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„Kirchenlied auf die heilige Chrislnachi"

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Es mag wundernehmen, daß eine Niederschrift unseres Weihnachtsliedes aus der Hand des Komponisten bis heute völlig unbeachtet geblieben und in der Literatur zum Liede nicht nachweisbar ist. Dies um so mehr, als sie bald an die 100 Jahre in einer öffentlich zugänglichen. Sammlung liegt und sogar in dem im Jahre 1870 erschienenen „Katalog über die in der Bibliothek des Städtischen Museums Carolino Augusteum vorhandenen Salisburgensia“, wenn auch anscheinend nicht als Autograph erkannt, verzeichnet wird. Die Ursache hiefür ist vielleicht darin zu suchen, daß die in den letzten Dezennien des vorigen Jahrhunderts einsetzende Liedforschung die Quellen in erster Linie bei den Nachkommen Grubers in Hallein sowie an den Entstehungsorten Oberndorf und Armsdorf bei Salzburg vermutete. Auch ist es durchaus möglich, daß die Verschiedenheit der Melodieführung im Takt 11, von der noch die Rede sein wird, unser Autograph bei flüchtiger Betrachtung als Kopie erscheinen ließ.

Bevor ich jedoch auf die Besprechung des interessanten Schriftstückes eingehe, möchte ich kurz die Geschichte des Liedes in Erinnerung bringen, wie sie der Komponist selber in Beantwortung einer Anfrage 'der königlichen Hofkapelle in Berlin in seiner „Authentischen Veranlassung zur Composition des Weihnachtsliedes .Stille Nacht"" vom 30. Dezember 1854 darstellt:

„Es war am 24. Dezember des Jahres 1818, als der damalige Hilfspriester Herr Joseph Mohr bei der neuerrichteten, Pfarr St, Nicola in Oberndorf dem Organietendienst vertretenden Franz Grober (damals zugleich auch Schullehrer in Armsdorf) ein Gedicht überreichte mit dem Ansuchen, eine hierauf passende Melodie für zwei Solo-Stimmen samt Chor und für eine Guitarre-Begleitung schreiben zu wollen.

Letztgenannter überbrachte am nämlichen Abend noch diesem Musikkundigen Geistlichen, gemäß Verlangen, 60 wie selbe in Abschrift dem Original ganz gleich beiliegt, .seine einfache Composition, welche sogleich in der heiligen Nacht mit allem Beifall produziert wurde .. .

Diesen einfachen Worten, die die schlichte, lautefe Art des am 25. November 1787 in Hochburg, Oberösterreich, geborenen Webersohnes und späteren Lehrers und Halleiner Stadtpfarrchor- regenten 60 treffend kennzeichnen, seien einige Ergänzungen beigefügt. Die kirchenmusikalisch ungewöhnliche Gitarrebegleitung verdankt das Lied einem reinen Zufall: das alte, von Grober selbst einige Jahre später in einem Schreiben an das Salzburger Kreisamt um Gewährung einer Beihilfe zum Bau einer neuen Orgel als „durchaus wurmstichig und unbrauchbar“ bezeichnet Positiv der Nikolauskirche von Österreichisch-Laufen — so wurde der Vorort Oberndorf nach der im Jahre 1816 durchgeführten Trennung von der Stadt Laufen gewöhnlich genannt — war gerade zu Weihnachten nicht spielbar. Aber auch für die erste Verbreitung des Liedes sollte das unzulängliche Instrument den Anlaß geben.

Im Jahre 1825 errichtete der damals bekannte Orgelbauer Karl Mauracher aus Fügen im Zillertal in Oberndorf ein neues Orgelwerk und, obgleich 1828 auch der Maler und Vergolder Thomas Wexel- berger aus Zell am Ziller in Oberndorf weilte, um die neuen Seitenaltäre der Kirche zu fassen, dürfte Mauracher es gewesen sein, der das Lied ins Zillertal brachte. Von dort aus verbreiteten es die Geschwister der Handschuhmacherfamilie Strasser auf ihren jährlichen Geschäftsreisen in Deutschland und sangen es 1831 erstmals in Leipzig, von wo es seinen Weg in die Welt antrat.

Nun zu unserem Autograph. Im Verlauf der Katalogisierung der bisher nur unzulänglich geordneten Musikaliensammlung des Museums fand ich unter den handschriftlichen Notenbeständen auch eine Niederschrift des Liedes „Stille Nacht", die sich nach eingehender Prüfung als Handschrift Grubers erwies. Das gut erhaltene Queroktavblatt (328 X 243 beziehungsweise 251 Millimeter, oberer Rand schief geschnitten) zeigt, in Tinte geschrieben, das Lied in D-dur, /s-Takt, für Sopran und Alt mit Orgelbegleitung unter Beigabe des vollständigen, aus sechs Strophen bestehenden Textes, ist nach innen gefaltet und trägt an der sonst leeren Außenseite den Titel:

Kirchenlied auf die heilige Christnacht, für

Sopran und Alt mit sfilier Orgelbegleitung.

Text von Herrn Jos. Mohr Coadjutor. comp, von Franz Grober Schullehrer in Annsdorf und Organist in St. Nicola oeeterr. Laufen.

1818.

Die Bezeichnung „Kirchenlied" beziehungsweise „heilige Christnacht" ist in blauer beziehungsweise roter Tinte geschrieben. Im übrigen trägt das Blatt, außer dem Eigentumsstempel des Museums und der neuen Signatur Hs 679, keinerlei Vermerk. Der Schriftcharakter zeigt den typischen Duktus Grubers aus seiner Halleiner Chorregentenzeit (1835- bis 1863), wie man ihn an einer Unzahl nachgelassener Kompositionen im Museum der Stadt Hallein findet.

Die Herkunft des Autographs ließ sich, unschwer feststellen und bedeutet mit einen Beweis für seine Echtheit. Laut. Jahresbericht des Salzburger Museums für das Jahr 1863 wurde es vom Sohne des Komponisten, Franz Grober (1826 bis 1871), damals Lehrer an der Hauptschule zu Hallein, dem Museum geschenkt. Ob es aus dessen Besitz stammte oder tin Auftrag seines Vaters,, der am 7. Juni 1863 starb, dem Museum zugedacht wurde, läßt sieb nicht mehr klarstellen. Doch geht aus Reihenfolge und Gesamtzahl der im Jahresbericht angeführten Erwerbungen hervor, daß die Schenkung in den Monaten April bis Juli erfolgt sein muß.

Es wäre verlockend, die Handschrift möglichst früh anzusetzen oder sie sogar für die erste Niederschrift zu halten, die ohne Zweifel an Stelle der zufälligen Gitarre- bereits Orgelbegleitung aufwies und, wie auch die Urschrift und die in der „Authentischen Veranlassung" erwähnte Originalabschrift, leider verschollen ist. Der Ausdruck „Kirchenlied auf die heilige Christnacht für das spätere „Weihnachtslied“, die Bezeichnung „österreichiSch- Laufen" für „Oberndorf" und die ganze Art der Titelgebung würden eine frühe Datierung ebenso nahelegen wie die einfache, noch nicht ganz ausgereifte Komposition gegenüber den beiden, jetzt im Städtischen Museum zu Hallein verwahrten Niederschriften beziehungsweise Bearbeitungen des Liedes durch den Komponisten. (Davon die eine vom 12. Dezember 1836 in Es-dur, ‘/s-Takt, zusammen mit einem andern Weihnachtslied unter dem Titel „Zwei geistliche Lieder auf die heilige Christnacht. In Musik gesetzt zu Vier Singstimmen, zwei Violinen, Viola, Flauto, Fagott, zwei Klarinetten, zwei Waldhörnern, Viojon und Orgel", die andere von zirka 1840, meist irrtümlich um 1833 datiert, die D-dur,, /8-Takt, unter dem Titel „Weihnachtslied", für vier Singstimmen, zwei Violinen, Violon und Cello, zwei Hörner und Orgel, mit Widmung an Johann Georg Pinzgėr, Chorregent am Lyzeum zu Salzburg 1838 bis 1862.) Allein der Schriftcharakter, der Gebrauch von i anstatt des früher bei Grober üblichen y (bey, befreyt) und schließlich das Papier weisen eindeutig auf die Mitte des Jahrhunderts.

Dadurch kann aber der Wert unseres Blattes nicht wesentlich geschmälert werden. Wie schon eingangs an gedeutet, weist die Melodie im Vergleich zu der als originalgetreu geltenden Fassung, wie wie sie aus den beiden Halleiner Niederschritten kennen, eine Verschiedenheit auf: im Takt 11, nicht aber bei der Wiederholung des Schlußverses im Takt 15, fehlt die Note h nach dem fis. Diese in der Literatur zum Liede allgemein als Vergröberung und dem Komponisten nicht zumutbar bezeichnete Singweise mag fürs erste tatsächlich merkwürdig berühren. Doch sei es dahingestellt, ob auch in unserem Fall, wo die Abweichung nur im Takt 11 und nicht bei der Wiederholung aufscheint, von einer Vergröberung gesprochen werden kann. Daß der Komponist nach Abfassung der Halleiner Niederschriften die Singweise dahingehend abgeändert hätte, ist nicht anzunehmen. Offenbar liegt hier, wenn auch in einer Abschrift aus der Hand Grubers von zirka 1850, eben doch die Fassung der verschollenen, ersten Niederschrift vor.

Der Gesamteindrack von unserem Autograph, das derzeit mit den beiden Halleiner Niederschriften in der Weihnachtsausstellung des Salzburger Museums gezeigt wird und mit dieser Veröffentlichung allen Freunden des Liedes erstmals zur Kenntnis gebracht sei, kann diese Annahme nur bestätigen.

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