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Nicht immer das Beste gekauft

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Die New Yorker Philharmoniker haben Ende Mai ihre 125. Spielzeit beendet. Die Uraufführung von elf Auftragswerken fand statt; sieben andere bestellte Kompositionen, die nicht termingerecht fertiggestellt wurden, sollen in der kommenden Saison das Programm ergänzen. Man kann es heute dahingestellt sein lassen, ob die achtzehn Komponisten, an die Bestellungen ergangen waren, die schöpferische Elite unserer Zeit repräsentieren. Das stärkste Argument gegen die Präsentierung von Neuheiten en masse ist das Fehlen einer allen Arbeiten zugrundeliegenden Kemidee. Eine solche Idee hätte nicht thematisch oder programmatisch sein müssen oder sich auf einen bestimmten Stil versteifen sollen. Gerade durch eine weitverzweigte Auflockerung, die so viele Stilarten und Formen wie nur möglich umfaßt hätte, wäre ein wechselvolles Bild über die künstlerischen Bestrebungen der Moderne entstanden. Der Aufführungsdauer der Werke eine gewisse Grenze zu setzen, hätte sich angesichts der stark variierenden Zeiten gleichfalls vorteilhaft erwiesen. Wie die Dinge liegen, hat man, ein Gesamtkonzept negierend, alles dem guten Willen und vieles dem reinen Zufall überlassen.

Seiji Ozawa war der Dirigent einer von dem 37jährigen Japaner Toru Takemitsu gelieferten Arbeit, die ihres eigenartigen Klangapparates wegen eingehende Würdigung beansprucht. Der von Debussy, Varese und Anton Webern beeinflußte Komponist gab diesem vignet- tenhaft gezeichneten Stück den englischen Titel „November Steps“, der mehrere deutsche Deutungen zuläßt: November-Schritte, -Fuß-Stapfen, -Stufen, aber auch -Intervalle. Die Partitur ist mit einem Diagramm versehen, auf dem die genau von Takemitsu vorgeschriebene Aufstellung des Orchesters eingezeichnet ist: zur Rechten des Dirigenten die Ersten Geigen, Bratschen, Celli, Kontrabässe, Holz- und Blechbläser, das Schlagzeug; zur Linken die korrespondierende Anzahl der Zweiten Streicher; in der Mitte zwei Harfen, und vor diesem die solistisch und mit dem Orchester verwendeten japanischen Instrumente Biwa und Sakuhaci. Das eine ist ein aus China stammendes Lauteninstrument mit einem birnenförmigen Holzkorpus und vier Saiten, welche (wie auch der quer über die Decke laufende Lackstreifen) mit dem aus Hartholz verfertigten Batsi in vollen Akkorden geschlagen werden. Das andere Instrument ist eine etwa dreiviertel Meter große Langflöte ohne Schnabel, die, in vertikaler Position gehalten, den Eindruck eines stehenden Schallrohres macht.

Rußland war durch den 35jährigen Sekretär des sowjetischen Komponistenverbandes, Rodion Schtsche- drin, vertreten, dessen zwölfminütiges und stark mit Schlagzeug besetztes Konzert für Orchester den Namen „Das Geläute“ trägt. Rhythmisch und klanglich spiegelt es ohne Unterlaß das Schwingen und Tönen von Glocken aller Art.

Ein von Leopold Stokowski aus der Taufe gehobenes Auftragwerk entstammt der Feder Virgil Thom- sons, der derzeit an einer Byron- Oper arbeitet und daher auf die Idee verfiel, zwei Episoden aus Lord Byrons „Don Juan“ als Vorwurf für einen Orchestersketch (mit Singstimme) zu verwenden. Es handelt sich um den im II. Gesang des epischen Fragments dargestellten Untergang des Schiffes auf der Fahrt von Cadiz nach Livorno und um die zu einer jungen Schönheit erglühende Liebe des Frauenbetö- rers, der Italien in einem Rettungsboot erreicht hat. „Schiffbruch und Liebesszene“, wie die nicht näher definierte Vertonung heißt, entbehrt aller Merkmale des locker geformten Byronschen Stils. Ruhig fließende Triolen kennzeichnen die Meeresstimmung, aber nur schwaches Knistern im Gebälk des Schiffes stellt das Echo eines kurzen Gewitters von filmmusikalischer Wirkung dar.

Howard Hanson lieferte mit der von ihm dirigierten 6. Symphonie den Beweis, daß man von ihm keine Abkehr vom neuromantischen Stil seiner früheren Arbeiten erwarten konnte; der klare thematische Bau der Neuheit ließ immerhin den Fort-

bestand der symphonischen Form erkennen.

Den Reigen der Uraufführungen beschloß William Steinberg mit der einsätzigen 8. Symphonie des 72jährigen Roger Sessions. Wie es bereits nach der Erstdarbietung der von Roy Harris kompönierten und’ von ihm selber geleiteten 11. Symphonie der Fall gewesen war, wußten die Zuhörer herzlich wenig über die früheren symphonischen Arbeiten.

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