, wo die Kinder der Kriegs-Generation fünfzig, sechzig Jahre oder älter geworden sind und auf ihre eigene Geschichte zurückblicken, fragen sie sich noch einmal nach ihrem Herkommen, nach den Lebensumständen ihrer Mütter und Väter.

Martin Pollack, 1944 in Bad Hall geboren, in Linz aufgewachsen, will es nicht erst seit seinem sechzigsten Lebensjahr genau wissen, wer sein Vater war und was es mit dem "Mörder in meinen Genen" auf sich hat. In der Zeitschrift "Transatlantic" hat er schon einmal über seinen Vater geschrieben. Pollack versucht auch nicht, aus seinem Vater ein Opfer der Verhältnisse zu machen. Das wäre auch kaum möglich. Vor zwei Jahren veröffentlichte er schon einmal eine Vater-Sohn-Geschichte: Der 23-jährige Philipp Halsmann wird beschuldigt, bei einer Bergtour im Zillertal seinen Vater Morduch Max Halsmann erschlagen zu haben. "Anklage Vatermord. Der Fall Philipp Halsmann" heißt dieses großartige Buch, ein unangestrengter Beweis dafür, dass ein exzellent geschriebenes "Sachbuch" ein Idealfall von "Belletristik" sein kann, womit die werbetechnische Unterscheidung in "Sachbuch" und "Literatur" wieder einmal fabelhaft ad absurdum geführt wäre.

Auch das neue Buch beginnt mit einem Mordfall. Und wieder steht eine Vater-Sohn-Beziehung im Zentrum. Aber diesmal schreibt Pollack nicht nur über eine Figur der Zeitgeschichte, sondern diese Figur ist zugleich sein eigener Vater, Dr. jur. Gerhard Bast. Als dieser 1947 erschossen wurde, war Martin Pollack drei Jahre alt. Der Sohn hat an den Vater keinerlei Erinnerung, er war für ihn immer abwesend. Er konnte als Kind den Vater nicht lieben und versucht nun keine Ehrenrettung in dem Sinne "... aber er war doch mein Vater!"

Der Vater war, was der Sohn ohne Pathos, aber mit zunehmendem Schrecken rekonstruiert, nicht nur ein deutschnationaler Fanatiker und schlagender Burschenschafter, ein illegaler Nazi und SS-Mann, der sich 1938 in Graz in einen hohen Beamten der Gestapo verwandelt, sondern auch als SS-Sturmbannführer ein Verbrecher des Naziregimes, der Deportationen von Juden, Erschießungen von Zwangsarbeitern veranlasst und mit seiner Einheit in der Slowakei, in Polen und im Kaukasus an tausendfachem Mord schuldig wird. Nach Kriegsende taucht er unter, gelangt nach Italien. Jener Schlepper, der ihn über die grüne Grenze nach Tirol bringen soll, erschießt den Flüchtling und wird dafür zu 30 Jahren Haft verurteilt.

Pollacks Geschichte holt weit aus, sie bringt viele Zeitzeugen ins Gespräch und untersucht Archiv-Funde. Ausführlich werden die Familiengeschichten der Eltern dargestellt, Gottschee, slowenisch Kocevje, und Laibach bzw. Ljubljana spielen eine Rolle, und da ist auch der Markt Tüffer in der Untersteiermark, ein weiterer Ort der Handlung. Von hier stammt der deutschnationale Großvater, der seinem Enkel vom Leben vor dem Ersten Weltkrieg, von der Jagd, von Wölfen und Bären erzählt. Was der Großvater nicht erzählt, recherchiert der Autor für uns: die Geschichte des österreichisch-slowenischen Grenzgebietes seit dem Ende der Monarchie und die Spannungen zwischen slawischer und deutscher Kultur. Orte des Geschehens sind auch Graz, Amstetten und Linz, und da ist es doch schade, dass uns der Autor den (vielleicht geliebten?) Stiefvater und überhaupt die eigene, gelebte Familiengeschichte weitgehend vorenthält. Wäre sie nicht ein guter Kontrast zur Familie Bast gewesen?

Keine Fragen gestellt

"Der Tote im Bunker" ist auch ein österreichisches Geschichtsbuch. Nicht, weil alle Österreicher Nazis waren, sondern weil der Autor soviel über patriarchale Familienmuster und kleinstädtische Enge weiß. Und weil wir besser verstehen, wie das Schweige-Gebot der 50er und 60er Jahre unser Denken über den Nationalsozialismus beschädigt hat: "Bei uns hat man keine Fragen gestellt, das war das Problem."

Auf eine Frage kann der Autor jedoch keine Antwort finden: "Warum meinVater? - Ich gehe davon aus, dass er überzeugt war, auf der richtigen Seite zu stehen, für die richtige Sache zu kämpfen, für das künftige Reich, für die völkische, rassische Einheit und Reinheit und wie die Schlagworte alle lauteten, an die damals viele glaubten, doch für eine Karriere in der Gestapo entschieden sich die wenigsten. Warum ausgerechnet er? Diese Frage begleitet mich seit vielen Jahren wie ein düsterer Schatten, von dem ich weiß, dass ich ich nie werde abschütteln können."

Der Tote im Bunker

Bericht über meinen Vater

Von Martin Pollack

Zsolnay Verlag, Wien 2004

254 Seiten, geb., e 20,50

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