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Offiziersliebe

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Bernd Alois Zimmermanns Oper „Soldaten“, nach dem gleichnamigen Schauspiel von Jakob Michael Reinhold Lenz, übrigens in Köln uraufgeführt, steht nun im Repertoire der Bayerischen Staatsoper München. Den „Soldaten“ liegt eine einfache Fabel zugrunde: Das junge, schöne Mädchen Marie aus bürgerlicher Familie, verlobt mit einem redlichen Mann ihres Standes, fällt auf einen Offizier herein, der ihre Liebe mißbraucht. Marie landet auf der Straße, ihr Vater, der aus gesellschaftlichem Ehrgeiz auch auf den Leim des Offiziers gekrochen ist (zu Marie: „Kannst noch einmal gnädige Frau werden!“), wird wahnsinnig, eine Welt, ja eben die Welt bricht für sie zusammen. Dieser Zusammenbruch unter dem Marschtritt zeitloser Divisionen, der optisch und elektro-akustisch bis an die Grenzen des gerade noch Erträglichen gesteigert wird und jedes Einzelschicksal unter sich zermalmt, Ist das chaotische Finale der eigentlich schlichten Handlung, die ihr Gewicht erst aus dem Symbolgehalt bezieht: Die Vergewaltigung des Menschen durch den Menschen!

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Bernd Alois Zimmermanns Oper „Soldaten“, nach dem gleichnamigen Schauspiel von Jakob Michael Reinhold Lenz, übrigens in Köln uraufgeführt, steht nun im Repertoire der Bayerischen Staatsoper München. Den „Soldaten“ liegt eine einfache Fabel zugrunde: Das junge, schöne Mädchen Marie aus bürgerlicher Familie, verlobt mit einem redlichen Mann ihres Standes, fällt auf einen Offizier herein, der ihre Liebe mißbraucht. Marie landet auf der Straße, ihr Vater, der aus gesellschaftlichem Ehrgeiz auch auf den Leim des Offiziers gekrochen ist (zu Marie: „Kannst noch einmal gnädige Frau werden!“), wird wahnsinnig, eine Welt, ja eben die Welt bricht für sie zusammen. Dieser Zusammenbruch unter dem Marschtritt zeitloser Divisionen, der optisch und elektro-akustisch bis an die Grenzen des gerade noch Erträglichen gesteigert wird und jedes Einzelschicksal unter sich zermalmt, Ist das chaotische Finale der eigentlich schlichten Handlung, die ihr Gewicht erst aus dem Symbolgehalt bezieht: Die Vergewaltigung des Menschen durch den Menschen!

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In dem Sturm- und Drang-Dichter Lenz fand Zimmermann eine zukunftsweisende Potenz, die seinen Vorstellungen vom pluralistischen Theater eine restlose Entsprechung lieferte. Die dramaturgische Forderung, sich von der „jämmerlich berühmten Bulle der drei Einheiten“ (Ort, Zeit und Handlung) loszusagen, die Lenz in seinen kühnen, theoretischen Schriften aufstellte, war für Zimmermann wie das Signal (er selbst nennt es eine „Findung“) für seine Vision von einer konsequenten Simultaneität. Viel stärker als der zeit- und gesellschaftskritische Akzent des Stoffes fesselte Zimmermann die „Einheit der inneren Handlung“, die Zwangssituation, in die alle Personen dieser „Komödie“ (hier selbstverständlich nicht als Lustspiel, sondern als ein Stück mit austauschbaren Figuren zu verstehen) hineingezogen werden, wie in eine Spirale. Dieser dramaturgischen Konzeption ist die Musik Zimmermanns adäquat, sie ist teilweise über-einandergeschichtet, entwickelt aus der Keimzelle einer Allintervall-MSxk und wirkt wie ein Spektrum. Die Partitur ist dadurch voller Härte und Reibung, aber man spürt die Notwendigkeit, die nur eine schöpferische Kraft intuitiv vermitteln kann, und wenn historische Zitate, etwa aus der Gregorianik, oder aus Bach-Chorälen, heraufziehen, hat das etwas Mystisches, ja Gespenstisches und durchaus nichts von dem konstruktiven Kalkül, das Zimmermann in seinen Gesprächen so hochspielt, um das Werk zu neutralisieren. Am Ende nimmt dann die Summierung von Elektronik, Film und instrumentaler Musik die Form des Gigantischen an: Die Spirale wird zur Apokalypse! An dieser Stelle soll sogleich zum Ausdruck kommen, daß es dem Dirigenten Michael Gielen gelungen ist, eine — vom Komponisten bestätigte — authentische Wiedergabe zu erzielen. Das Bayerische Staatsorchester war den unigeheuren Schwierigkeiten gewachsen (dreißig Orchesterproben!) und demonstrierte eindeutig, daß auch innerhalb eines Repertoirebetriebs eine so komplexe Aufgabe durchaus zu lösen ist. . ,

Der Szene hatten sich drei bedeutende Prager Künstler bemächtigt: Der Regisseur Vaclav Kaslik, der eine sinnvolle Zusammenschau aller theatralischen Elemente erreichte und in den einzelnen Aktionen der handelnden Figuren eine erstaunliche Expressivität erarbeiten konnte; dann Josef Svoboda, der Bühnenbildner, der die übereinandergeschach-telten Collagen in die feinsten Farb-und Lichtabstufungen tauchte, sowie der Kostümbildner Jan Skalicki, der sich verständlicherweise besonders auf die freizügige Bekleidung der Tänzerinnen konzentrierte. Zu diesen drei Szenikern gesellte sich noch John Cranko, der Ballettdirektor der Münchner Oper, der seine Choreographie ganz aus den Bewegungseffekten der Handlung heraus entwickelte. Auch muß der von Wolfgang Baumgart einstudierte Chor der Bayerischen Staatsoper genannt sein, der nicht nur gesanglich präsent reagierte“ sondern '“auch' rhythmisch'' agieren mußte und diese Aufgabe exemplarisch erfüllte. Bleiben die Solisten, die einzeln wie in ihrer Summe in Superlativen zu würdigen sind. Catherine Gayer ist als verträumtes Mädchen Marie ebenso überzeugend wie in den Stadien ihres moralisch-sittlichen Abstiegs, Kieth Engen ist ein beklemmend-eindrucksvoller Vater Wesener, eindringlich auch in Spiel und Gesang die Schwester Charlotte von Gudrun Wewezow und Weseners alte Mutter Ruza Baldani-Pospis. Dem Stolzius von Hans Wilbrink gelingt der Übergang von der Hoffnung zur Verzweiflung faszinierend, auch ist Lilian Benningsen In der Rolle seiner Mutter von großer Intensität. Der Offizier Desportes ist Anton de Ridder, ein von Hochmut strotzender, uniformierter Geck.

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