"No immer Wiener“

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Walter Grünwald und Walter Arlen mussten Österreich wegen der Nazis verlassen, seit Jahren kommen sie immer wieder in ihre alte Heimat zurück. Hört man ihnen zu, wird ein Stück Wiener Geschichte wieder lebendig.

I red no immer wie a Wiener, bin no immer a Wiener, so wie i immer war.“ Hört man Walter Grünwald zu, kann man dem nur zustimmen - schon gar, als der 92-Jährige das Fiakerlied anstimmt. "Mei’ Stolz is, i’ bin halt an echt’s Weanakind, A Fiaker, wie man net alle Tag’ find’t“, singt er, begleitet von einem Musiker mit Kontragitarre.

Im Jahr 1938 sah man das anders und Grünwald und die anderen Wienerinnen und Wiener, die sich beim Heurigen in Wien Grinzing eingefunden haben, wurden vertrieben. Sie sind allesamt auf Einladung des Jewish Welcome Service nach Wien gekommen. Walter Grünwald ist der älteste von ihnen. Ihm ist es 1938 gelungen, das Land in Richtung Palästina zu verlassen.

Inzwischen lebt Grünwald in den USA - da, wo er eigentlich immer hinwollte, wenn auch unter anderen Umständen. Er hatte schon 1937 ein Visum, aber nicht etwa, weil er die Gefahr vorhersah, die ihm und seiner Familie drohte - das Land hatte es ihm schon länger angetan: "Schon als Kind habe ich Indianergeschichten gelesen, zum Beispiel von Karl May“, erzählt er. Seine Kindheit verbrachte Grünwald in Wien Alsergrund. Seine Eltern hatten ein Kaffeehaus in der Berggasse 35, das Café Metropol. Dort lernte Grünwald, der später selbst Psychologie an einem College in Denver unterrichten sollte, Sigmund Freud kennen. "Er war immer sehr nett zu mir“, sagt er. Später verkauften die Eltern das Café und die Familie zog in die Hollandgasse um.

Von der Rax in die Rockies

Doch erst zehn Jahre, nachdem er das Visum für die USA bekam, gelangte er dorthin: Eigentlich wollte er zur Air Force. Da er aber keinen jüdischen Pass hatte, sondern einen mit Hakenkreuz, war er den Amerikanern suspekt. Also arbeitete er als Techniker bei der britischen Armee. 1947 erhielt er dann das heiß ersehnte Visum für die USA. Dort arbeitete er zunächst auch als Techniker bei der Air Force, bis er die Pilotenprüfung machen konnte. "Ich habe 12.000 Stunden viermotorige Flieger geflogen“, erzählt er nicht ohne Stolz.

Außerdem machte er einen PhD in Psychologie, was ihm später ein Angebot des Metropolitan State College of Denver einbrachte. Zeitgleich hatte er ein Angebot von United Airlines. Also stand Gründwald vor der Wahl: "Dann habe ich nachgedacht: Ich bin leidenschaftlicher Schifahrer - das ist das Leben!“ Und so verschlug es Grünwald, der früher auf der Rax, am Semmering oder in Mönichkirchen die Berge hinunter fuhr, in die Rocky Mountains. Schifahren bliebt eine lebenslange Leidenschaft, die er erst dieses Jahr aufgab: "Zum ersten Mal. Der Doktor hat gemeint, dass das nicht gut ist, wenn ich mir einen Knochen breche, das heilt nicht mehr so gut.“

Geblieben ist seine Liebe zu Wien, aber auch die Trauer über das, was er verloren hat. Seine Eltern wurden im KZ umgebracht. "Schade, schade, schade! Das waren so anständige, liebe Leute.“ Und doch kommt er seit Jahren immer wieder nach Wien zurück.

Auch Walter Arlen ist Jahrgang 1920. Und auch er konnte Österreich im Jahr 1939 noch verlassen. Genau an dem Tag, als sein Visum abgelaufen ist, hatte er bei Tarvisio die Grenze überquert. Seine Familie besaß das viertgrößte Warenhaus in Wien, das Warenhaus Dichter an der Ecke Brunnengasse/Grundsteingasse im 16. Wiener Gemeindebezirk. "Unsere Anzeige hieß ‚Das größte Warenhaus in den äußeren Bezirken’“, erzählt der 92-Jährige stolz. Wenn Arlen heute vor dem umgebauten Haus erzählt, wie es früher aussah, erweckt er Bilder zum Leben: "Wir hatten 48 Auslagen, stellen Sie sich das vor! Da links saß meine Großmutter immer an der Kassa“, sagt er und deutet auf den Eingang, der wie im alten Haus zu einem Geschäft führt. Heute ist dort ein Supermarkt.

"Eine eiserne Wendeltreppe ist ins Untergeschoß hinuntergegangen, wo Geschirr verkauft wurde. Also Hefn, Reindln und solche Sachen.“ Es habe fast alles gegeben, erzählt er: "Parfümerie, Lederwaren, Schulartikel, Geschirr, Damenkleider, Herrenkleider, Schuhe, Hemden, Meterware. Das einzige, was nicht verkauft wurde, ist Bettwäsche komischerweise.“ Dafür gab es seit den 1930er Jahren eine Schiabteilung: "Man konnte Schier kaufen, auch Wachse, Stöcke. Das war die letzte neue Abteilung.“

Das Warenhaus sei geradezu ein Wahrzeichen von Ottakring geworden, erzählt er. ",Treffen wir uns beim Dichter‘, hat man damals gesagt.“ Für das Kind war das Warenhaus ein Paradies - und zugleich wurde dort sein Talent entdeckt. Denn schon als Kind war Arlen sehr musikalisch. "Der Großvater hat eine Grammofon-Anlage aufstellen lassen. Eine Angestellte hat eine Platte nach der anderen aufgelegt. Ich habe diese Musik gehört, sie mir gemerkt und gesungen. Die Angestellten haben das gemerkt und gesagt: "Walter, sing was!“ Dann haben sie mich auf die Budl gestellt und ich habe gesungen.“ Der Großvater brachte ihn zum Schubert-Experten Otto Erich Deutsch, der ihn testete. Das Ergebnis: "Er hat ein absolutes Gehör.“

Musik als Lebensnotwenigkeit

Doch dann marschierte Adolf Hitler in Österreich ein. Noch in der Nacht auf den 13. März 1938 wurde Arlens Vater verhaftet und in die Karajangasse in der Brigittenau gebracht - in eine zum Gefängnis umfunktionierte Schule. Dem damals 17-Jährigen gelang es, seinen Vater freizukaufen: "Fragen Sie mich nicht, wie ich die 1.000 Reichsmark zusammenbekommen habe.“ Am selben Tag erschien ein Bankier beim Warenhaus: "Ich weiß gar nicht, ob ich ihm die Ehre geben soll, seinen Namen zu nennen. Mir wäre lieber, dass der Name nicht mehr existiert“, sagt Arlen. Der Bankier übernahm alle Bankbücher und die Familie musste um Geld betteln gehen.

Der Vater war nicht lange auf freiem Fuß, wenig später wurde er wieder verhaftet und nach Dachau deportiert, später nach Buchenwald. Erneut gelang es Arlen, ihn freizubekommen. Für die Familie war klar, dass sie das Land verlassen mussten. Zunächst verließ Arlen selbst das Land in Richtung USA, später kamen die Eltern und die Schwester nach. Doch seine Mutter sollte sich von all dem nicht mehr erholen, sie beging 1960 Selbstmord. Arlen selbst verfiel in eine schwere Depression - bis ihm ein Arzt attestierte, dass Musik für ihn eine Lebensnotwendigkeit ist. Arlen studierte Musikwissenschaft und arbeitete für den Komponisten Roy Harris, mit dem er durch die Lande fuhr. Später schrieb er für die Los Angeles Times Musikkritiken.

Auch Arlen kam über die Jahre hinweg immer wieder nach Wien, vor einigen Jahren hat ihn die Stadt Wien entdeckt. Sein jüngster Wien-Aufenthalt hatte den Anlass, dass eine CD mit von ihm komponierter Musik aufgenommen wurde. Titel: "Die letzte Blaue“, ein Lied, das Arlen als Kind im Warenhaus Dichter gerne gesungen hatte. Es war eine Anspielung auf die letzte Straßenbahn der Nacht, die hinten ein blaues Licht hatte. Auch Arlen ist eben ein echter Wiener.

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