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Buchfeier für Enrica von Handel-Mazzetti

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Dichtung und Frömmigkeit sind die zwei Pole, in deren Kraftfeld das literarische Schaffen der Freiin von Handel-Mazzetti schwingt. Die Dichterin, welcher der entscheidende Durchbruch der katholischen Dichtung in das Bewußtsein der literarischen Welt zu danken ist, muß zugleich als eine der bahnbrechenden Erscheinungen der Heimatdichtung in Österreich gewertet werden. Beide Gesichtspunkte verbindet in ihrer Betrachtung die Festschrift, die ihr anläßlich ihres 75. Geburtstages gewidmet wurde *.

Als zu Jahrhundertbeginn die ersten Bücher der Dichterin erschienen — 1900 „Meinrad Helmpergers denkwürdiges Jahr“, 1906 „Jesse und Maria“, 1910 „Die arme Margaret“, 1912— 1914 „Stephana Schwertner“ — litt die katholische Literatur unter dem Vorwunf der Rückständigkeit und geistigen Enge. Vor dem lokal beschränkten Hintergrund ober- und niederösterreichischer Geschichte konnte Enrica v. Handel-Mazzetti, deren begnadete Darstellungskraft vergangene Jahrhunderte neu erschuf nnd die Abgezogenheit geistiger Kämpfe m lebendige Wirklichkeit handelnder Menschen umzusetzen verstand, die ganze Weltweite katholischen Denkens d artun, insofern es mit christlichem Denken im weitesten Sinne des Wortes identisch ist. Aus dem Steyr des 17. Jahrhunderts und dem ober-und niederösterreichischen Bereich des Barocks haben spätere Werke der Dichterin hinausgeführt: die „Rit?.“-Bücher in das Wien der Jüngstvergangenheit, der „Deutsche Held“ in jenes der nachnapoleonischen Zeit, die Romandreiheit „Das Rosenwunder“ führt bis Mannheim und Jena, wo auch die Günther-Novelle spielt; ihre letzten großen Werke haben die Türkenkämpfe des 17. Jahrhunderts zum Schauplatz, „Die Waxenbergerin“ im belagerten Wien, „Graf Reichard“ die am Eisernen Tor. Dann kam das — unverständliche und unverständige — Verbot aller Schriften der ' Dichterin durch das nationalsozialistische Regime. Es konnte ihre Wirkung nicht mehr unterbinden. Sie hatte sich mit ihrer Dichtung, ihrer Frömmigkeit, ihrer Menschlichkeit, ihrer Kunst im Bewußtsein des deutschen Volkes und der Welt endgültig durchgesetzt.

Es sind ihre ersten, die österreichischen und katholischen Romane, die ihren Ruf und Ruhm entschieden haben. Und es will nicht wenig heißen, daß gerade die aus dem Kampf der Geister, Stände und Konfessionen gegriffenen Stoffe aus der Zeit der Gegenreformation ihr Gelegenheit boten, die konfessionelle Enge zu sprengen und echte Christlichkeit in groß geschauten Bildern und in einer aus chronistischer Starrheit und lebendig-mundartlichem Brauch wundersam gemischten und zu Herzen gehenden Sprache der Welt vorzuführen.

Dieser „großen Dichterin Oberösterreichs“ ist “die stattliche Festschrift gewidmet. Eingeleitet vom Linzer Bischof, dem Linzer Bürgermeister und dam Landeshauptmann von Oberösterreich, zerfällt sie thematisch in drei Teile: einen schöngeistigen mit dichterischen Beiträgen in gebundener Form, in denen das doppelte Leitmotiv, unter dem das Schaffen der Jubilarin steht, das Dichterische und das Frommsein, in künstlerisch zum Teil vollendeten Versen variiert wird. Im zweiten Kreis stehen essayistische und wissenschaftlich gehaltene Aufsätze über die oberösterreichische Heimat der Dichterin und die Hauptschauplätze ihrer Heimatromane: Landschaft und Kulturerbe, Geschichte und Leistung des Lande auf dem Gebiet der Literatur, des Theaters, der Musik, der Malerei, der Wissenschartspflege (der Beitrag über die wissenschaftlichen Institute und die wissenschaftliche Forschung in Oberösterreich seit 1900 scheint uns besonders instruktiv). Die letzten Aufsätze befassen sich mit dem Schaffen der Dichterin selbst; und da möchten wir besonders auf die Untersudiung der Mundartelemente in Handel-Mazzettis „Armer Margaret“ von Herbert Grau und die feinsinnige Gesamtwürdigung der Dichterin aus der Feder des Innsbrucker Literarhistorikers Universitätsprofessors Moriz Enzinger hinweisen.

Der letztgenannte Aufsatz, wohl der wichtigste der ganzen Festschrift, stellt ihr dichterisches Schaffen „Zwischen Legende und Historie“: Motive und Stoffe, Formen und seelische Haltung der Dichterin werden in eindringender Analyse als Ausdruck ihrer christlich-katholischen Weltanschauung aufgezeigt, die Wahl des Barocks und der heimischen Welt als einer Grundveranlagung der Dichterin entsprechend gesehen, als Ur-Erkbnis der Handel-Mazzetti die Liebe im christlichen Sinn der Karitas nachgewiesen („die bei aller Katholizität doch über dem Trennenden der Bekenntnisse steht und sie im Christlichen zusammenschließt“). Vom Katholischen der Grundauffassung her schlägt sich die Brücke zum Legendären, von der Geschichtlichkeit ihrer Stoffe zurück zur Zeitbedingtheit ihres Empfindens. („Der geschichtliche Roman der Handel-Mazzetti ist, wie die geschichtlichen Romane meist, irgendwie zeitbedingt, so versteckt das zunächst sein mag.“) Die Stilmittel ihres Gestaltens entnimmt die Dichterin einem verfeinerten Naturalismus, über dessen grobschlächtige Zeitform sie als echte Künstlerin allerdings weit hinausgewachsen erscheint.

Entscheidend wichtig ist die Endfeststellung Enzingers, wonach die Dichterin die Wirksamkeit ihrer Kunst religiös-sittlich gewertet wissen will. „Nicht nur, daß sie über die Bösewichter in ihren Werken strenges Gericht hält, was wieder vom Naturalismus ablenkt, nicht nur, daß sie in jedem Werke eine endliche moralische'Reinigung anstrebt, auch ihre Kunstauffassung ist moralisch-religiös bedingt. Das Primäre audi für die Kunstauffassung Handel-Mazzettis ist also Förderung von Glauben, und Sittlichkeit, eine rein ästhetische Einstellung stünde ihrem ganzen Wesen fern, so wie sie Adalbert Stifter ferngestanden ist.“

Die an treffenden Bemerkungen reiche Untersuchung Enzingers schließt mit dem Hinweis darauf, wie die Macht der christlichen Liebe sieghaft aus allen ihren Büchern strahlt, wie aber Not und Qual, Pein des Daseins der Preis des Sieges, sind. Er setzt ans Ende ein Wort aus „Jesse und Maria“: „Die Welt hat wollen in Schmerzen erlöst sein.“ Es wird ergänzt durch ein zweites Wort, das die Dichterin nach Thomas a Kempis als Leitspruch über ihren ersten Geschichtsroman gesetzt hatte. Es weist auf das Mittel der Erlösung und zugleich auf das zentrale Erlebnis der in dieser Festschrift gefeierten Dichterin hin: Magna res est Caritas — Großes wirkt die christliche Liebe.

Das erfahren und in lebendig wirksamen Dchtwerken gelehrt zu haben ist eine Leistung, für die der Freiin von Handel-Mazzetti diese Festschrift dankt.

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