6547159-1947_21_11.jpg
Digital In Arbeit

Aus dem Kulturleben Tirols

Werbung
Werbung
Werbung

Die Umwälzungen des letzten Jahrzehnts haben auch auf kulturellem Gebiet das Verhältnis zwischen Wien und den Bundesländern so nachhaltig beeinflußt, daß auch hier eine einfache Wiederherstellung der früheren Zustände unmöglich erscheint. Da die Verbindung der Länder mit Wien durch Jahre hindurch gelockert wurde, aus verschiedenen Gründen aber auch vorübergehend kein anderes Zentrum den leergewordenen Platz einzunehmen vermochte, verstärkten sich die Bestrebungen zur Ausbildung einer Art kultureller ..Autonomie“ — besonders natürlich dort, wo sie. wie in Tirol, an ein tiefeingewurzeltes Landesbewußtsein anknüpfen konnten. Die strenge Absperrung der Zonengrenzen und die kriegsbedingte Anwesenheit hervorragender auswärtiger Kräfte beförderten auch nach Kriegsende diese Entwicklung in dem Land, dessen an sich schon verhältnismäßig große Entfernung von der Hauptstadt nun noch durch zwei Zonengrenzen erweitert wurde. Unter diesen Verhältnissen wuchs manche Blüte empor, von der vorauszusehen war. daß sie auf dem zwar furchtbaren, aber doch auch steinigen Tiroler Boden auf die Dauer nicht gedeihen werde — eine Voraussicht, die bald nach dem Fall der Zonengrenzen vor allem überall dort bestätigt wurde, wo man äußerlich durch den Umfang des ..Kulturbetriebs“ mit Wien konkurrieren wollte. So standen die Innsbrucker Musik- und Theaterwochen im vorigen Herbst trotz teilweise erstklassiger Darbietungen und berühmter Gäste unter keinem glücklichen Stern, und eine an sich glänzend redigierte Kulturzeitschrift gedieh nicht über die dritte Nummer hinaus.

Auf der anderen Seite aber läßt sich jetzt schon erkennen, daß die ungewöhnlidien Verhältnisse doch manche Bereicherung brachten, daß manches Samenkorn, das von einer stürmischen Zeit in das Land im Gebirge verweht worden war. Wurzel geschlagen hat und nun reiche Frucht verspricht. Wieder zeigt sich die Eigenart des Landes, dessen geistiger Charakter seit Jahrhunderten bestimmt wird durch das Wechselspiel zwi-sdien seiner Lage als Durchgangs- und Paßland einerseits, dem zähen Festhalten der Gebirgsbewohner an liebgewordener Überlieferung andererseits.

Gruppen, wie der Kreis um die Zeitschrift „Der Brenner“ oder die Dichtergemeinschaft ..Serles“, bringen schon durch die Wahl ihrer Namen zum Ausdruck, wo sie die Wurzeln ihres Schaffens erkennen, während die neuerstandenen „Tiroler Heimatblätter“ die Ergebnisse heimatkundlicher Forschung in weitere Kreise tragen. Neben diesen, sich vorwiegend auf einheimische Kräfte stützenden Bestrebungen aber bewährt sich, vor allem in Innsbruck, die Zusammenarbeit von Tirolern und Nichttirolern auf den verschiedensten Gebieten: im Tiroler Landestheater, das gerade in jüngster Zeit hervorragende Leistungen bot (..Holländer“, „Figaro“, „Carmen“, „Iphigenie“, „Faust“ usw.), in dem sehr vielgestaltigen Innsbrucker Konzertleben (hier sind vor allem die Aufführungen des Stadtorchesters und seiner Gäste zu nennen), auf dem Gebiet der bildenden Künste (Ausstellungen im Museum Ferdinandeum), der Kleinkunst („Kleines Wcktheatcr“) wie auf dem des Kunsttanzes, überall begegnen wir Namen von Klang, die aus den verschiedensten Himmelsrichtungen, vor allem natürlich aus Wien, nach Tirol verschlagen wurden. Daß dadurch die traditionsgebundenen Kräfte nicht beeinträchtigt werden, zeigt, etwa auf dem Gebiete der in Tirol stets besonders gepflegten Schauspielkunst, die große Zahl der Volksbühnen und Bauerntheater, so auch die Exl-Bühne, die mit Knittels „Via Mal“ ein beachtliches Gastspiel gab.

Dasselbe g ückliche Gleichgewicht herrscht im Volksbildungswesen. Wird das immer reichhaltiger gestaltete Programm der Volkshochschule vorwiegend von einheimischen Kräften getragen, so ist das katholische Bildungswerk mit Erfolg bemüht, für seine stark besuchten Veranstaltungen Vortragende aus dem übrigen Österreich zu gewinnen.

Belebend wirkt auch das erfreuliche Interesse der Besatzungsmacht am kulturellen und geistigen Leben. Das französische Kulturinstitut und die Französisch-Österreichische Vereinigung in Innsbruck sind beide durch Vorträge.“ Ausstellungen. Diskussions- und Gesellschaftsabende zu Mittelpunkten einer gepflegten Geistigkeit und Geselligkeit geworden. Inernatiohale Hochschulwochen und Jugendlagcr (Alpbach. Pertisau, St. Christoph, Berwang) fördern den Blick in die Welt und bringen Anregung für das heimische Kulturleben.

So bestehen hier an sich überaus günstige Voraussetzungen für die Entwicklung eines kulturellen Eigenlebens, das sich gleich weit entfernt hält von einer Wien mit unzulänglichen Mitteln imitierenden, eben dadurch erst peinlich „provinziell“ wirkenden Großmannssucht, wie von einer engstirnigen Ab-schließung und Selbstgenügsamkeit. Wer aber die kulturellen Möglichkeiten gering achtet, möge bedenken, daß die hervorragendsten Kulturleistungen des Abend'“^ ^es bei weitem nicht immer in der Groß 't erwachsen sind, sondern — von den Klövcrn und Adelssitzen über die Fürstenhöfe und Stadtrepubliken bis zu den kleinen Universitätsstädten — in kleinen, die geistige Gemeinschaftsbildung fördernden Zentren, die durch einen regen wechselseitigen Austausch und Verkehr doch der Gefahr der geistigen Inzucht und Erstarrung immer zu entgehen wußten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung