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Glücksrittern und Sowjets im Weg

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Vor 35 Jahren erregte der „Fall Ottiiiinger" die Öffentlichkeit - nun präsentiert ein ungewöhnliches Buch diese ungewöhnliche Frau, die ihr Glaube über Kerker und Lager hin trug.

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Vor 35 Jahren erregte der „Fall Ottiiiinger" die Öffentlichkeit - nun präsentiert ein ungewöhnliches Buch diese ungewöhnliche Frau, die ihr Glaube über Kerker und Lager hin trug.

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An einem Freitag, dem 5. November 1948, wurde ich verhaftet. Ich weiß heute, daß ich denunziert worden bin. Es war Neid auf die einflußreiche Position, die ich damals als junger Mensch schon hatte.

„Kennen sie Ihre Denunzianten?"

„Ja. Sie leben nicht mehr. Sie hatten einen bösen Tod."...

Der damalige Minister für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung (Krauland) und ich waren in die amerikanische Zone gefahren, wo Bundeskanzler Figl gesprochen hatte. Es war ein strahlend heller Novembertag, aber ich sah die Ennsbrücke in einer schwarzen Wolke.

Ich wußte: dort wartet das Unheil. Ich wußte auch: Wenn ich in eine Kirche geh', werd' ich wissen, welches Unheil. Ich hatte die Hand schon an der Kirchentür und bin doch nicht hineingegangen.

Als wir über die Brücke fuhren und uns dem Schlagbaum der Russen näherten, mußten wir noch einmal halten, um unsere Papiere zu zeigen. Der russische Soldat betrachtete eine Identitätskarte auffallend lange und gründlich.

Als er sie zurückgab, sah ich, daß es meine war. Ich wurde von einer heftigen Unruhe und Angst ergriffen. Jedermann wußte, daß in den letzten Wochen zwei Beamte aus Ministerien von den Russen verschleppt und spurlos verschwunden waren. Der Soldat hob aber die Hand zum Zeichen, daß wir passieren durften.

Als der Wagen an den Schlagbaum kam, öffnete er sich nicht. Jetzt ging alles blitzschnell. Der Russe riß den Wagenschlag auf und sprang neben den Chauffeur. Ich packte den Russen an den Schultern und schrie: „Den Rückwärtsgang!" Es war zu spät. Der Russe riß den Schalthebel nach vorn. Ich wollte aus dem Wagen springen, aber er rollte schon durch den geöffneten Schlagbau. Wir waren auf russischem Territorium.

Den Minister haben sie nach einer Viertelstunde freigelassen. Mich nicht...

Held war der Minister keiner... Sie kam ins russische Staatsgefängnis von Baden, wurde im .Jtarzer" (einem kleinen Verlies) zermürbt, unternahm einen Selbstmordversuch.

Ich bin in dem Verlies herumgelaufen wie ein Tier. Meine Schuhe hab' ich in zwei Monaten durchgelaufen. Es war mir verboten zu weinen. Wenn ich weinte, bekam ich Karzer. Da hab' ich gelacht. Ich hab' laut gelacht.

Einmal schien mein Wärter Mitleid mit mir zu haben. Er bedeutete mir durch Zeichen, daß ich weinen durfte, und zeigte mir auf der Uhr die Zeit an, wie lange ich weinen durfte: eine halbe Stunde. Da hab' ich nach Zeit geweint.

In den Verhören bekamen sie nichts aus mir heraus. Es waren drei Anklagepunkte. Erstens: Hilfe zum Vaterlandsverrat; zweitens: Wirtschaftsspionage für die Amerikaner; drittens: Zugehörigkeit zur Weltbourgeoisie — ein Gummiparagraph, der dann zitiert wurde, wenn gar nichts Konkretes vorlag.

Ich habe mich nie schuldig bekannt. Es hat sich auch später herausgestellt, daß ich in keinem der Anklagepunkte schuldig war. Ein Justizirrtum...

Das Buch ist ein in der Darstellungsform ungewöhnliches Dialogwerk, in dem einmal die journalistische Verfasserin Catarina Carsten, einmal die Hauptperson selbst das Wort führt.

„Weshalb sind Sie wirklich verhaftet worden? — ich meine die Hintergründe. Kennen Sie die?"

O ja. Es gab eine große Gruppe von Leuten, die die Planwirtschaft in Österreich nicht wollten. Ich war bei der Ausarbeitung des Marshallplanes für Österreich maßgeblich beteiligt, ich trat offen dafür ein, daß vor der Ankurbelung des Konsums die Förderung der Produktion stehen müsse, wenn wir nicht den gleichen' Fehler wie 1918 machen wollten.

Mit dieser Haltung war ich vielen Glücksrittern im Wege, die gern Fabriken gebaut hätten, die womöglich morgen pleite waren, so wie nach dem Ersten Weltkrieg. Da ich in meiner Sektion auch die Kreditlenkungskommission hatte, die die Gelder für solche Vorhaben bewilligte, war ich vielen im Wege. Das schnellste und sicherste Mittel zu dieser Zeit war eine Denunziation ...

An zwei Stellen des Buches ist auch vom Bau der berühmten „Wotruba-Kirche" auf dem Georgenberg in Wien-Mauer die Rede, die vor allem dem Einsatz Margarethe Ottiiiingers zu danken ist.

Tagelang hab' ich mit dem Wo-truba geredet, wochenlang. „Herr Professor", hab' ich gesagt, „wenn Sie nicht an Gott glauben, wird's ka Kirch'n." - „Sie mit Ihrem Gott!" hat er mich angefahren, „der ist viel größer, als Sie glauben."

Da hab' ich gelacht, weil er mit diesem Satz gesagt hat, was ich hören wollte: daß Gott für ihn existiert ...

Außerdem hatte ich noch einen anderen Gedanken: Wenn Wotru-ba die Kirche baut, dann ist das ein Werk für die Allgemeinheit und nicht für ein paar Menschen, die genug Geld haben, um sich seine Arbeiten zu kaufen.

Da saßen wir, der Wotruba und ich, in der (Wiener) Böcklinstra-ße. Im Kalender stand das Jahr 1964. Zuerst war unsere Begegnung wie im Boxring, wo die Gegner einander abtasten. Aber es kam nicht zum Schlagwechsel, weil wir von Anfang an keine Gegner waren, auch wenn es manchmal hart auf hart ging.

Wir hatten endlose Gespräche, aber keine Differenzen. „Wie soll denn die Kirche aussehen?" hat Wotruba gefragt. Ich hab' gesagt: „Drei Voraussetzungen soll sie erfüllen, alles andere ist Ihre Sache. Erstens: Wenn man vor ihr steht, muß man geschockt sein, damit man sich überhaupt mit ihr befaßt. Wer geschockt ist, ist schon nicht mehr gleichgültig.

Zweitens: Innen soll sie licht sein, damit man sich zu Gott erheben kann. Drittens: Sie soll schon von weitem aussehen wie eine nicht zu erschütternde Burg. Wie ein Bollwerk gegen die Gleichgültigkeit der Menschen___

Nach siebenjähriger Haft wurde die mit 28 Jahren Festgenommene nach Österreich zurückgeschickt, wo sie Vorstandsdirektorin der österreichischen Mineralölverwaltung (ÖMV) wurde.

Einmal hab' ich einen Sektionschef des Ministeriums gefragt: „Ich arbeite doch nur, warum habe ich Feinde?"

„Menschlich ist niemand gegen Sie", hat er gesagt, „nur — Sie sind zu tüchtig."

Heute ist das alles noch genau so. Ich meine die Arbeit. Auch der Neid auf meine Stellung. Aber das ist nicht wesentlich.

„Sondern?"

Dazwischen liegt Rußland. Ich weiß heute, was Demut ist. Ohne Rußland wäre ich der Macht verfallen. Der Macht, der Ehre und dem Reichtum.

Als ich aus Rußland zurückkam, hatte ich Angst vor all dem, was ich dort erlebt hatte: Angst vor Willkür und Ungewißheit, vor Armut, Hunger und Kälte. Ich kaufte, was ich mir nur kaufen konnte. Ich wollte besitzen, weil ich hoffte, der Besitz würde mir Sicherheit geben. Jetzt, nach über zwanzig Jahren, habe ich eingesehen, daß das falsch ist...

Diese Kette, diesen Ring würde ich mir heute nicht mehr kaufen.Heute weiß ich, daß Besitz belastet und keine Sicherheit gibt. Was man braucht ist Kleidung, Nahrung und ein warmes Zimmer ...

Auszüge aus DER FALL OTTILLINGER. Von Catarina Carsten. Herderverlag, Wien 1983. 175 Seiten, Pbck., öS 168,-.

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