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Die Mettmacher Spiele

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All Bemühungen um die Wiederbelebung der Volkskunst und Volkskultur haben nur so weit Aussicht auf Erfolg, als sie sich auf die Erhaltung und Lenkung der lebendiggebliebenen Kulturkräfte beziehen, und selbst dann dürfen die bei allem Lebenden neu hinzukommenden Komponenten nicht vernachlässigt werden. Denn auch das Bestehende wird nicht durch starres Konservieren, sondern nur durch sinngemäßes Weiterentwickeln bewahrt. Am schwersten ist hier die Situation (nicht für die Ausübung, sondern schon für die bloße Pflege des Verständnisses) bei der bildenden Kunst — am leichtesten und aussichtsreichsten für die Pflege von Musik und Gesang. Eine Mittelstellung zwischen diesen beiden „Volkskunst-Gattungen nimmt wohl die darstellende Kunst, das Theater, ein. Wohl war das Theater im Altertum und Mittelalter ein im höchsten Grade volkstümliches Anliegen; im Laufe der Jahrhunderte aber wurde es fast noch mehr wie die Plastik und Malerei eine Domäne der Zünftigen, und damit wurde die Kluft zwischen der laienmäßigen und der beruflichen Schauspielkunst in den meisten Fällen so weit, daß das Liebhabertheater, namentlich jenes, das man mit dem italienischen Terminus „Dilettantentheater” begrenzt, nicht selten zu einem beinahe gegensätzlich wirkenden Zerrbild aller echten Schauspielkunst absinkt. Ausnahmen hievon waren besonders die großen, zum Teil weltberühmt gewordenen Passionsspielorte, die, wie Erl, Höritz oder Ober-Ammergau, Tradition und Fortschritt glücklich zu vereinen wußten.

Das sind aber durchwegs Pflegestätten des religiösen Erbauungsspiels, wenngleich auch da nicht geleugnet werden kann, daß die Grundhaltung der Veranstaltung und der Spielorte selbst da und dort vom reinen „Ex-voto”-Gedanken in die Sphäre des fremdenverkehrswerbenden und devisenbringenden Unternehmens hinübergeglitten ist.

Einen Sonderfall bildet in dieser Hinsicht das Innviertler Dorf und die Landgemeinde Mettmach bei Ried. Hier wurde zum ersten Male im Vorjahre und heuer in erweitertem Ausmaße unter dem Titel „M e 11- macher Bauernfestspiele” eine Leistung gesetzt, die es rechtfertigt, daß man sie über die Grenzen Oberösterreichs hinaus würdigt. Zunächst bestand in dem etwa 500 Einwohner zählenden Pfarrdorf (die ganze Gemeinde hat etwa 2500 Seelen) eine Laienspielgruppe. Wie an vielen anderen Orten auch. Denn das Liebhabertheaterwesen nimmt in Oberösterreich allenthalben einen großen Aufschwung. Nicht überall einen künstlerisch erfreulichen, mindestens aber einen lokalpatriotisch begrüßenswerten. Diese Entwicklung war an vielen Orten eine Reaktion auf die allzu vielen auswärtigen Wandertruppen, deren Kunst nicht immer moralisch oder musisch einwandfrei war. Verschiedene Erfahrungen haben zu dem Streben geführt, die Unterhaltungsspiele für das Volk in eigener Regie zu betreiben und den materiellen Ertrag einheimischen guten Zwecken zufließen zu lassen. Der Wille ist in dieser Richtung immer gut — die Auswahl der Stücke und die Qualität der Wiedergabe aber lassen sich zumeist nur mit lokalen Maßstäben wohlwollend messen …

In Mettmach lagen die Voraussetzungen günstig. Hier trafen sich einheimische and außerordentlich begabte Spielkräfte mit einem Theaterfachmann, dem Berufsregisseur Rolf Pfeiffer. Der Mann aus Wien erkannte die Chancen. Unter seiner Leitung wagten sich die Mettmacher schon zu Pfingsten 1947 an eine großaufgezogene Freilichtaufführung des „Jedermann” Ln der Mundartfassung yon Löser. Es wurde aber ein „I n nr i e r 11 e r Jedermann”, denn der Mondseer Dialekt wandelte sich im Munde dieser bodenständigen Innyiertler Bauernkinder in die Sprache Stelzhamers. Diese konnte und brauchte ihnen der fremde Regisseur nicht yermitteln. Auch das Beiwerk wurde absolut bodenständig geformt. In reichgeschmückten Leiterwagen, mit prächtigen heimischen Rossen bespannt, fahren Jedermanns Gäste vor der Bühne auf; die Reigen werden zum heimischen Landler und das ganze Spiel wandelt sich vom spätmittelalterlichen Milieu Hofmannsthals in ein gegenwartsnahes Innviertlerisdi. Der fachkundige Aufbau wirksamer Bühnenbilder und schauprächtiger Szenen wurde zur notwendigen Ergänzung. So sahen und erlebten im Vorjahre 15.000 Besucher die „Jedermann”-Aufführungen von Mettmach.

Im heurigen Jahre — diese Bauernfestspiele wurden inzwischen ein Teil des Oberösterreichischen Heimatwerkes, das unter Dr. Commendas Leitung steht — spannte man den Rahmen noch weiter. Die Festspiele wurden auf eine ganze Woche ausgedehnt. Wieder wurden Preistanz und Konzerte in die Tage hineingewoben, und bei den abendlichen Aufführungen rückte der „Jedermann” an zweite Stelle. Man führte als Neuheit eine Freilichtfassung des Stelz- hamer-Spiels „Der Franzi” von Hermann Bahr auf. Auch dieser Versuch gelang prächtig. Die gleichen Spieler, alle berufstätige heimische Leute, die dreimal den „Jedermann” spielten, brachten auch die Bearbeitung des Bahrsdien Spiels heraus. Freilich ist Bahrs „Franzi” nicht für die Freilichtbühne geschrieben; die Regie aber paßte die Auswahl der Szenen den Gegebenheiten an. Die Darsteller machten mit ihren Leistungen erfahrene Fachleute staunen. Alle Sentimentalitäten, die im Manuskript Bahrs stecken mögen, wurden vom Innviertler Blut dieser bodenständigen Darsteller überwunden, und die Regie sorgte auch hier für das glänzende Szenenbild.

Mettmach läßt hoffen, daß es ein neuer oberösterreichischer, wenn nicht vielleicht ein gesamtösterreichischer Festspielort besonderer Art werden wird. Warum? — Weil hier Landschaft, Volkstum und Tradition auf glücklichste Weise mit den Forderungen und Möglichkeiten der Gegenwart vereinigt sind.

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