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Forschungsgemeinschaft für den Südosten und den Orient

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Von jeher hat den österreichischen Raum eine historisch und geographisch gegebene Blickrichtung nach dem Südosten charakterisiert, die sich auch in unserer Wissenschaft ausdrückt. Als„ die Wiener Universität 1365 als zweite in Mitteleuropa gegründet worden war, entfaltete sie sogleich rege Beziehungen zu Ungarn und der Slowakei; denn sie lag ja dem Südosten näher als die um siebzehn Jahre ältere Carolina in Prag. Der Vorstoß Asiens bis vor die Tore von Wien hat diesen Konnex zwar gestört, aber nicht völlig zum Abbruch gebracht, da die Gesandtschaften an den Hof der Pforte uns einmalige Bilder aus dem damaligen Leben jener Länder vermittelt haben. Erst mit dem Rückzug der Türkei und der Neubesiedlung der verlassenen Gebiete wurde der Südosten wieder nach Österreich ausgerichtet, und bekanntlich fällt im wesentlichen Österreich das große historische Verdienst zu, die Steppen zum Ackerboden umgebrochen und das Kulturland der westlichen Zivilisation zugeführt zu haben. Diese Pionierabeit wurde mit solchem Erfolg geleistet, daß heute noch an den Grenzen der alten Monarchie der Kulturhiatus klafft, so intensiv die Nachfolgestaaten auch an seiner Beseitigung arbeiteten.

Obwohl bereits um 1700 Müller im kaiserlichen Dienst das Donaudelta kartierte, von 1720 an ein kaiserlicher Postdienst von Konstantinopel aus in der Levante tätig war, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die mustergültige josephinische Kartenaufnahme schon Teile des Südostraumes einbezog und Drucke privater Wiener Anstalten, ein in großen Zügen richtfiges Bild vermittelten, blieben doch noch bis in das 19. Jahrhundert hinein die Länder „hinten, weit, in der Türkei“ groß- teils so unbekannt wie heute etwa Tibet. Erst die Aufnahme des 1839 gegründeten k. k. Militärgeographischen Instituts in Verbindung mit privater Initiative (Knotzbeck, Artaria) haben ein zuverlässiges Bild des Balkans vermittelt, und die zehn Jahre später erstehende k. k. Geologische Reichsanstalt führte durch bedeutende Vertreter die Erkundungen in ihrer Disziplin bis in den Orient. Einen weiteren Aufschwung erfuhr die wissenschaftliche Erforschung dieser Räume, als die seit 1857 wirkende Geographische Gesellschaft ihr ein besonderes Augenmerk zuwandte. Hammer- P u r g s t a 11 mähte Wien zum Hauptsitz der orientalischen Geshihtsforshung, und unvergänglich bleibt jenen Räumen auch der Name des Tirolers Fallmerayer verknüpft, niht nur seiner historishen Erkenntnisse, sondern auh seiner mustergültigen Prosa wegen. Als um die Mitte des 19. Jahrhunderts an den klassischen Gestaden von Trapezunt, dessen Geschichte als Kaiserreich uns Fallmerayer in dichterisch gesteigerter Wissenschaft erhellt hat, nah jahrhundertelanger Isolierung das ‘ erste Schiff aus dem Westen anlegte, zeigte es den österreihishen Doppeladler.

Es ist hier niht möglih, alle klangvollen Namen aufzuzählen, durch die von Österreich aus da Lidit der Wissenshaft nah dem Südosten und dem Orient getragen wurde. Fast alle Disziplinen, vornehmlih Slawistik und Archäologie, haben hier zusammengewirkt, um unserem Land eine führende Stellung im friedlichen internationalen Wettstreit zu erobern. Die Akademie der Wissenshaften vertraute die Forshung in diesen Räumen vershiedenen Kommissionen an — so einer für Ägypten, einer für Nord-, beziehungsweise Südarabien, einer für die historisch-archäologische und einer für die philologisch-ethnographische Durchforschung der Balkanhalbinseln. Es entstanden auh spezielle Forschungsinstitute wie das für den Osten und Orient, das Institut für Balkanforschung, das für Süd- ostreht, das Agrarinsticut für den Südosten, das Museum von Sarajewo oder auh Vereinigungen wie der Naturwissenschaftliche Orientverein (1895—1914), die Südost- europa-Geselilsdiaft und, als Veröffentlihung des Handelsministeriums, die österreichische Monatsschrift für den Orient. Wenn Wien, wie der führende rumänishe Kulturhistoriker J o r g a sagt, das Ideenzentrum des Südostens geworden war, so hatten an diesem Ruhm auch die Technische Hohshule und die Hochschule für Bodenkultur vornehmlih mit ihren forstwissenschaftlichen Untersuhungen teil. Freilih waren auch Graz, das mehrmals, wie Professor M a 13 jüngst nachwies, in einigen Disziplinen Wien überflügelt hat, und Leoben mit seinem Südostinstitut für Bergund Hüttenwesen an der führenden Stellung unserer Wissenshaft im Südosten und Orient stark beteiligt.

Nur ganz vereinzelte Länder unseres Erdballes dürfen gleich Österreich den höchsten humanistishen Ruhm beanspruchen, den Nachbarräumen gegenüber nur als der gebende Teil in politischer und auh kultureller Hinsicht aufgetreten zu sein. Wenn die von der Forshung gebrohene Bahn dann von wirtschaftlihen Verbindungen ausgenutzt wurde, so brachte das natürlich beiden Partnern Vorteil; doch diese Entwicklung ergibt sich ja so zwangsläufig, daß wir hier nicht weiter darauf einziugehen brauhen.

Im Verlauf all dieser Forshungsarbeit hat sih in österreih ein wissenschaftliches Material von einmaligem Wert angehäuft, dessen Schätze heute noch längst nicht alle gehoben sind. Die vershiedenen reihen Archive aus der Kaiserzeit, die Nationalbibliothek, die Universitätsbibliothek, die Bühereien der einzelnen Institute oder die Bibliothek des Mehitaristenkilosters, die größte armenische, bedeuten die besten Hilfsquellen für die Forshung, die auh jetzt noh der großen Tradition folgen will, obwohl ihr nun viele Wege versperrt sind.

So wurde es lebhaft begrüßt, als die Ku’lturabteilung einer großen Partei die österreihishe Akademie der Wissenschaften dazu anregte, in Fortführung der alten Überlieferung wenigstens das Balkaninstitut in Gestalt einer repräsentativen Forschungsstelle zu erneuern. Da jedoch der Fundus dieses Instituts verteile war und ein neuer unter den gegenwärtigen Verhältnissen sh wer zu chaffen ist, maente der zur Berichterstattung aufgeforderte Professor Dr. Hugo Hassinger der Akademie den Vorshlag, alle Institute, Seminare, Bibliotheken und Arhive sowie auh die einzelnen Wissenschaftler Österreichs, soweit sie nah dem Südosten und dem Orient ausgerihtet sind, in einer, übergreifenden Forschungsgemeinschaft zusammenzufassen und ihre Arbeit durh organisierte Einrichtungen, wie Publikationsvermittlung, Bibliographien, Materialbeschaffung und Benachrichtigung über die wirtschaftlichen und sonstigen wissenshaftlichen Vorgänge, in ihrem Forschungsraum zu fördern.

Als Professor Hassinger, von der Akademie beauftragt, diese Sammlung durchführte, fanden sich in Österreich mehr als hundert wissenschaftliche Kräfte, die in lebhaftem Eingehen auf seine Anregungen erneut bezeugten, daß in der Blickrichtung nach dem Südosten eine angeborene und durh ruhmvolle Tradition gepflegte Begabung der österreichischen Wissenshaft liegt. Trotzdem konnte bislang niht mehr als diese Zusammenfassung erreicht werden, da für jede weitere organisatorische oder gar produktive Arbeit die Mittel fehlen. Es ergab sich dabei sogar durh eine Rundfrage, daß Dutzende wissenschaftlicher Arbeiten über den Südosten und dem Orient, darunter so manche aus der Feder eines Gelehrten von Ruf, heute in den Shreibtishen verstauben, weil keinerlei Mittel zum Druck vorhanden sind und die private Initiative sih scheut, in der gegenwärtigen Zeit Spezialwerke zu verlegen.

Durhdrungen von der Verpflichtung durh eine große Vergangenheit, überzeugt von der Erkenntnis, daß ein Volk seinen Rang nur durch seine wissenshaftlihe Kultur behaupten kann, und gewiß in der Annahme, daß in der Blickrichtung nah dem Südosten und dem Orient zweifellos eine Spezialbegabung unserer Wissenshaft liegt, ist die Forschungsgemeinschaft hiemit erstmalig an die öffentlihkeit getreten im Bewußtsein, daß sie für eine gerechte österreihishe Sache einsteht, und in der Hoffnung, daß ihr Appell einen Widerhall finden wird.

Die ölberggruppe von, Ried. Ein unbekanntes Meisterwerk der Barockzeit. Kunstdruck mappe in Cellophan, 14 Textseiten, 18 Bildtafeln, Einführung von Bruno Thomas, Aufnahmen von Elisabeth Schwenk. Akademischer Gemein- schaftsverlag, Salzburg 1949.

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