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Prolog zur Operneröffnung

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Bie Jahre von 1945 bis 1955 werden in die Geschichte Oesterreichs eingehen als ein Dezennium des Glaubens. Des Glaubens an dieses Land, an seine Menschen, an seine Zukunft und an die ewigen Ideen, die es leiten.

Eine von ihnen heißt Musik, eine andere Theater. Wie ein roter Faden ziehen diese beiden Worte durch das jahrhundertealte Geschehen dieses Landes. Während sich die Geister Europas in blutigen Glaubenskämpfen befehdeten, während sich auf dem Weißen Berge zu Prag Reformation und Gegenreformation gerüstet gegenüberstanden, wurde in den Schulen Oesterreichs — in Hunderten von Schulen — als Lehrgegenstand Theater gespielt.

Als Europa nach 200j ähriger Türkennot wieder befreit aufatmen konnte — die Festung Wien hatte als letztes Bollwerk vor dem Rhein der Belagerung standgehalten — und nun, dem Pendel des Geschickes folgend, die kaiserlichen Heere siegreich gegen den Osten zogen, baute Wien und baute Oesterreich nicht — einem Revanchegedanken erliegend — ein Imperium der Waffen bis Konstantinopel auf, sondern verwandelte die Trostlosigkeit der Zerstörung durch die Elemente des Barocks und der Musik in ein Lebensgefühl der Freude. Das österreichische Barock ist alles andere denn bloß ein Kunststil. Es ist das Geheimnis einer Sternstunde der Menschheit, geboren aus der Lieberwindung von Todesnot, Seelenangst und der Gefahr einer Uebermachtung durch das Fremde.

Nun tut sich dieses Land groß und weit auf für Künstler aus allen Ländern, zur Verwandlung der Welt in eine riesige, ungeheure Schau-Bühne, in ein einziges Festtheater. Zu den Palästen und Schlössern, den Domen und Klöstern gesellen sich Komposition und Schauspiel, vom dirigierenden Kaiser hundertfach abgestuft bis zum Kasperl des Volkes.

Als die napoleonische Welt zusammenbricht und im Wiener Kongreß ein neues europäisches Gleichgewicht verhandelt wird, quittiert der österreichische Mensch die eineinhalb Dezennien Krieg — Marschieren, Grenadiere, Rekrutierungen — mit der bewußten Bescheidung in das glückhafte, menschlich eng umgrenzte Idyll des Biedermeiers. Franz Schubert, und mit ihm eine neue Generation von Komponisten, schenken der Welt das Lied. Das gleiche Jahrhundert sieht die Wiener Ringstraße erstehen, Prunk und Paradeallee. Das Burgtheater und die Hofoper sind ihre zentralen Punkte.

1918. da die Monarchie zusammenbricht, bleibt die Erste Republik den großen Ideen dieses Landes treu. Da nicht mehr aus der kaiserlichen Schatulle, werden nun die Staatstheater vom Staate selbst in gleich großzügigem Mäzenatentum erhalten.

1945 brennt Wien. Es brennt die Oper, es brennt das Burgtheater. Aber bereits am 1. Mai spielt das unsterbliche Ensemble inmitten von Hunger und bitterer Not in einem fremden Haus „Figaros Hochzeit“. Die gleichen Hände, die den Kriegsschutt von den unpassierbaren Straßen räumten, machten die Bühnen wieder spielfertig zum Ruf „Vorhang auf!“

Nun, zehn Jahre später, hat sich die Baulücke der Ringstraße geschlossen. Stolz und strahlend ist das Burgtheater wieder eröffnet worden. Voll Erwartung blickt ein Weltauditorium auf den 5. November, da in der Staatsoper „Fidelio“ wieder erklingen wird.

Halten wir einen Augenblick inne, um zu erkennen, daß diese Manifestation zur großen Kulturtradition nur der äußere Ausdruck für ein Bekenntnis zum europäischen Geiste ist. Es wird sehr viel von Friede und Verständigung gesprochen. Wo Menschen des Theaters zusammentreten — Theater im großen künstlerischen Bogen bis zur Musik verstanden —, dort vollzieht sich die Verständigung über alle künstlerischen Grenzen hinweg durch ein dijiktes Erleben und Begreifen. Wenn wir formulieren: Treue zum Wort — so meinen wir damit Achtung vor dem Dichter und vor dem, was er uns auszusagen hat. Wenn wir sagen: Treue zur Partitur — so verneigen wir uns vor den Komponisten, die der Welt gehören und vor jenen zeitgenössischen Komponisten, deren Werke aufzuführen uns allen ein besonderes Anliegen ist. Wir sehen im Spiegel des Theaters die Konfrontation mit den Problemen unserer Zeit, und Wir wollen uns im Konzertsaal und in der Oper durch die Sprache der Musik erschüttern, reinigen und erheben lassen.

Festlicher Zyklus von acht Premieren. Erregendes, weitgespanntes Melos von Mozart zu Alban Berg. Aus dem Dickicht monatelanger Proben blühen und glühen die Werke aus dem Rampenquadrat in das weite, dunkle Haus, wo die Tausenden nicht zu hören sind, mehr zu ahnen im Knistern von Seide, im Rauschen des Samtes. In den Logen, in den Rängen, Freunde aus allen Teilen einer unteilbaren Welt. Solche, die lange nicht dagewesen sind. Alte Sänger des Ensembles, Ehrenmitglieder, Komponisten, Dirigenten, alle einem gleichen Rufe folgend. Die in der Kulisse wie jene auf der Galerie. Ob sie die strahlende Ringstraße in den lautlosen Limousinen herangefahren kamen oder über die Rolltreppe der Opernkreuzung zu ihren Rängen stiegen. Wohin immer nach diesen Novemberwochen das Schicksal sie zerstreuen mag, die Wiener Oper hat sie, gleich, wie der Ruf einer alten, versunkenen Glocke, einmal zusammengeführt, und diesen Ruf werden sie nicht mehr vergessen. Sie werden ihn, wo immer man Opern hört, von neuem zu vernehmen glauben, und in ihrer Erinnerung wird ein Ton mitschwingen, der ein Ton des Herzens ist.

So wie Oesterreichs Alpen im großen Zug hinüberreichen bis in die Dauphine, wie der Wienerwald über die Terrasse des Burgenlandes hinabsteigt in die weiten Ebenen des Ostens, wie die Donau ihre mächtigen Wasser hinunterwälzt zum Schwarzen Meer, während die Gletscherbäche, Alpenbachstraßen folgend, zum warmen Süden ziehen, so also, wie Oesterreich selbst ein Land ohne Grenzen ist — vielleicht dadurch auch zu besonderer Eigenart geprägt—, so kennt man hier auch keine Grenzen, wo solche niemals aufgerichtet werden dürfen: im Geiste und in der Kunst.

Deshalb baut Oesterreich seine Theater nicht bloß für sich, sondern allen Europäern zur Freude und weit über die Spannungsgrenzen zwischen Ost und West für eine Unteilbare Welt, die die Freiheit Oesterreichs anerkennt, eine Freiheit des Geistes, die sich nirgends schöner widerspiegelt als in Oper, Theater und Festspiel.

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