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Die Welt im Objektiv

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Die Galerie W ü r t h 1 e in der Weihburggasse hat in letzter Zeit eine Reihe vortrefflicher Ausstellungen gezeigt: Meister der Graphik Juan Gris, Edvard Munch, Ernst Ludwig Kirchner, dann die Kollektivschau Georg Merkel Oelbilder, Pastelle, Graphiken. Diese Reihe wird auch in den Sommermonaten nicht unterbrochen. Nunmehr wurde die Photoausstellung Okamoto eröffnet. Yoichi R. Okamoto ist dem Wiener Publikum längst nicht mehr unbekannt. Wer erinnert sich nicht an sein Bild der beiden Cebotari-Söhne — zweier verlassener Kinder, die sich an der Hand nehmen, klein vor einer ungeheuren Sandfläche, aus der Vogelperspektive gesehen? Dies Bild erschien seinerzeit im „Wiener Kurier", für den Okamoto als Pressephotograph arbeitete. 1945 kam er als persönlicher Photograph General Mark W. Clarks nach Oesterreich, war mehrere Jahre Leiter der USIS-Photosektion und kehrt jetzt nach Washington zurück. In Wien stellte er mehrmals, darunter auch im Art-Club aus. Ihm ist auch die anziehende Gestaltung des Schaufensters „Schöpferisches Oesterreich zu danken", für das er die originellen Porträtstudien lieferte.

Ob Photographie eine Kunstform ist, mag Streitfrage bleiben. Wohl aber kann der Photograph Künstler sein. Okamoto ist es. Nicht nur, daß er die Welt wirklich zu sehen versteht, und dabei Bilder entdeckt, an denen wir oft, flüchtige Passanten des Lebens, achtlos vorübergehen—er begegnet ihr auch, und diesem schöpferischen Augenblick der Begegnung verleiht er Dauer. Er ist lebendig geblieben auf allen seinen Bildern, ob sie uns nun die Gesichter alter Männer zeigen, die einem Pferderennen zusehen, ob sie uns in Flüchtlingslager führen, oder ob sie Momentaufnahmen vom Katholikentag sind — Kerzenprozession der Nonnen bei Nacht. Die Aufnahmen Okamotos sind — vielleicht mit Ausnahme des Bettlers bei Les Halles in Paris, der einen Mistwagen durchsucht — nicht so realistisch und unmittelbar dem Leben entrissen wie etwa die Bilder Bressons. Für Okamoto bedeutet photographieren auch komponieren; er kann warten, bis Licht und Schatten die interessanten Formen bilden, die er für sein Bild haben will, bis die Menschen, ohne von der Kamera Notiz zu nehmen, dort sind, wo er sie „braucht". Er sieht „flächig"; perspektivische Wirkungen sind selten. Dies wird insbesondere bei seinen Porträts deutlich, die mit Vorliebe die Künstler an ihrer Arbeitsstätte aufsuchen, wobei er nur selten in Photomontagen flüchtet. Es liegt ihm weniger daran, Bewegungsstudien zu geben; er zieht die ruhigeren Dinge vor: Fischmarkt, Geldwechsler und Strandpolizei in Venedig. Er versucht ihr Dasein, das heute und morgen dasselbe ist, anzudeuten.

Ein Lieblingsthema Okamotos sind auch Fensterscheiben, in denen sich Gestalten und Dinge spiegeln, und.Fensterscheiben, durch die man das Geschaute nur noch umrißartig erkennt. Er vermeidet dagegen „avantgardistische" Spielereien, wenn man darunter abstrakte Kompositionen und ähnliche Experimente verstehen will, zu denen der Aufnahme- und Entwicklungsprozeß eines Bildes oft verlockt. Er photographiert klar und scharf; er komponiert die Bilder, während er sie sieht, nicht später durch Photomontagen oder dergleichen, so daß seine Aufnahmen weitgehend das Auge ihres Künstlers verraten. Und das will gerade in der Photographie, wo sich die Standardwerke ganz anders wie etwa in der Malerei immer werden ähneln müssen, viel heißen. Es beweist, daß man die Welt durchaus nicht immer nur „objektiv" sehen muß, auch wenn man durch ein Objektiv sieht.

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